# taz.de -- Kenia und seine Ressourcen: Der Traum von Öl und Wasser
       
       > In Turkana, wo Nomaden zum Opfer des Klimawandels werden, wurden Erdöl
       > und unterirdische Seen entdeckt. Die Region ist seitdem im Umbruch.
       
 (IMG) Bild: Die Tankstelle ist schon da, auch wenn das Öl in Turkana noch gar nicht gefördert wird
       
       LODWAR taz | Die Autobahn führt in den hohen Norden von Kenia, nach
       Turkana, in die ärmste Region des Landes. Eine löchrige Piste, bestehend
       aus Kieselsteinen, Sand und Staub, und hier und da ein paar Brocken
       Asphalt. Die Turkana, die hier leben, sind ursprünglich Hirten, und sie
       sind Entbehrungen gewohnt. Aber unter dem ausgezehrten Land gibt es
       Bodenschätze: Öl und einige riesige unterirdische Seen. Darüber hinaus
       entsteht in der Provinz Afrikas größtes Windkraftprojekt. Wohlstand
       zeichnet sich am Horizont ab.
       
       Selina Lemulen ist da skeptisch. „Ich fürchte, dass das Öl nur andere reich
       macht: die Politiker“, sagt die Frau, die Anfang dreißig sein mag, aber
       deutlich älter aussieht. Das Klima ist rau in Turkana, sehr heiß, zu
       trocken. Im Schatten einiger Bäume, die an der Straße quer durch die
       Provinzhauptstadt Lodwar stehen, verkauft Lemulen Holzkohle. „Ich habe
       gehört, dass der Ölkonzern den größten Teil von Turkana umzäunen will. Wo
       soll dann unser Vieh weiden?“
       
       Selinas Mann ist schon weg, geflohen vor der Dürre. Mit seiner Kamel- und
       Schafherde ist er Richtung Uganda gewandert, auf der Suche nach Weideland
       und Wasser. Seine Frauen, Kinder und ein paar Ziegen hat er zurückgelassen,
       in einem kleinen Lager außerhalb von Lodwar. Selina Lemulen macht aus den
       spärlichen Bäumen Holzkohle, um die Familie über die Runden zu bringen.
       
       Vom Öl hält auch ihre Kollegin Esther Akelekan wenig. Als vor zwei Jahren
       bekannt wurde, dass es in Turkana Öl gibt, hatte sie gehofft, dass „unsere
       Probleme endlich ein Ende haben. Aber daraus ist nichts geworden“, sagt
       sie. „Von den Jobs, die mit der Suche nach Öl zusammenhängen, werden nicht
       unsere Kinder profitieren, sondern Menschen aus anderen Teilen Kenias.“
       
       ## Mangelhafte Informationspolitik
       
       Kein kenianischer Politiker, kein traditioneller Führer, kein Vertreter der
       hier nach Öl suchenden britisch-irischen Firma Tullow Oil sei je gekommen,
       um zu erklären, wie der Stand der Dinge sei, erklären beide Frauen. Für die
       Einheimischen sind Fiktion und Fakten unentwirrbar. Die mangelhafte
       Informationspolitik von Regierung und Unternehmen bringt die Turkana auf.
       Regelmäßig machen sie ihrer Empörung Luft und verlangen lautstark mehr
       Arbeitsplätze und Entschädigung für die eingezäunten Weideflächen, die
       ihnen nun nicht mehr zur Verfügung stehen, weil dort nach Öl gesucht wird.
       
       Jainus Lainga von der Gerechtigkeits- und Friedenskommission der
       katholischen Kirche in Turkana befürchtet, dass die Ölfunde in der Region
       sogar gewaltsame Auseinandersetzungen zur Folge haben könnten. „Früher
       bereitete uns der Viehdiebstahl Kopfschmerzen. Jetzt kommen noch Landraub
       und der politische Kampf ums Öl dazu“, sagt er.
       
       Seit in Turkana Öl gefunden wurde, reklamieren Politiker aus der
       angrenzenden Region Pokot einen Teil des Gebiets als zu ihnen gehörig. Die
       Volksgruppen der Pokot und Turkana sind seit jeher verfeindet, streiten
       gewaltsam um Vieh und Weideflächen; immer wieder gibt es blutige
       Auseinandersetzungen. Die Staatsmacht ist hier im Norden wenig präsent.
       
       ## Hier geht niemand freiwillig hin
       
       Um so wichtiger findet Jainus Lainga mehr Transparenz vonseiten der
       Regierung, die in der fernen Hauptstadt Nairobi mit Tullow Oil die Verträge
       aushandelt. Der Konzern müsse offenlegen, was er für die lokale Bevölkerung
       zu tun bereit sei. Auf der Website von Tullow steht zu lesen, dass das
       Unternehmen in Turkana über 2 Millionen Euro für „soziale Investitionen“
       bereitgestellt habe. Doch welche sind das?
       
       Jainus Lainga zuckt mit den Achseln. Er wüsste nur, dass Tullow hier und da
       etwas für Bildung und Gesundheit zahle. „Das Unternehmen scheint wie die
       Regierung in Nairobi zu denken, dass die Turkana zurückgebliebene Nomaden
       sind, die sich mit jedem Krümel zufriedengeben. Aber das ist vorbei.“
       
       Unter Kenias wechselnden Regierungen ist Turkana der am meisten
       vernachlässigte Landesteil geblieben. Nur in Wahlkampfzeiten schauen
       Politiker vorbei und werben um Stimmen. Nach Turkana werden Polizisten,
       Soldaten und Beamte strafversetzt, freiwillig arbeitet hier kein Lehrer
       oder Arzt.
       
       ## Engagierte Katholiken
       
       Nicht die Regierung, sondern die katholische Kirche hat Schulen und
       Kliniken in Turkana gebaut. Sie bezahlt Schulungen, damit sich Schüler als
       Lehrer oder für die Krankenpflege qualifizieren können. Heute ist ein
       beträchtlicher Teil der Bevölkerung gut ausgebildet – und gibt sich mit der
       Marginalisierung nicht länger zufrieden.
       
       2013 wurde Kenia dezentralisiert, das Land in 47 Regionen unterteilt. Die
       neu geschaffenen Regionalbehörden von Turkana fordern nun Einblick in die
       Verträge, die zwischen Tullow Oil und der Zentralregierung ausgehandelt
       worden sind. Es geht darum, wie das Öleinkommen verteilt wird, wenn in ein
       paar Jahren das schwarze Gold an die Oberfläche kommt. Erst vor kurzem,
       nach langem Drängen, wurden die Verträge nach Turkana zur Begutachtung
       geschickt.
       
       ## Neue, gut ausgebildete Leute
       
       Joseph Epuu, Direktor des regionalen Ministeriums für Naturressourcen und
       Umwelt, hat an seinem freien Tag Anzug und Krawatte gegen T-Shirt und
       Shorts getauscht. Im Schatten eines Strohdachs nippt er an seiner kalten
       Limonade und erläutert: „Vor der Dezentralisierung wurde über das Öl
       verhandelt, ohne die Turkana miteinzubeziehen. Jetzt können wir Forderungen
       stellen. Es könnte ein heftiges Ringen werden. Aber wir Turkana sind
       kampferprobt.“
       
       Joseph Epuu fürchtet, dass trotz des raschen Handelns seiner Behörde das Öl
       in Turkana mehr Fluch als Segen bringen könnte. Er zählt die afrikanischen
       Länder auf, in denen nur eine kleine Elite vom Ölreichtum profitiert hat:
       Nigeria, Äquatorialguinea.
       
       Und was ist mit dem anderen, neu entdeckten Bodenschatz, Turkanas
       unterirdischen Seen? Auch hier ist die Lage kompliziert, anders als beim
       Öl, denn die unterirdischen Seen werden von Flüssen gespeist, die aus
       Uganda kommen. Also hat Uganda Ansprüche auf die unterirdischen Gewässer
       angemeldet. Der potenzielle Streit ums Öl genügt Joseph Epuu erst mal
       völlig. „Das Wasser läuft nicht weg“, sagt er. „Wir müssen in Ruhe eine
       Firma suchen, die das Wasser an die Oberfläche holen kann.“
       
       Einer der unterirdischen Seen befindet sich nicht weit der
       Provinzhauptstadt Lodwar. Auf einer leeren Sandebene stehen ein Gerüst mit
       Solarzellen und ein blau gestrichenes Pumpenhaus. Ein schäbig gekleideter,
       alter Mann kommt langsam angelaufen, die Enkelkinder im Schlepptau. „Das
       sind die fünf Brunnen“ sagt er und zeigt auf die verschlossenen Ventile.
       „Die sechste Bohrung scheiterte, weil eine dicke Gesteinsschicht im Weg
       war.“ Die Ausländer, die die Suche im letzten Jahr leiteten, hätten
       Wasserproben mitgenommen. „Seitdem ist nichts mehr passiert.“
       
       ## „Wasser ist Leben“
       
       Während der Alte spricht, spielen die Kinder im Sand. Ihre kleinen Körper
       sind staubig. Wenn ihre Mütter sie am Abend waschen wollen, müssen sie mehr
       als eine halbe Stunde laufen, um Wasser zu holen. Der alte Mann bekommt
       einen träumerischen Blick in seinen Augen, wenn er über die unterirdischen
       Seen spricht. „Sobald Wasser aus dem Boden kommt, werden wir Nahrungsmittel
       anbauen“, malt er die Zukunft aus. „Dann müssen wir nicht mehr so weit
       wandern mit unseren Tieren auf der Suche nach Wasser. Die Kinder in der
       Schule verlieren keine wertvolle Zeit mehr, weil sie Wasser holen müssen
       für die Toiletten und den Abwasch. Wasser bringt Leben. Ein besseres
       Leben.“
       
       Experten wie der Umweltschützer Emmanuel Kisangau von der Regionalregierung
       glauben jedoch nicht daran, dass das Wasser Turkana in eine grüne Oase
       verwandeln wird. Das Gebiet leidet zu stark unter dem Klimawandel. Die
       Dürreperioden dauern immer länger und finden immer häufiger statt, während
       zugleich die Bevölkerung und die Zahl der Nutztiere wachsen. „Die
       traditionelle Hirtenexistenz hat keine Zukunft“, konstatiert Kisangau.
       
       Das Problem, sagt er, seien die Schafe und Ziegen. Ihre Kühe haben die
       meisten Turkana schon durch Kamele ersetzt, weil die besser mit der Dürre
       umgehen können. Aber nach wie vor sei es das Ideal eines Nomaden, möglichst
       viele Tiere zu besitzen, als wandelndes Sparkonto.
       
       ## Nomaden sollten umdenken
       
       Während der Umweltschützer erklärt, wandert er auf einer kahlen Sandfläche.
       Der Wind formt Sandhöschen, die wirbelnd über die Ebene tanzen. Kisangau
       bückt sich, um mit beiden Händen Sand aufzuheben. „Hier wuchs mal Gras“,
       sagt er. „Aber Sie sehen ja, es gibt keine Wurzeln, keinen Samen mehr im
       Boden. Hier wird nie wieder eine Wiese wachsen, wenn wir nicht eingreifen.
       Man muss das Ganze abzäunen und dann säen.“
       
       Von entscheidender Bedeutung ist für Kisangau, dass die Nomaden ihre Herden
       reduzieren. Und zu einer modernen Art der Viehzucht übergehen. Doch das
       steht ihren langjährigen Traditionen entgegen. Immerhin hätten sie jetzt
       eine Lokalregierung, sagt Kisangau, die für den Umweltschutz verantwortlich
       sei. „In den Behörden sitzen lauter Turkana, die die Probleme nur zu gut
       kennen. Jedenfalls viel besser als die Politiker 700 Kilometer südlich in
       Nairobi.“
       
       6 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ilona Eveleens
       
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