# taz.de -- Graphic Novels über Mobbing: Selbstbildnis als traurige Wurst
       
       > Zwei Comics erzählen, wie sich Kinder das Leben zur Hölle machen. „Jane,
       > der Fuchs und ich“ wählt leise Töne, „Antoinette kehrt zurück“ heftige.
       
 (IMG) Bild: Verzweiflung, die nicht einfach vergeht: Ausschnitt aus „Antoinette kehrt zurück“.
       
       Kinder können so scheiße sein. Sie können nicht nur ihre Eltern in den
       Wahnsinn treiben, sie können auch einander gegenseitig das Leben zur Hölle
       machen. Die Einsamkeit, die Kinder oder Jugendliche empfinden, die von
       Gleichaltrigen gemobbt werden, behandeln zwei neue Graphic Novels auf sehr
       unterschiedliche Art: einmal leise, kühl und vorsichtig mit einem Fuchs,
       der einfach nur guckt – und einmal lauter, heftiger, mit einer sommerlichen
       Rachegeschichte.
       
       „Jane, der Fuchs und ich“ ist im Berliner Reprodukt-Verlag erschienen. Für
       die kanadischen Künstlerinnen Fanny Britt und Isabelle Arsenault ist es die
       erste Comicarbeit. Sie erzählen eine sehr stille Geschichte, die Ina
       Pfitzner aus dem Französischen übersetzt hat. Die Ich-Erzählerin ist
       Außenseiterin. „Hélène wiegt hundertzehn!“, haben die anderen Mädchen an
       die Klotür geschrieben, dabei wiegt sie nur 42 Kilo.
       
       Als Hélène mit ihrer Mutter einen Badeanzug kaufen will, betrachtet sie
       sich im Spiegel der Umkleide. Im ersten Badeanzug sieht sie sich als
       „Wurstballerina“, im zweiten als „Trauerwurst“. Hélène flüchtet sich in ihr
       Lieblingsbuch, „Jane Eyre“ von Charlotte Brontë. Jane Eyre wird schlecht
       behandelt. „Trotzdem wird sie erwachsen und schlank und klug“, das tröstet
       Hélène.
       
       ## Happy End mit neuer Freundin
       
       Die Bilder, die Isabelle Arsenault gezeichnet hat, sind fast alle in Grau,
       Schwarz und Weiß gehalten, strichhafte Bleistiftzeichnungen, bedrückend und
       eintönig wie Hélènes Alltag. Nur an wenigen Stellen kommt Farbe ins Spiel,
       Rot-, Gelb- und Grüntöne in Aquarell, Tinte und Gouache: als die Erzählerin
       von Jane Eyre spricht und dann, als sie einen Fuchs trifft. Er kommt zu
       ihr, als sie allein vor einem Zelt sitzt, und guckt sie an, mehr nicht.
       „Sein Blick ist so sanft, kaum auszuhalten“, sagt Hélène.
       
       Als eine Mitschülerin schreit, dass der Fuchs bestimmt Tollwut habe, denkt
       Hélène: Klar, zu mir kommt nur ein kranker Fuchs. Und zweifelt weiter an
       sich. Bis kurz darauf ein anderes Mädchen zu ihr kommt. Sie freundet sich
       mit Hélène an, Happy End.
       
       Das andere Buch, „Antoinette kehrt zurück“, ist von Olivia Vieweg
       geschrieben und gezeichnet und bei Egmont Graphic Novel erschienen. Olivia
       Vieweg ist 1987 in Jena geboren und hat ihr Diplom in Visueller
       Kommunikation mit einem Zombie-Comic abgeschlossen. Ihr Buch ist eine
       Geschichte voller Schmerz und Wut, anklagender als „Jane, der Fuchs und
       ich“. Als Motto dient ein Zitat von Erich Kästner: „An allem Unfug, der
       passiert, sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die,
       die ihn nicht verhindern.“
       
       Antoinette, die Hauptfigur, ist erfolgreich, hat Geld und wohnt in Los
       Angeles. Man hält sie dort für eine Schwedin, weil sie ihre deutsche
       Herkunft verschweigt. Eines Tages aber beschließt sie, noch einmal in das
       Dorf ihrer Kindheit zurückzukehren. Täglich wurde sie dort von ihren
       Mitschülern gemobbt, einmal zwangen sie sie, durch ein Kanalrohr zu
       kriechen.
       
       ## Anspielungen an „Besuch der alten Dame“
       
       „Meine Füße auf verseuchter Erde“, denkt Antoinette, als sie im Dorf
       ankommt. Sie landet auf einer Geburtstagsparty, alle sind ekelhaft
       freundlich zu ihr. Sie hört, dass Jonathan, ein ehemaliger Mitschüler, nach
       einem Unfall querschnittsgelähmt ist. Am nächsten Tag besucht sie ihn.
       
       Auch Jonathan erinnert sich: „Ich glaube, wir konnten richtig scheiße zu
       dir sein.“ Als er erzählt, wie die Tischlerei seines Vaters abgebrannt ist
       und seine Freundin ihn verlassen hat, sagt Antoinette, dass sie das alles
       schon weiß: Sie hat die Brandstifter bezahlt, der Freundin einen Job in
       Neuseeland besorgt und den Unfall veranlasst.
       
       „Früher wart ihr die Hölle“, sagt sie, „jetzt bin ich die Hölle geworden.“
       – Eine Anspielung auf Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“, eine ähnliche
       Rachegeschichte. Olivia Viewegs Zeichnungen sind an Mangas angelehnt.
       Antoinettes gelb-orange Haare geben die Farbe vor, in die ganze Bilder
       getaucht sind, daneben viel Schwarz und Braun.
       
       Die Geschichten von Hélène und Antoinette handeln beide von Mobbing in der
       Schule. Beide Figuren erleben Kränkungen, Schikanen, Willkür – und gehen
       damit sehr verschieden um. In „Jane, der Fuchs und ich“ kehrt Hélène alle
       Traurigkeit nach innen, sie flüchtet sich in Träume und findet am Ende mit
       Glück eine Freundin. Vielleicht ein etwas kitschiger, pädagogischer
       Schluss, den Fanny Britt und Isabelle Arsenault gefunden haben, aber auch
       einer, der Hoffnung machen kann.
       
       Olivia Viewegs Antoinette dagegen schlägt mit voller Wucht zurück, wenn
       auch erst Jahre nach den Demütigungen. Die Geschichte endet krass und
       unversöhnlich, sie zeigt, wie lange Wunden offen bleiben können.
       
       Beide Bücher bieten keine Lösungen an. In einem Fall endet die Geschichte
       mit Glück, im anderen mit Brutalität. Gemeinsam ist den drei Künstlerinnen
       – die alle auch Mütter sind –, dass sie sehr ernst nehmen, wie tief Kinder
       und Jugendliche durch Mobbing traumatisiert werden können.
       
       23 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Margarete Stokowski
       
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