# taz.de -- Nachruf auf Helma Sanders-Brahms: Die Formbewusste
       
       > Im Ausland gepriesen, in Deutschland unterschätzt: Die Filmemacherin
       > Helma Sanders-Brahms hinterlässt ein reiches Oeuvre.
       
 (IMG) Bild: Helma Sanders-Brahms im Jahr 2008.
       
       Insgesamt 30 auf den Festivals von Berlin und Cannes, Locarno und Tokio
       gefeierte Dokumentar- und Spielfilme, dazu Hörspiele, Aufsätze und Bücher.
       Bundesfilmpreis, Ehrendoktorschaft und den Ritterschlag als Chevalier des
       Arts et des Lettres de la France. Und das alles als eine der ersten Frauen
       im Fach der deutschen Filmregie.
       
       Keine Frage: Helma Sanders-Brahms hat es geschafft, ihr Film „Deutschland,
       bleiche Mutter” wurde von New Yorker Filmkritkern sogar für die erlesene
       Runde der Welt-Filmklassiker auserwählt. Dennoch umwehte sie auch eine
       dunkle Aura. Denn die international akklamierte Regisseurin und
       Drehbuchautorin hatte viele Jahre ihres Schaffens einen schlechten Stand
       bei der Kritik im eigenen Land, die ihre Arbeiten gerne als hölzern und
       verstiegen verstieß und mit der radikal pessimistischen Unversöhnlichkeit
       ihrer Haltung nichts anfangen konnte.
       
       Begonnen hatte die am 20. November 1940 in Emden geboren Tochter einer
       Fotografin und eines Beamten ihre berufliche Laufbahn mit Studien erst der
       Schaupielerei und dann als Lehrerin. Währenddessen jobbte sie in den
       unterschiedlichsten Bereichen – vom Laufsteg bis zum Fließband.
       
       Als sie nach dem Referendariat als Fernsehansagerin beim dritten Programm
       des WDR landete, gelang es der jungen Frau – oh, selige Zeiten! – als
       Reporterin für ein Interview mit Pier Paolo Pasolini nach Rom gesandt zu
       werden. Ein Initial-Erlebnis, bei dem sie sich, samt Hospitationen bei
       Pasolini und Sergio Corbucci, unheilbar mit dem cineastischen Virus
       infiziert, der ihren weiteren Weg bestimmt.
       
       ## Bildersatte Science-Fiction
       
       1970 kam dann als erste eigene und selbstfinanzierte Arbeit der
       Dokumentarfilm „Angelika Urban, Verkäuferin, verlobt”, der vom WDR ablehnt
       wurde, aber bei den Kurzfilmtagen in Oberhausen Preise einheimsen konnte.
       Es folgten weitere Arbeiten, die die sozialen Verhältnissen der
       Bundesrepublik erforschen und sich zugleich durch ein seltenes
       Formbewusstsein auszeichnen. 1974 produziert dann die Bavaria den
       bildersatten Sciene-Fiction-Thriller „Gomorra”, der aus heutiger Sicht
       erstaunlich hellsichtig die manipulative Monopol-Macht der Medien
       thematisiert.
       
       Höhepunkt dieses Werksabschnitts war 1976 „Shirins Hochzeit”, die in
       neorealistischem Schwarzweiß erzählte tragische Geschichte einer
       anatolisch-deutschen Arbeitsmigrantin, die thematisch und mit einem
       subjektiven Autorenkommentar auch formal Neuland betritt. Der
       Hauptdarstellerin Ayten Erten brachte der Film von der nationalistischen
       deutsch-türkischen Presse Morddrohungen ein.
       
       Der frühe Migrantenfilm und auch das Beziehungsstück „Unter dem Pflaster
       ist der Strand“ (1976) kamen bei der internationalen wie der deutschen
       Kritik positiv an als gelungener Versuch, aus weiblicher Perspektive von
       der Auflösung politischer Identitäten in private Befindlichkeiten zu
       erzählen. Der Film markierte auch einen Wechsel in Sanders' (wie sich
       damals noch nannte) Perspektive, die sich fortan deutlich persönlicher
       zeigte.
       
       „Heinrich“ führte diesen subjektiven Zugang in der Figur des von der
       Regisseurin verehrten Dichters Heinrich von Kleist weiter – und scheuchte
       damit 1977 die deutsche Kritik auf, die den Film paradigmatisch für das
       Desaster eines literaturverfallenen Gremienkinos sah, das sich vom Publikum
       meilenweit entfernt hatte und sich in hohem hohlem Kunstwillen verstieg.
       Dass der Film dann noch den (damals von einer Jury vergebenen)
       Bundesfilmpreis einheimste, machte die Sache nicht besser.
       
       ## Aggression gegen das Frausein
       
       Dabei ist in der Wortwahl vieler Kritiker unübersehbar, dass die Aggression
       das Frausein der Regisseurin mitmeinte, obwohl es durchaus auch
       Feindseligkeiten aus der feministischen Ecke gab. Ein anders Movens der
       Ablehnung dürfte Sanders' Beschäftigung mit zentralen und gewichtigen
       Themen deutscher Identität sein - was wiederum in Frankreich und den USA
       gerade gut ankam.
       
       Bei der Premiere von „Deutschland, bleiche Mutter“ 1980 auf der Berlinale
       war die Richtung der Rezeption angesichts des grotesk übertrieben
       scheinenden Nachkriegsfrauenschicksals schon fast vorgegeben. Und auch hier
       wieder zeigten sich Presse und Publikum international begeistert. Dabei ist
       der stark autobiografisch inspirierte Film nicht nur das Schlüsselwerk für
       das Verständnis von Sanders-Brahms' Arbeit und der Traumata, aus denen es
       sich speist. Wie die gefeierte Wiederaufführung dieses Jahr auf der
       Berlinale überdeutlich zeigte, hat der Abstand von über dreißig Jahren auch
       den Blick für den filmhistorische Rang neu kalibriert.
       
       Die Missachtung durch die deutsche Öffentlichkeit führte bei der
       Regisseurin auch zu verständlicher Verbitterung, der sie immer wieder in
       öffentlichen Statements Ausdruck gab. Anlass zur eingehenderen
       Beschäftigung mit ihrem Werk war 1998 eine erste große Retrospektive im
       Berliner Arsenal. Da hatte sie gerade eine erste Krebsattacke hinter sich
       gebracht. Doch die Krankheit hatte sie – neben widrigen
       Produktionsbedingungen – seitdem offensichtlich so sehr geschwächt, dass
       sie mit „Die Farbe der Seele“ (2003) und „Geliebte Clara” (2008) nur noch
       zwei Filme zum Leinwandleben brachte.
       
       Am Dienstag morgen ist Helma Sanders-Brahms nach langer schwerer Krankheit
       gestorben. „Ihr Tod reißt eine schmerzliche Lücke in die Filmlanndschaft“,
       wie der Filmhistoriker und -kurator Ulrich Gregor sagt.
       
       28 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Silvia Hallensleben
       
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