# taz.de -- Die Wahrheit: Friede dem Nischel
       
       > Neue Marxismus-Debatte entfacht: Die Stadt Chemnitz streitet um die
       > sportliche Gegenwart ihres sozialistischen Erbes.
       
 (IMG) Bild: Not amused: Privatier Karl Marx in Chemnitz.
       
       In Chemnitz, dieser sonst so friedlichen sächsischen Metropole, tobt ein
       erbitterter Krieg unter den Bewohnern – glücklicherweise nur im Internet,
       wo außer der deutschen Sprache keine Opfer zu beklagen sind. Zankapfel ist
       die einzige Chemnitzer Sehenswürdigkeit: der „Nischel“ von Karl Marx, ein
       wuchtiger Bronzeschädel von Lew Kerbel.
       
       Im Auftrag der Stadt hat die Werbeagentur Zebra dem Sockel des Monuments im
       Rahmen der Imagekampagne „Die Stadt bin ich!“ ein Deutschland-Trikot samt
       Mercedes-Benz-Logo übergestreift. Die Wangen des Kommunisten ziert eine
       schwarz-rot-goldene Fanbemalung. Die Bild-Zeitung jubelte: „Karl Marx ist
       Deutschlands größter Fan.“
       
       Die Reaktionen der Chemnitzer waren gespalten: Eine Hälfte der Bevölkerung
       lobte die Aktion als „frech und witzig“, die andere beklagte
       „Denkmalschändung“. Militante Gegner des Projekts entrissen Karl Marx nach
       der ersten Einkleidung sein Trikot und ließen es besprüht mit einem Zitat
       zurück: „Arbeiter haben kein Vaterland.“
       
       Während dieser Streit um den Nischel noch nicht ausgestanden ist, bahnt
       sich schon ein weiterer, noch schlimmerer Konflikt an. Wegen klammer Kassen
       plant die Stadt Chemnitz nämlich, das Marx-Monument an einen privaten
       Investor zu veräußern. Aussichtsreichster Interessent ist ein Hamburger
       Milliardär, Eigentümer des Immobilienkonzerns GentrInvest. Insider
       berichten, GentrInvest plane, den Nischel zu entkernen, um in dem Hohlkopf
       eine Eigentumswohnung der Luxusklasse einzubauen. Die hohe Stirn des
       Philosophen biete genügend Raum für einen Balkon, die Tiefgarage soll
       direkt unter dem Sockel des Denkmals gebaut werden. Die Stadtverwaltung von
       Chemnitz soll bereits Zustimmung zu diesen Plänen signalisiert haben.
       
       Protest regt sich jedoch bei der Linken. Die marxistische Ikone Sahra
       Wagenknecht hat in einem offenen Brief sogar angekündigt, ein eigenes Gebot
       für den Nischel abgeben zu wollen. Sie erklärt, in den Werken von Hegel
       Hinweise darauf gefunden zu haben, im Nischel könne sich ein bislang
       unbekannter vierter Band des „Kapitals“ befinden. In diesem erläutere Marx
       deutlich, wie der Kommunismus als Verein freier Menschen verwirklicht
       werden könne, ohne zur Diktatur von Bürokraten zu degenerieren.
       
       Wagenknecht hat bei der Chemnitzer Stadtverwaltung eine Probebohrung
       beantragt. Zur Finanzierung hat sie die Crowdfunding-Aktion „Marx 3000“
       gestartet, die allerdings bislang nur 12,70 Euro einbrachte. Der Tenor der
       Kommentare bei Facebook: „Ich bin auch links und unterstütze den
       Kommunismus total, aber dafür bezahlen? Das geht gar nicht!“
       
       Was aber sagen Experten zum Kampf um den Kopf? Dr. Karl-Heinz Schnuppke,
       emeritierter Professor für Marxismus-Leninismus, äußerte am Telefon: „Macht
       doch mit Marx, was ihr wollt! Im Kapitalismus gibt es halt nichts, was
       nicht verwertet wird, nicht einmal die sterblichen Überreste des
       Kommunismus. Wenn es Che-Guevara-T-Shirts gibt, warum nicht auch das? Und
       nun entschuldigen Sie mich bitte, ich werde auf den Dachboden gehen, um
       mich aufzuhängen. Auf Wiederhören!“
       
       27 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Bittner
       
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