# taz.de -- Kommentar 65. Jahrestag Grundgesetz: Zwei wegweisende Reden
       
       > Wichtige Worte: Bundespräsident Gauck und der Autor Navid Kermani haben
       > sich Gedanken zu Deutschland und seinem Wertefundament gemacht.
       
 (IMG) Bild: Lobte, aber mahnte auch: Navid Kermani im Bundestag.
       
       Es gibt nicht viele Länder, in denen ein Nachfahr von Einwanderern bei
       einer hohen Feierstunde im Parlament eine Rede halten kann – schon gar
       nicht, wenn er einer anderen Religion angehört als die Mehrheit.
       Deutschland sei so ein Land geworden, betonte der deutschiranische
       Schriftsteller Navid Kermani, der am Freitag zum 65. Jahrestag des
       Grundgesetzes im Bundestag sprach.
       
       Er hob dies auch hervor, um dem iranischen Botschafter, der als Gast auf
       der Tribüne saß, eine Botschaft mitzugeben: Er sei sich sicher, dass auch
       im Parlament in Teheran bald schon ein Christ, ein Jude oder ein Bahai eine
       Festrede halten werde.
       
       In seiner Rede las Navid Kermani aber auch den Repräsentanten des deutschen
       Staates – Merkel, Gauck und den versammelten Abgeordneten – die Leviten.
       Zunächst lobte er, ganz Literat, die sprachliche Schönheit des
       Grundgesetzes und dessen visionären Gehalt: Das habe „Wirklichkeit
       geschaffen durch die Kraft des Wortes“. Das ist das Gegenteil von
       Populismus. Denn hätten sich die Autoren an Umfragen orientiert und nicht
       an ihren Überzeugungen, wäre das Ergebnis ganz anders ausgefallen, mahnte
       Kermani mit Blick auf die Abgeordneten vor ihm.
       
       Besonders scharf kritisierte Kermani folglich den „Asylkompromiss“ von SPD,
       FDP und Union aus dem Jahr 1993, mit dem das Recht auf Asyl faktisch
       abgeschafft wurde. Er wünsche sich, dass das Grundgesetz bis zu seinem 70.
       Geburtstag von diesem „hässlichen, herzlosen Fleck“ gereinigt werde, so
       Kermani beherzt. Deutschland müsse „nicht alle Mühseligen und Beladenen
       dieser Welt aufnehmen“. Doch es habe „genug Ressourcen“, um mehr für
       Flüchtlinge zu tun, etwa solche aus Syrien.
       
       ## Klare Worte vom Bundespräsidenten
       
       Auch Bundespräsident Joachim Gauck hatte einen Tag zuvor, bei einer
       Einbürgerungsfeier für 23 Einwanderer im Schloss Bellevue, eine Rede
       gehalten über das Grundgesetz, das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Nation
       und das, was dieses Land zusammenhält.
       
       Ausdrücklicher als je zuvor plädierte Gauck dabei für mehr Offenheit
       gegenüber Einwanderern. Es gebe „ein neues deutsches 'Wir', die „Einheit
       der Verschiedenen“, erklärte er. Die Bundesrepublik habe sich zu lange „die
       Illusion erlaubt, sie müsse sich nicht gleichfalls ändern“, kritisierte er.
       
       Die doppelte Staatsbürgerschaft sei „Ausdruck der Lebenswirklichkeit einer
       wachsenden Zahl von Menschen“, fuhr er fort und mahnte zudem ein
       gerechteres Bildungssystem und eine größere „geistige Öffnung“ in Schulen,
       Behörden und Redaktionen an.
       
       Diese Themen sind brennend aktuell in einer Zeit, in der Deutschland als
       Einwanderungsland so beliebt ist wie noch nie. Doch was macht Deutschland
       so attraktiv?
       
       ## „Neues deutsches Wir“
       
       Kermani verwies auf die Freiheit und Rechtsstaatlichkeit, den sozialen
       Ausgleich und die beruflichen Chancen, von denen auch Einwanderer
       profitierten. Dafür bedankte er sich am Ende seiner Rede ausdrücklich.
       Zugleich machte er gerade Deutschlands nationale Selbstzweifel sowie die
       Demut, die in Willy Brandts Kniefall von Warschau zum Ausdruck gekommen
       sei, als Grund dafür aus, warum er so etwas wie Stolz auf seine
       Zugehörigkeit zu diesem Land empfinde könne.
       
       Beide, Kermani und Gauck, haben wegweisende Reden zu Deutschland und seinem
       Wertefundament gehalten. Während Gauck mehr Offenheit gegenüber
       Einwanderern einforderte, mahnte Kermani diese Offenheit auch gegenüber
       Flüchtlingen an. Beides ist geboten.
       
       Anders als Gauck hatte Kermani aber auch das richtige Publikum vor sich.
       Von Gauck wünscht man sich, dass er seine wichtigen Worte noch einmal am 3.
       Oktober, zum Tag der Deutschen Einheit, wiederholen möge. Erst dann wissen
       wir, ob es dieses „neue deutsche Wir“, von dem er spricht, auch wirklich
       schon gibt.
       
       23 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Bax
       
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