# taz.de -- WM-Viertelfinal-Premiere für Kolumbien: Vor der ganz ganz großen Geschichte
       
       > Kolumbien hat eine fein ausbalancierte Mannschaft – und einen James
       > Rodríguez. Ob das für den Sieg gegen die favorisierten Brasilianer
       > reicht?
       
 (IMG) Bild: Bisher der beste Mann im gesamten Turnier: James („Chames“) Rodríguez.
       
       BERLIN taz | Wenn man den wesentlichen Unterschied zwischen der
       kolumbianischen und den meisten anderen Viertelfinalisten benennen müsste,
       vor allem auch den deutschen, dann könnte man sagen: Kolumbiens Trainer
       José Pekerman denkt nicht in Problemen, die behoben werden müssen.
       
       Sondern er arbeitet hauptsächlich daran, das umzusetzen, was sein Team
       besonders gut kann. Diese Unterscheidung ist etwas zu simpel, aber die
       Richtung stimmt. Selbstverständlich ist die globale Annäherung an dieses
       zuvor weitgehend unbekannte Team vor allem über den Heldenfußballer James
       Rodríguez, 22, erfolgt.
       
       Obwohl der AS Monaco letzten Sommer laut Presseberichten 45 Millionen Euro
       für ihn an den FC Porto zahlte, war James (sprich: Chames) den europäischen
       Fußballinteressierten weitgehend unbekannt. Mit fünf Toren und zwei Assists
       hat er derzeit sogar Messi, Neymar, Müller und Benzema abgehängt. Im
       Ranking der Kreativspieler steht vor dem Viertelfinale nur noch Arjen
       Robben auf einer Ebene mit ihm.
       
       Sein erster Treffer beim Achtelfinalsieg gegen Uruguay, ein grandioser
       Volley aus 20 Metern, gehört sicher zu den bleibenden Momenten dieser WM
       und ist ein Beweis, dass es für den Erfolg neben speziellem Matchplan,
       Mentalität und Teamwork besondere Dinge braucht, die nur besondere Spieler
       können.
       
       ## Wille zum Toreschießen
       
       James agiert zwischen den beiden Linien des Gegners, teilweise als
       Spielmacher, teilweise als sogenannte 9, und er leistet auch seriöse
       defensive Laufarbeit. Wenn man ihn mit Özil oder auch Brasiliens Oscar
       vergleicht, so schneiden die beiden dabei nicht gut ab, weil ihnen das
       fehlt, was James auch einbringt: den Willen zum Toreschießen und die Mittel
       dafür.
       
       Pekerman wehrt sich verständlicherweise gegen einseitige
       Heldenstilisierung. „Das ganze Team arbeitet sehr gut, und wir liefern
       gleichwertige Vorstellungen“, sagt er. Kolumbien hat in der Tat als
       Mannschaft etwas Solitäres: Sie ist in der Balance.
       
       Anders etwa als der heutige Viertelfinalgegner Brasilien und auch als das
       deutsche Team hat Pekerman bisher Sicherheit und Abenteuertum sehr fein
       ausbalanciert. Obwohl sichtbar sieben Leute defensiv und vier offensiv
       vorgesehen sind, zerfällt das Team nicht in zwei Teile.
       
       Während für das DFB-Team über weite Phasen gegen Algerien eigener
       Ballbesitz ein hohes Risiko war, hat Kolumbien nicht nur den Ballbesitz
       dosiert, sondern vermeidet vor allem gefährliche Situationen bei
       Ballverlust. Das liegt an einer athletischen, lauf- und zweikampfstarken
       Defensive, zu der auch die beiden defensiv denkenden Sechser Aguilar und
       Sanchez gehören und zu deren Stabilität die beiden Außen beitragen.
       
       Was nicht ausschließt, dass Aguilar ein Raketentor von James vorbereitet,
       wie jenes 1:0 über Uruguay. Dessen zweiter Treffer wurde dann von Cuadrado
       entworfen, dem Rechtsaußen und Hauptvorbereiter kolumbianischer Treffer.
       Dass es ohne den verletzten Starstürmer Falcao geht und auch der
       Neu-Dortmunder Adrián Ramos kaum gebraucht wird, zeigt, wie gut man in der
       Offensive aufgestellt ist.
       
       ## 45 Prozent Ballbesitz
       
       Die Kolumbianer machten bisher einen dominanten Eindruck, hatten aber in
       der Vorrunde nur etwa 45 Prozent Ballbesitz pro Partie. Das lag zum einen
       am Spielverlauf, zum anderen vielleicht auch daran, dass sie mit dem Wetter
       spielen. Sie sind sehr flexibel, streuen Hochgeschwindigkeitsphasen mit
       Aktionswillen ein, lassen aber bei Hitze über längere Strecken auch den
       Gegner in die Vorlage gehen.
       
       Man kann mit dem Begriff „historisch“ sicher etwas sparsamer umgehen, als
       es bei dieser WM gemacht wird – aber ein Viertelfinale hatte Kolumbien noch
       nie erreicht. Das muss auch mit dem Argentinier Pekerman zu tun haben.
       Dreimal war er mit Argentinien Juniorenweltmeister. 2006 brachte er ein
       wettbewerbsfähiges Argentinien zur WM und scheiterte im Elfmeterschießen am
       Deutschland.
       
       Nun hat er auf der Grundlage einiger sehr starker Jahrgänge ein
       kolumbianisches Team entwickelt, das mehr Potenzial hat als die sogenannte
       Goldene Generation von 1990. Pekermans neues Kolumbien liegt auf Rang 4 der
       Weltrangliste, hat die Qualifikation locker geschafft, die letzten elf
       Spiele nicht verloren (sieben Siege) und dabei nur neun Gegentore bekommen.
       Und in diesem Turnier sind es bisher erst zwei, das ist ein Schnitt von 0,5
       Gegentoren pro Spiel.
       
       Kann man an diesem Freitag (22 Uhr, ARD) also tatsächlich auch den
       Gastgeber Brasilien schlagen? Den Ausschlag wird tendenziell nicht das
       Starduell zwischen Neymar und James geben, sondern der bessere Matchplan.
       Wenn es den Kolumbianern gelingt, selbst stabil zu bleiben, Brasilien
       nervös zu machen, Dani Alves oder Marcelo bei Vorstößen kalt zu erwischen
       und über den freigegebenen Flügel Brasiliens Abwehr aufzureißen, dann wird
       das die ganz, ganz große Geschichte.
       
       4 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Unfried
       
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