# taz.de -- PC-Spiel „Goat Simulator“: Wo die Freiheit endet
       
       > Ziege sein, die Welt erkunden, alles zerstören. Der „Goat Simulator“ ist
       > eines der erfolgreichsten Spiele dieser Tage. Und es lehrt die Grenzen
       > der Anarchie.
       
 (IMG) Bild: Ist der Anarchist die Ziege unter den Revolutionären? – Szene aus „Goat Simulator“.
       
       Gute Spiele lassen sich nicht in einem Satz zusammenfassen. Schlechte
       Spiele schon. Und dann gibt es noch [1][den „Goat Simulator“] (deutsch: Der
       Ziegen-Simulator). Das ist ein gutes Spiel und zur Beschreibung reicht
       genau ein Satz: Der Spieler ist eine Ziege, er hat eine Welt zu erkunden,
       ein paar simple Aufgaben zu lösen und den Rest so gut es geht zu zerstören.
       So einfach ist das.
       
       Der „Goat Simulator“ spiegelt dabei immer auch das aktuelle Befinden des
       Spielers. Man kann die Ziege friedlich durch ein hübsch programmiertes
       Dörfchen steuern, auf dass sie die Welt entdeckt und sie hier und da mit
       ihrer rauen Zunge anleckt. Man kann produktiv mitwirken und Aufgaben
       erledigen, also ein wenig gehen, galoppieren, springen, hüpfen und sogar
       fliegen lernen. Man kann auch einfach destruktiv sein und sich darauf
       verlassen, dass der eigene Schädel samt Hörnern härter ist als der Rest des
       Dorfes.
       
       Der erste Weg („Welt entdecken“) ist der der Freiheit. Der zweite Weg
       („Aufgaben erledigen“) ist der des Lernens. Der dritte Weg („destruktiv
       sein“) ist der der Zerstörung. Alle drei Wege finden sich im Werk des
       russischen Anarchisten Michail Bakunin. Die Freiheit von Staat, Autorität
       und Zwang ist sein Metathema: „Freiheit ist das absolute Recht aller
       erwachsenen Männer und Frauen, für ihre Handlungen keine andere Bewilligung
       zu suchen als die ihres eigenen Gewissens und ihrer eigenen Vernunft“. Das
       Lernen gilt ihm als Ersatzreligion: „Die Schulen werden die Kirchen
       ersetzen.“ Die Zerstörung gehört zum „Triumph der universalen Verbrüderung
       auf den Trümmern aller Staaten.“
       
       [2][Im Anhang zu „Gott und der Staat“] schreibt Bakunin über die Vorfahren
       des Menschen, sie besäßen „zwei wertvolle Fähigkeiten (...): die Fähigkeit
       zu denken und die Fähigkeit, das Bedürfnis, sich zu empören. Diese beiden
       Fähigkeiten und ihr fortschreitendes Zusammenwirken im Lauf der Geschichte
       bilden den bewegenden Faktor, die verneinende Kraft in der positiven
       Entwicklung der menschlichen Animalität und schaffen folglich alles, was
       das Menschliche in den Menschen ausmacht.“
       
       ## Verschwörungen statt Theorien
       
       Explizit von Ziegen spricht Bakunin nicht. Aber es spielen ja auch nicht
       Ziegen, sondern Menschen den „Goat Simulator“. Die Ziege ist für den
       Spieler, um es mit Bakunin zu sagen, nur Ausdruck der „unendlichen Vielfalt
       und Verschiedenartigkeit realer Interessen, Sehnsüchte, Willensäußerungen
       und Bedürfnisse“ oder ohne ihn gesagt: Sie ist Mittel zum Zweck. Wer die
       „1“ auf der Tastatur drückt, erhält ein kräftiges „Määäh!“, beim „e“ wird
       was angeleckt und solange an einer langen Zunge mitgeschleift, bis ein
       weiteres „e“ die Ziege und den mitgeschleiften Gegenstand, der auch ein
       Auto oder eine menschliche Spielfigur sein kann, wieder löst.
       
       Neben „1“ und „e“ reichen eine Handvoll Tasten, um die Ziege zu steuern.
       Der [3][deutsche Herausgeber des Spiels] verzichtet im Beiheft auf Angaben
       zum Spielprinzip, zu den Figuren und zur Tastenbelegung. Stattdessen werden
       Ziegenrezepte abgedruckt. Auch das erinnert an Bakunin, dem der britische
       Historiker James Joll „eine leidenschaftliche Hingabe an die Sache der
       Revolution“ bescheinigte. Bakunin sei mehr ein Mann der Tat als ein Mann
       der Theorie gewesen.
       
       Ist der Anarchist also die Ziege unter den Revolutionären? Der „Goat
       Simulator“ gibt klare Antworten. Ja, dieses Tier will die Freiheit. Ja,
       dieses Tier erledigt alle Aufgaben, um die Freiheit zu erreichen. Ja,
       dieses Tier kennt die zur Freiheit gehörende „schöpferische Zerstörung“
       Bakunins, wobei die Betonung mehr auf „Zerstörung“ als auf „schöpferisch“
       liegt. Nicht alles in diesem Spiel lässt sich vom Ziegenschädel
       kaputtmachen, doch es ist nicht viel, was nach drei, vier Stunden am PC
       noch intakt bleibt.
       
       Man merkt dem Spiel an, dass die schwedische Entwicklerfirma Coffee Stain
       Studios viel Spaß beim Programmieren hatte. Im Dorf und damit in Reichweite
       der Ziege liegen auch digital nachgebildete Büroräume des Herstellers, und
       anders als andere Gebäude sind sie vor den Hörnern nicht geschützt.
       
       ## Nicht als Spiel geplant
       
       Der „Goat Simulator“ sollte nie ein Spiel werden. Es war mal als
       Software-Schulungsvideo gedacht, gelangte ins Netz, fand gleich viele Fans
       und wurde erst dann als Spiel realisiert – voller Programmierfehler. Es
       erschien ausgerechnet am 1. April.
       
       Der „Goat Simulator“ zwingt wie kaum ein anderes Spiel zu einem Bekenntnis:
       Es gibt nur Fans und Feinde – dazwischen ist nichts. Wer das Spiel hasst,
       spricht vom schlechtesten Aprilscherz aller Zeiten. Fans lieben das
       Schlichte, das einfach nur die sinnlose Freude am Spielen bedient, die
       gewiss zu den von Bakunin so gelobten „Bedürfnissen“ gehören, „die das
       Leben selbst ans Tageslicht bringt.“
       
       Interessant sind vor allem das Zentrum und die Ränder der Ziegenwelt. Im
       Zentrum steht ein verborgenes Schloss, am Rande werden Ziegenkämpfe geführt
       und auch der Satanismus hat sein Plätzchen. Das Dorf zu verlassen ist für
       die Ziege so gut wie unmöglich; zwei je fünf Kilometer lange Tunnel sowie
       selbst für Ziegen kaum zu bewältigende Berge setzen natürliche Grenzen.
       
       Doch die Ziege strebt nach der Freiheit, und sie kann mit Geschick und
       Geduld die Grenzen überwinden. Es lockt die Großstadt, der Ziege aber
       bleibt der Zutritt verwehrt, da er schlicht nicht programmiert ist. Hier
       werden die Ziege und Bakunin nun endgültig eins. Das Reich der Freiheit vor
       Augen werden sie nie dorthin gelangen. Was bleibt, ist relative Freiheit
       und ein Bewusstsein, dass der niederländische Anarchist Rudolf de Jong so
       formulierte: „Der Anarchismus schafft schon im Kampf gegen die bürgerliche
       Gesellschaft eine Gegenkultur.“ Määäh!
       
       7 Jun 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.goat-simulator.com/
 (DIR) [2] http://www.marxists.org/deutsch/referenz/bakunin/1870/gottstaat/teil1.htm
 (DIR) [3] http://shop.kochmedia.com/shop/de_CH/productdetail.html?fmt=tile&psize=24&nav2=COM&nav1=GAME&page=2&id=1004170
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Maik Söhler
       
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