# taz.de -- Heribert Bruchhagen über Kommerz: „Stehplatzfans sind nichts Besseres“
       
       > Der Vorstandschef von Eintracht Frankfurt über die finanzielle
       > Ungleichheit in der Bundesliga, Homophobie und die Arroganz einiger
       > Anhänger.
       
 (IMG) Bild: Herr im Haus: Heribert Bruchhagen im Stadion von Eintracht Frankfurt
       
       Heribert Bruchhagen sitzt in seinem Büro am Schreibtisch – und raucht. Ob
       das störe, will er wissen. Im Laufe des einstündigen Interviews wird er
       noch mehrere Zigaretten rauchen. Sein Verhältnis zur Presse, die er auch
       abfällig „Journaille“ nennt, gilt nicht als das beste. „Erzählen Sie etwas
       über sich“, fordert der 65-Jährige, während er in den Außenbereich des
       Büros geht, von wo aus man mitten in das leere Frankfurter Stadion blickt. 
       
       Es entwickelt sich ein Gespräch über Bruchhagens Lehramtsstudium, seine
       „katholische Sozialisierung“, von der er sich „mit der Zeit immer weiter“
       entfernt habe – und über seine Leidenschaft: den Fußball. Dann präsentiert
       er das Foto einer C-Jugend-Mannschaft: „Dort bin ich“, sagt er, „ich war
       einer der kleinsten, aber schon Kapitän. Ich habe schon damals gern
       entschieden.“ 
       
       taz: Herr Bruchhagen, muss der Fußball sozialistischer werden? 
       
       Heribert Bruchhagen: Nein, nach wie vor muss Leistung belohnt werden. Aber
       die Menschen gehen zum Fußball, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht. Wenn
       die Spannung verloren geht, dann müssen wir darüber nachdenken, ob die
       Verteilung der Fernsehgelder und anderer Einnahmen gerechtfertigt ist. Die
       Etats entscheiden bis auf wenige Ausreißer über die Tabellenplätze …
       
       … und das große Geld gibt es nur in der Champions League. Führt das zu
       einer Reproduktion des Erfolgs? 
       
       Meistens ja. Auch in diesem Jahr wird diese These untermauert: Auf den
       ersten vier Plätzen stehen die vier Champions-League-Teilnehmer, angeführt
       von Bayern München. Das sind die Vereine, die an den großen Geldtöpfen
       sitzen. Da kommen in Zukunft höchstens noch die Werksklubs Hoffenheim und
       Wolfsburg dazu.
       
       Ist das nicht langweilig und macht den Fußball kaputt? 
       
       Das könnte man glauben, aber die Tatsache, dass wir in Frankfurt im Schnitt
       48.000 Zuschauer haben, spricht dagegen. In den letzten zehn Jahren sind
       außerdem fünf Klubs Meister geworden. Ich prognostiziere aber, dass es in
       den nächsten fünf Jahren nur zwei Vereine schaffen können.
       
       Also muss es eine andere Verteilung geben? 
       
       Das ist die Königsfrage. Innerhalb der DFL habe ich bezüglich der
       Verteilungsfragen viele Kontroversen ausgelöst. Die ohnehin starken Vereine
       haben in den Gremien eine größere Durchschlagskraft.
       
       Gibt es denn keine Allianz der Traditionsklubs aus dem Tabellenmittelfeld? 
       
       Nein, leider nicht. Auch die Gremien der Uefa sind von den Vertretern der
       Champions-League-Vereine dominiert.
       
       Müssen die großen Klubs erst die Nachteile der zunehmenden
       Klassengesellschaft im Fußball spüren? 
       
       Ich möchte keine Apokalypse herbeireden. Das Zuschauerinteresse an der
       Bundesliga steigt, sie wird auch international anerkannt.
       
       Bayern München dominiert die Liga wie nie, ist aber in der Champions League
       klar gescheitert an Real Madrid. Ist die Bundesliga schwächer als viele
       glauben? 
       
       Das sind normale Schwankungen. Es ist doch toll, wenn Bayern das Halbfinale
       erreicht. Wir dürfen nicht glauben, wir seien der Nabel der Welt. Das gilt
       auch für die Nationalmannschaft. Ich finde es arrogant, wenn in Deutschland
       unbedingt ein Titel gefordert wird. Das Erreichen des Halbfinales wäre doch
       auch bei der WM ein Erfolg.
       
       Deutschland hat nur den WM-Titel geholt, wenn ein Eintracht-Spieler dabei
       war. 
       
       (Lacht).
       
       Warum fahren so selten Eintracht-Spieler zur Nationalmannschaft? Hätte es
       etwa Sebastian Jung nicht verdient, mit zur WM zu fahren? 
       
       Das ist auffällig, aber es steht mir nicht zu, Jogi Löw einen Rat zu geben,
       wen er aufstellen soll.
       
       Zurück zur Eintracht: Einige Leistungsträger wie Pirmin Schwegler verlassen
       den Verein. Auch Trainer Armin Veh geht wegen fehlender Perspektiven. Muss
       die Eintracht finanziell mehr wagen? 
       
       Das hieße doch, sich Geld zu leihen. Dazu bin ich nicht bereit. Man braucht
       außerdem für einen Worst Case genug Eigenkapital.
       
       Also hat die Eintracht keine Chance, in nächster Zeit international zu
       spielen? 
       
       Man kann es nicht erzwingen, schon gar nicht mit Krediten.
       
       Entfernt sich der Profifußball immer mehr vom ursprünglichen
       Vereinsgedanken in Richtung Kommerz? 
       
       Ja. Und mir persönlich blutet das Herz, wenn ich an früher denke, als zum
       Ortskampf zwischen Marienfeld und Harsewinkel (Anm. der Red.: dort lebte er
       früher) bis zu 1.000 Menschen erschienen. Heute verirren sich dort noch 50
       Leute hin. Das „Wir“-Gefühl geht im Berufs- wie im Privatleben verloren,
       ebenso wie die Vereinskultur zurückgeht. Dieses Gefühl vermitteln nun
       Massenevents. Das „Think-Big“-Gefühl erleben die Leute dort. Das ist eine
       Sehnsucht, die einen wegtreibt von der Entfremdung am Arbeitsplatz, im
       sozialen Umfeld und in der Familie.
       
       Wem gehört heute der Fußball: den Vereinen, den Verbänden oder den Fans? 
       
       Allen. Es muss immer einen Verband geben und ein Verein muss geführt
       werden. Aber das Herzstück des Fußballs sind die Fans, neben der Spannung
       lebt der Fußball von der Stimmung. Wobei nicht der Eindruck entstehen soll,
       die Stehplatz-Fans seien bessere Fans. Alle 48.000 sind Fans, auch der
       60-Jährige, der sich für 5.000 Euro einen Business-Seat kauft. Es darf sich
       kein Führungsanspruch derjenigen entwickeln, die stehen. Auch sie müssen
       irgendwann einmal sitzen, weil sie alt werden. (lacht) 
       
       Die Eintracht bekommt regelmäßig hohe Geldstrafen wegen des Verhaltens
       einiger Fans. Hat der Fußball ein Fanproblem? 
       
       Nein, wir haben grundsätzlich eine wunderbare Fankultur. Dennoch kommt es
       zu Konflikten, die dem Fußball nicht guttun. Wir müssen uns intensiv mit
       diesen Sonderfällen befassen.
       
       Durch Strafen oder Dialog? 
       
       Es ist eine sehr schwierige Abwägung zwischen Restriktion und
       Kommunikation. Aber die kleine Gruppe, die auf Krawall aus ist, müssen wir
       rigoros aus den Stadien ausschließen. Außerdem wollen wir keine
       italienischen Verhältnisse, wo die Ultras in den Vereinen und im Stadion
       das Sagen haben.
       
       Reden der Verein und die Ultras noch miteinander? 
       
       Die Ultras nehmen innerhalb der Fanszene eine besondere Stellung ein. Für
       die ist es ein schmaler Grat zwischen Avantgarde und Arroganz. Dazu kommen
       ein bisschen Korpsgeist, Provokation und das Reiben an Autoritäten sowie
       die große Distanz, die zwischen dem Vorstandsvorsitzenden und solchen Jungs
       entstanden ist. Aber: Wer sich der Kommunikation entzieht, kann nicht auf
       der richtigen Seite sein. Das gilt für alle Lebensbereiche.
       
       Ist das in Frankfurt so? 
       
       Es gibt Kontakte und Gespräche. Aber wenn ich hier jetzt darüber berichte,
       schade ich diesem Prozess. Für einige Ultras ist jeder Vorstand und jede
       Institution ein rotes Tuch.
       
       Warum? 
       
       Jugendkulturen sind oft Protestbewegungen – gegen Autoritäten oder die
       Kommerzialisierung. Das kann ich teils schon nachvollziehen.
       
       Pro Bundesliga-Spieltag gibt es durchschnittlich 1,6 Verletzte. Wird das
       Thema Fanproblematik überhöht? 
       
       Ja, die körperlichen Auseinandersetzungen rund um den Fußball waren vor 25
       Jahren viel problematischer. Man darf aber nichts verharmlosen. Und es muss
       sich bei allen durchsetzen, dass man tolle Fußballerlebnisse haben kann
       ohne Pyrotechnik.
       
       Warum ist das Thema Homophobie bisher so wenig im Profifußball angekommen? 
       
       Es hängt scheinbar mit der Körperlichkeit des Spiels zusammen. Man erwartet
       von den „Gladiatoren“, dass sie die körperliche Auseinandersetzung im
       Zweikampf suchen. Da gibt es dann fürchterliche Vorurteile, dass
       Homosexuelle dies nicht könnten. Es ist sehr bedauerlich, aber wenn ein
       Spieler zu mir käme und mir sagen würde, er sei homosexuell, würde ich ihm
       nicht zu einem Outing raten. Gesellschaftlich haben wir große Fortschritte
       gemacht, aber im Fußball noch nicht.
       
       Sie sind viele Jahrzehnte im bezahlten Fußball. Nervt Sie dieses Geschäft
       manchmal? 
       
       Wenn ich in der Kneipe auf Fußball angesprochen werde, empfinde ich das
       nicht als Nachteil. Ich bin dem Schicksal sogar dankbar dafür.
       
       Auch wenn Sie die Rolle des Allwissenden spielen müssen? 
       
       Ich kann nicht sagen, ich sei ratlos. Die Erwartungshaltung der
       Öffentlichkeit ist, dass man omnipotent ist. Das muss man leider erfüllen.
       Aber in der Realität sieht das natürlich anders aus. Zum Glück gibt es
       Gesprächspartner, mit denen ich mich vor wichtigen Entscheidungen
       besprechen kann.
       
       10 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Timo Reuter
       
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