# taz.de -- Im Helmholtz-Zentrum Berlin: Reaktor ist nicht ganz dicht
       
       > Der Forschungsreaktor in Wannsee steht still. Recherchen der taz haben
       > ergeben: Er musste im November 2013 aus Sicherheitsgründen abgeschaltet
       > werden.
       
 (IMG) Bild: Große Halle, winziger Riss: das Helmholtz-Zentrum in Wannsee.
       
       Der einzige Atomreaktor Berlins, der BER II in Wannsee, ist aus
       Sicherheitsgründen abgeschaltet und seitdem nicht wieder angefahren worden.
       Das haben Recherchen der taz ergeben. Wegen aufwendiger Reparaturarbeiten
       wird der Betrieb, der bereits Ende vergangenen Jahres eingestellt wurde,
       vermutlich erst zum Jahresende wiederaufgenommen.
       
       Laut des Helmholtz-Zentrums Berlin (HZB), das den Forschungsreaktor
       betreibt, ist die Vorbereitung neuer Experimente für die anhaltende
       Betriebsunterbrechung verantwortlich. Das ist aber nicht die ganze
       Wahrheit: Aus den Akten der Atomaufsicht des Landes Berlin geht hervor,
       dass der Reaktorbetrieb im November 2013 kurzfristig gestoppt werden
       musste. Der Grund: Ein schon länger beobachteter Schaden in einem Bauteil
       war schneller als erwartet angewachsen.
       
       Das Problem ist eine Reihe feiner Risse, die sich durch eine Schweißnaht
       ziehen. Die Naht befindet sich im Inneren des Reaktorbeckens und fixiert
       dort ein Rohr des Kühlsystems, welches das vom Reaktorkern erhitzte Wasser
       umwälzt. Durch einen Bruch der Schweißnaht hätte das Rohr unkontrolliert in
       Bewegung geraten können, Bruchstücke der Schweißnaht wären möglicherweise
       durchs Becken „vagabundiert“. Im schlimmsten denkbaren Fall hätte sich der
       Riss ins Rohr selbst übertragen. Bei einem Bruch des Rohres wäre der
       Reaktorkern nicht mehr ausreichend gekühlt worden.
       
       Bekannt war dieser Schaden allerdings schon länger: Seit 2010 wurden die
       anfangs deutlich kleineren Risse genau beobachtet. Auch ein Bericht des
       RBB-Magazins „Kontraste“ im Juni 2011 nahm darauf Bezug, interpretierte die
       Problematik jedoch als „Leck“ – was den Punkt nicht ganz trifft: Obwohl
       Wasser durch die Risse sickern konnte, befand sich das Bauteil mitten im
       Reaktorbecken. Kontaminiertes Wasser konnte deshalb nicht aus dem
       Gesamtbecken austreten, wie das HZB und die bei der Senatsumweltverwaltung
       angesiedelte Atomaufsichtsbehörde einwandten.
       
       ## Beschleunigtes Wachstum
       
       Anfangs wuchsen die Risse sehr langsam. Dann aber, so geht es aus den Akten
       der Atomaufsicht hervor, beschleunigte sich dieser Prozess in der zweiten
       Hälfte des Jahres 2013. Am 22. November machte das HZB Meldung beim TÜV
       Rheinland, der die Schadensentwicklung im Auftrag der Atomaufsicht
       überwachte: Die Länge der Risse belaufe sich in der Summe auf 109
       Millimeter. Zu einem früheren Zeitpunkt hatten alle Beteiligten festgelegt,
       dass bei 130 Millimeter Gesamtrisslänge der Betrieb unterbrochen werden
       müsse, um den „spontanen Abbruch“ des Bauteils auszuschließen.
       
       Weil sich der Vorgang so beschleunigt hatte, befand der Experte des TÜV,
       sei „eine positive Aussage“ zum Weiterbetrieb nicht länger möglich. In
       einem späteren Schreiben der Atomaufsicht an das HZB heißt es, der
       TÜV-Sachverständige sei zu dem Schluss gekommen, dass „ein sicherer Betrieb
       der Anlage nicht nachgewiesen ist“.
       
       Trotz dieser eindeutigen Ansage verging laut den Akten noch eine Woche, bis
       das HZB am 29. November den Reaktor tatsächlich herunterfuhr. Offenbar
       hatte das Unternehmen gehofft, den BER II noch bis Februar 2014
       weiterbetreiben zu können. Eine Betriebsgenehmigung von der Atomaufsicht
       gab es wegen des Schadensfalls ohnehin nur bis zu diesem Zeitpunkt. Die
       Behörde begrüßte im Nachhinein ausdrücklich die Entscheidung, den Betrieb
       zu stoppen.
       
       Seit sieben Monaten steht der Reaktor nun still, der französische
       Reaktorhersteller Areva entwickelt mittlerweile ein Traggerüst, das die
       Fixierung des Rohrs übernehmen soll. Einfach ist das alles nicht: Weil sich
       die betroffenen Bauteile nah am Reaktorkern befinden, wo die Strahlung sehr
       hoch ist, kann man nicht einfach zur Montage ins Betonbecken
       hinuntersteigen oder -tauchen – alle Arbeiten müssen ferngesteuert
       ausgeführt werden. Vor Ende des Jahres ist nach Einschätzung von Fachleuten
       nicht mit einem Abschluss der Arbeiten zu rechnen. Die allgemeine
       Betriebsgenehmigung für den BER II läuft 2019 aus.
       
       Das HZB selbst begründet die Betriebsunterbrechung seit Monaten mit dem
       Einbau des nagelneuen „Hochfeldmagneten“ – eines Hightech-Geräts, das an
       den Reaktor angeschlossen werden soll, um etwa Supraleiter zu erforschen.
       Auf eine erste Anfrage der taz im Februar antwortete HZB-Sprecherin Ina
       Helms, man wolle „die Zeit der Vorarbeiten optimal nutzen, um alle
       Inspektions- und Wartungsarbeiten vorzuziehen, die zum Teil noch aus dem
       letzten Upgrade resultieren“. Diese Formulierung kaschiert die
       Sicherheitsproblematik, die die Abschaltung notwendig machte, völlig.
       Korrekt ist sie nur insofern, als die Betreiber jetzt alles dafür tun, dass
       die Nutzung des extrem teuren Magneten später nicht noch einmal
       unterbrochen werden muss.
       
       ## "Bekannte Schwachstelle"
       
       Erst als die taz im Mai Akteneinsicht bei der Atomaufsicht beantragte,
       erwähnte das HZB die Riss-Problematik plötzlich in einer Pressemitteilung
       zu einer ganz anderen Thematik – als „bekannte potentielle Schwachstelle“,
       die „kein sicherheitsrelevantes Bauteil“ betreffe. In dem Text auf der
       HZB-Website ([1][tinyurl.com/oq6rgql]) heißt es weiter, der Reaktor sei
       Ende November 2013 „zum Zwecke umfangreicher Ertüchtigungsarbeiten“
       heruntergefahren worden. Zwar gehe von dem Riss weiterhin „keine
       Gefährdung“ aus, „der konkrete Verlauf seiner Weiterentwicklung“ sei
       allerdings „rechnerisch nicht zu ermitteln“.
       
       Offenbar wählt das HZB die Worte sehr genau. Die getroffenen Aussagen sind
       nicht falsch – aber sie suggerieren, hier werde ein Schaden vorausschauend
       beseitigt, weil sich ohnehin gerade ein Zeitfenster anbiete. Offenkundig
       war es andersherum: Der Reaktor wurde heruntergefahren, weil ein
       sicherheitsrelevantes Problem in eine kritische Phase eingetreten war.
       
       Spätere Ultraschalluntersuchungen der Schweißnaht haben übrigens ergeben,
       dass das Rohrmaterial noch nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde.
       Allerdings wurden dabei in der Schweißnaht noch mehr Risse entdeckt, die
       bislang nicht an die Oberfläche durchgedrungen und sozusagen „unsichtbar“
       waren.
       
       7 Jul 2014
       
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