# taz.de -- Kolumne "Immer bereit": Die Geborgenheit des Ausnahmezustands
       
       > In der Wendenacht stand meine Mutter am Fenster. „Guck mal, da ist
       > Stau!“, hat sie gesagt. In der DDR gab es keine Staus.
       
 (IMG) Bild: Das waren Zeiten: Vereinigung an der Mauer am 11.11.89.
       
       Seit ich diese Kolumne schreibe, erzählen mir ständig Leute ihre
       Wendegeschichten. Mich freut das sehr, ich mag Geschichten. Olli zum
       Beispiel, der damals noch in Westdeutschland wohnte, ist heute
       Kneipenbesitzer am Ostkreuz. Am 9. November ’89 war er gerade zu Besuch in
       Westberlin.
       
       „Mein Freundin holte mich abends vom Flughafen ab“, erzählt Olli. Die Bässe
       wummern, es ist spätabends. Wir stehen an seiner Bar und brüllen uns
       gegenseitig ins Ohr. „Wir sind essen gegangen“, sagt er. „In einem
       japanischen Restaurant, einem der Ersten, die es gab in Westberlin, direkt
       am Ku’damm. Beim Rausgehen hat uns der Besitzer lauter Zeug in die Taschen
       gesteckt.“
       
       Ich verstehe kein Wort. „Was’n für Zeug?“, brülle ich. „Na so Zeug“, sagt
       Olli, „Nen Aschenbecher.“ – „Aschenbecher?!“ – „Ja. Das war völlig skurril.
       Danach beschlossen wir, ins Kino zu gehen. Ins Babylon am Tauentzien. Da
       lief „Rosalie goes shopping“ über die Kaufwut einer Frau im Westen. Und
       dann kamen wir aus dem Kino raus, und alles war anders. Der Ku’damm, auf
       dem vorher mäßiger Verkehr westdeutscher Autos herrschte, war plötzlich ein
       Nonstop-Stau von Trabis und Wartburgs und Westautos.“
       
       Ein verrückter Engländer auf Drogen nervt. Olli weist ihn zurecht: „Please
       dont interfere, I’m doing an interview. It’s an historical document.“ Er
       wendet sich wieder mir zu: „Die ganze Straße war voll mit Menschen und
       Autos. Und wir so: ’Was is denn hier bitte los?!‘ Und jemand meinte: ’Ihr
       habt dis nich mitbekommen, die Mauer is gefallen.‘ Wir waren so irritiert,
       wir sind in den Dschungel gegangen.“
       
       ## Damals gab es keinen Stau
       
       Geil, denke ich, meine Eltern sind damals einfach schlafen gegangen. Mein
       Vater erzählt, dass meine Mutter in unserer Wohnung in der Hufelandstraße
       am Fenster stand und zur Greifswalder runtergeguckt hat. „Guck mal, da ist
       Stau!“, hat sie gesagt. In der DDR gab es keine Staus. Es gab schlicht zu
       wenig Autos, die sich hätten stauen können. Deshalb gab es auch immer
       Parkplätze. „Bestimmt ’n Unfall“, hat mein Vater gesagt. Und dann sind sie
       ins Bett gegangen.
       
       Mein Kumpel Sascha hat erzählt, er ist zum Brandenburger Tor gefahren, über
       die Mauer geklettert und zum Alex gelaufen. Sascha wohnte damals im
       Wrangelkiez, direkt an der Mauer, und führte ein normales Kreuzberger
       Rockstar-Studenten-Leben. „Und dann bin ich morgens – also nach’m Aufstehen
       – runter zum Edeka, um Frühstück einzukaufen, da war der zu! Geschlossen!
       Leergekauft. Zwei Wochen lang mussten die jeden Mittag zwei Stunden
       schließen, um die Regale wieder aufzufüllen.“
       
       Olli bestätigt das. Sie mussten jeden Tag essen gehen, weil alle Geschäfte
       leergekauft waren. „Es gab nur noch Kartoffeln, Mehl und Mineralwasser“,
       sagt Olli. „Alles andere war weg. Das war der Wahnsinn!“ Den Aschenbecher
       hat Olli aufgehoben. Den Ascher vom 9. November. Aber wie der Besitzer des
       japanischen Restaurants auf die Idee gekommen ist, im Osten herrsche
       Aschenbechermangel, das kann Olli sich auch nicht erklären.
       
       13 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lea Streisand
       
       ## TAGS
       
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 (DIR) Fortsetzungsroman
       
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