# taz.de -- Dokumentartheater: Kloster ohne Segen
       
       > Die Göttinger Werkgruppe 2 zeigt ein Stück über das ehemalige Kloster
       > Blankenburg. Die Eigentümer wollten sie aber nicht vor Ort spielen
       > lassen.
       
 (IMG) Bild: "Blankenburg" handelt vom gleichnamigen Ort für Ausgestoßene, darf aber nicht dort gespielt werden.
       
       BREMEN taz | Nein, auf Blankenburg liegt kein Segen. Im 13. Jahrhundert
       erbaut, diente das Dominikanerinnenkloster seit dem 16. Jahrhundert als
       Verwahrungsort für Arme, Waisen, Kranke, Arbeitslose, Prostituierte,
       psychisch Kranke und Asylbewerber. Heute steht das Anwesen am Rand von
       Oldenburg leer – eine gute Gelegenheit, dachte Matthias Grön, Dramaturg
       beim Oldenburger Staatstheater, die Geschichte dieses Orts theatral
       aufzuarbeiten.
       
       Grön lud die Göttinger Werkgruppe 2 ein, dazu ein Stück zu machen.
       Interviews ergaben 1.000 Seiten Zeitzeugenberichte, aus denen Regisseurin
       Julia Roesler und Dramaturgin Silke Merzhäuser eine 60-seitige Spielfassung
       destillierten. Dann aber erwies sich die Geschichte als übermächtig: Der
       Eigentümer, ein Oldenburger Immobilienunternehmer, verbat sich eine
       Theaterproduktion auf seinem Grund. So feierte „Blankenburg“ nun im
       Probenzentrum des Staatstheaters Uraufführung.
       
       Da hatte man nun zwar allerlei Gerät aufgestellt, das an den eigentlichen
       Ort erinnerte: Krankenbetten, Rollstühle, Kirchengestühl, ein
       Miniaturmodell des Klosters, dazu zeigten Diaprojektionen Impressionen aus
       Blankenburg, aber das ließ ließ den Blick hinter die Mauern umso mehr
       vermissen. Stattdessen findet sich das Publikum abgeschlossen von der
       Außenwelt, nur per Kopfhörer gibt es Vogelgezwitscher, nur einmal werden
       Vorhänge und Fenster aufgerissen. Wenn das auch in gewisser Weise passt zur
       jahrhundertelangen Abgeschiedenheit, um die es geht – es stellt das Stück
       doch auf eine harte Probe.
       
       ## Reste von Unmittelbarkeit
       
       Das fängt dabei vielversprechend an: Behutsam werden die Zuschauer an die
       Hand genommen – ganz buchstäblich: von jungen Mädchen, die später
       traumverloren im Chor singen – und an die alltäglichen Gegenstände geführt:
       ein Schlüsselbund, ein Federschmuck, eine Wäscheklammer. Überbleibsel,
       deren Bedeutung sich im Laufe des Abends klärt. Da erzählen Kinder von
       Blankenburg-Angestellten, ein Patient, ein Pfleger, ein Arzt und ein
       Flüchtling vom Leben in der Anstalt. Vorgetragen werden ihre Geschichten
       von Schauspielern, die teilweise – was noch ein wenig mehr Distanz erzeugt
       – mit lebensgroßen Puppen agieren.
       
       In Blankenburg wäre man nun über das Anwesen spaziert, wäre mit den Figuren
       in Interaktion getreten. Im Probenzentrum bleibt von dieser Unmittelbarkeit
       nur wenig übrig. Die meiste Zeit wird recht konventionell gespielt, und das
       entwickelt nur mit Mühe erzählerischen Sog. Erst gegen Ende behauptet sich
       das Ensemble gegen die Laborsituation, vor allem Thomas Lichtenstein als
       etwas schlichter Pfleger H., der schön norddeutsch stets von „Pazi-enten“
       spricht.
       
       Die Trennung zwischen Aufpassern und Patienten, Drinnen und Draußen, irre
       und normal erweist sich dabei allerdings durchaus als porös. Und ein
       bisschen auch die zwischen Bühne und Publikum: Einige Zuschauer werden
       zwischendurch in Abführstühle gesetzt, und in einer der intensivsten Szenen
       spielt das sechsköpfige Ensemble komplett verrückt, streift irrlichternd
       durch den Saal, ganz nah an uns heran, streckt die Hand nach uns aus, die
       wir ja zweifellos nicht in dieses Blankenburg gehören …
       
       ## Erzeugter Ausschluss
       
       Oder doch? Was oder wer produziert denn eigentlich regelmäßig, wenn nicht
       systematisch diese dysfunktionalen Menschen, derer sich die Gesellschaft
       immer wieder zu entledigen sucht? Könnte es nicht doch jeden treffen? Und
       wer würde nicht spätestens dann verrückt, steckte er oder sie erst in solch
       einer Einrichtung?
       
       „Gehn dir die Nerven durch/wirst du noch verrückter gemacht“, das sang ja
       schon Joachim Witt in seinem NDW-Psycho-Klassiker „Goldener Reiter“:
       Psychopharmaka, die vor allem verabreicht werden, um ruhigzustellen, damit
       die personell chronisch unterbesetzte Anstalt funktioniert; Abführtage, an
       denen zweimal in der Woche die Patienten auf Abführstühlen fixiert werden,
       nachdem sie, ob sie müssen oder nicht, ein entsprechendes Mittel bekommen
       hatten – vielleicht ist es an manchen Stellen ja doch ganz gut, dass es
       nun, in der Probebühne, diese Distanz gibt zwischen Erzählung und Ort.
       
       Insofern wirft „Blankenburg“ wichtige Fragen auf, die nicht so sehr die
       Zukunft eines einstigen Klosters im Oldenburgischen betreffen – vor allem
       die, warum es Orte so ähnlich wie diesen bis heute gibt. Bloß: Als Theater
       funktioniert das leider nur eingeschränkt. Je mehr wir von Blankenburg
       erfahren, desto mehr fehlt uns die Präsenz des Ortes. Ein Treppenwitz, dass
       ausgerechnet „Blankenburg“ als letzte Premiere des scheidenden Intendanten
       Markus Müller scheitert. Vielleicht liegt auf diesem Blankenburg doch ein
       Fluch.
       
       ## ■ nächste Aufführungen: Di, 24. 6.; Mi, 25. 6; Sa, 28. 6., Staatstheater
       Oldenburg, Probenzentrum
       
       22 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Schnell
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Blankenburg
       
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