# taz.de -- Jean Echenoz' Roman „14“: Blaue Helme, rote Hosen
       
       > Große Erzählkunst: In „14“ schildert Jean Echenoz, wie Franzosen in den
       > Ersten Weltkrieg geschickt wurden – unbehelmt, aber mit Musikkapelle.
       
 (IMG) Bild: Französische Soldaten auf einem der ersten Farbfotos, 1916.
       
       In roten Hosen und ohne Helm, nur mit einer Kappe auf dem Kopf, ziehen die
       Soldaten in die ersten Gefechte des Ersten Weltkriegs. Erst nach und nach
       beginnt das Oberkommando zu begreifen, dass die Zeiten des Nahkampfs vorbei
       sind und die Truppen anders ausgerüstet werden müssen.
       
       Eine eiserne „Hirnschale“ wird ausgegeben, die unter dem Käppi getragen
       werden soll, aber auch in den langen Gefechtspausen zum Braten von
       Spiegeleiern verwendet werden kann. Dieses Utensil wird bald danach durch
       echte Stahlhelme ersetzt, die aber, ihrer hellblauen Farbe wegen, von
       Weitem sichtbar sind und zu Tarnungszwecken mit Schuhcreme oder Erde
       geschwärzt werden müssen.
       
       Ja, Jean Echenoz hat seine Geschichtshausaufgaben gemacht, bevor er diesen
       federleichten, novellenschmalen [1][historischen Roman] schrieb, der etwa
       ein Jahr im Leben eines jungen Mannes aus der Vendée umfasst. Die
       beiläufige Detailgenauigkeit, mit der die Erzählung ihren Protagonisten und
       dessen Umfeld begleitet, liefert einerseits ein historisch verlässliches
       Bild einer schicksalhaften Epochenwende.
       
       Zum anderen wird die erzählte Situation dadurch umso plastischer greifbar,
       nachspürbar für die Nachgeborenen. Das Präsens als Erzählzeit katapultiert
       uns direkt in jene Tage des Jahres 1914, als die Welt sich grundlegend
       änderte, die Menschen davon jedoch noch nichts wussten.
       
       Der junge Anthime jedenfalls, dessen Kriegserlebnisse „14“ in den
       Mittelpunkt stellt, stolpert reichlich arglos in das große Töten und
       Getötetwerden hinein. Sein älterer Bruder Charles wird zur selben Zeit
       gezogen wie er selbst, kommt aber zu einer anderen, vermeintlich sicheren
       Einheit. Als einer der ersten Fliegersoldaten überhaupt wird Charles
       allerdings einen besonders schnellen Tod finden.
       
       Auch die meisten Freunde Anthimes überleben das erste Kriegsjahr nicht, und
       er selbst hat das große Glück, durch einen Querschläger den rechten Arm zu
       verlieren. Dieser Umstand ermöglicht es ihm, den Rest des Krieges als
       Zivilist zu verbringen. Da er zudem mehr oder weniger die reiche Braut
       seines Bruders erbt, kann Anthime geradezu als Kriegsgewinnler betrachtet
       werden.
       
       Und unter anderem, weil sein kleiner Roman also im Prinzip mit einem –
       zumindest unter den gegebenen Umständen – Happy End schließt, ist der
       leichte, ironische Ton, den Echenoz als Erzählduktus gewählt hat, dem Ernst
       der Sache durchaus angemessen. Ironie als Erzählhaltung ist im inhaltlichen
       Rahmen eines Kriegsromans zwar einerseits eine riskante Wahl, doch
       andererseits ist sie eine Haltung, die von vornherein eine gewisse Distanz
       zum Erzählgegenstand gewährt, einen emotionalen Sicherheitsabstand. Es ist
       gleichsam so, als sähe man die geschilderten Ereignisse von weit weg, doch
       durch ein extrem stark vergrößerndes Fernglas.
       
       ## Hülle der Kriegsperformance
       
       Nicht zuletzt ist es auch eine Frage der Lesefreundlichkeit – sicher auch
       der heutigen Lesegewohnheiten –, die detaillierte Schilderung der
       unerträglichen bis tödlichen Zumutungen, die der Erste Weltkrieg den
       Soldaten abverlangte, zu verbinden mit einer innerlich losgelösten
       Einstellung zum Erzählgegenstand. Eine empathische Lesehaltung wäre
       angesichts der geschilderten Ereignisse ungleich schwerer auszuhalten.
       
       Und so im großen Ganzen betrachtet ist auch der Krieg, das zeigt Echenoz
       mit seiner lapidaren Beschreibungskunst sehr eingängig, nur ein Teil der
       großen Comédie humaine. Worum es in diesem Krieg geht, in den Anthime,
       Charles und die anderen ziehen, kommt an keiner Stelle zur Sprache. Nur die
       absurde Hülle der Kriegsperformance bleibt übrig.
       
       Lächerlich sind die feierlichen Paraden, komisch die Ausrüstung der
       Soldaten, verrückt die musikalische Livebegleitung des mörderischen
       Schlachtgeschehens durch eine sehr schnell immer kleiner werdende
       Militärkapelle. Absurd stellt sich eine Szene dar, in der ein Freund
       Anthimes, durch die Kriegserlebnisse unzurechnungsfähig geworden, sich zu
       einem Spaziergang durch die idyllische Landschaft von der Truppe entfernt
       und als Deserteur erschossen wird.
       
       In Szenen wie dieser allerdings schimmert durch den sanften Plauderton
       dieser Prosa doch der große dunkle Tragödienstoff, den Echenoz so geschickt
       hinter dem Gewand der ironischen Erzählkomödie verborgen hält. „14“ ist ein
       so kleiner Roman. Aber wirklich nur äußerlich.
       
       5 Jul 2014
       
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 (DIR) [1] http://www.hanser-literaturverlage.de/buecher/buch.html?isbn=978-3-446-24500-6
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katharina Granzin
       
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