# taz.de -- Die WM der Torhüter: Die letzten Helden
       
       > Manuel Neuer, Keylor Navas, Tim Krul − bei dieser WM stehen oft die
       > Torhüter im Mittelpunkt. Was sagt das über den modernen Fußball?
       
 (IMG) Bild: Mittlerweile kennt man ihn: Sergio Romero hat Argentinien den Einzug ins Finale gesichert.
       
       Romero. Sergio Romero. Bis zum [1][Halbfinale gegen Holland] dürfte nicht
       vielen Fußballfans dieser Name geläufig gewesen sein; es hätte nicht einmal
       verwundert, wenn Lionel Messi eingestanden hätte, er wisse auch nicht
       genau, wer dieser Typ ist, der in seiner Mannschaft hinten steht.
       
       Seit der Mann im Elfmeterschießen den schlechten Schuss von Ron Vlaar und
       den gar nicht schlechten Schuss von Wesley Sneijder gehalten hat, weiß man,
       wie er heißt: Sergio Romero. Er ist 27 Jahre alt, wurde 2009 mit Alkmaar
       überraschend niederländischer Meister (Trainer damals: [2][Louis van Gaal])
       und war in der jüngst beendeten Spielzeit von Sampdoria Genua an den AS
       Monaco ausgeliehen. Im Fürstentum saß Romero überwiegend auf der Bank. Im
       Tor stand zumeist Danijel Subasic, der ebenfalls bei der WM in Brasilien
       dabei war – als Nummer 2 der kroatischen Nationalmannschaft.
       
       Okay, der Elfmeter ist ein Ausnahmefall, bei dem der Torwart allenfalls ein
       paar Dinge richtig, aber fast nichts falsch machen kann. Selbst bei Jens
       Lehmanns berühmtem Spickzettel im WM-Viertelfinale 2006 ging es vor allem
       um Psychologie.
       
       Seine eigentliche Wirkung entfaltete der Zettel nicht durch
       Datenbankauskünfte über die Vorlieben der Schützen (so war Estaban
       Cambiasso, dessen Schuss Lehmann hielt, da gar nicht notiert), sondern
       dadurch, dass Lehmann die Argentinier verunsicherte, indem er ständig den
       Zettel aus der Stutze hervorkramte. Was darauf stand, war zweitrangig, es
       hätte auch das Rezept von Oma Köpkes Apfelkuchen sein können.
       
       ## Navas, Krul, Neuer
       
       Dass Argentinien nun ebenfalls eine Torwarterzählung im Turnier hat, passt
       zu dessen Verlauf. Falls – außer der [3][SIEBEN] (zu deren Randnotiz der
       [4][Ausfall von Neymar] inzwischen geschrumpft ist) und [5][dem Biss] – von
       dieser WM auf lange Sicht überhaupt etwas anderes in Erinnerung bleibt,
       dann wohl Geschichten von Torhütern.
       
       Allen voran der niederländische Ersatztorwart Tim Krul, den Louis van Gaal
       als vermeintlichen Elfmeterkiller einwechselte, zu dem er aber erst durch
       diesen [6][Psychotrick wurde]. Oder der Mexikaner Guillermo Ochoa, der die
       [7][Brasilianer zur Verzweiflung] brachte und als Einziger die Vorrunde
       ohne Gegentor überstand. Oder der Chilene Claudio Bravo, der maßgeblich
       Anteil an der [8][entscheidenden Niederlage] der Spanier hatte. (Deren
       Torverhältnis aus ihren ersten beiden Spielen belief sich übrigens auf
       1:7).
       
       Oder Keylor Navas, der Held Costa Ricas, insbesondere des Achtelfinals
       gegen Griechenland, bei dem er trotz der Unterzahl sein Team [9][ins
       Elfmeterschießen rettete] und dann zweimal hielt. Oder der Amerikaner
       [10][Tim Howard], von dem die Fifa-Statistik den Rekordwert von 27 Paraden
       notiert. Oder, trotz seines [11][Patzers im Achtelfinale] gegen Frankreich,
       der Nigerianer Vincent Enyeama, der in dieser Statistik hinter Howard und
       Neuer auf dem dritten Platz steht. Und natürlich [12][Manuel Neuer], der
       Libero, der derzeit beste Torwart der Welt.
       
       ## Autoritäre Diven
       
       Vorbehaltlich des Finals und des letzten Auftritts des Gastgebers ist es
       ein Turnier der Torhüter – obwohl viele der Genannten bei kleineren Klubs
       spielen und drei der Besten der vergangenen Jahre nicht dabei waren (Petr
       Čech) oder mehr ([13][Iker Casillas)] bzw. weniger ([14][Gianluigi Buffon])
       zum frühen Ausscheiden ihrer Teams beitrugen.
       
       Bei einer Weltmeisterschaft manifestieren sich Entwicklungen im Fußball,
       die vorher schon stattgefunden haben. Manchmal. Aber nicht alles ist
       Ausdruck einer allgemeinen Tendenz. So wie in Südafrika der Befund von der
       [15][Patzer-WM] bloß die Summe vieler Einzelfälle war, ist auch die
       Torwart-WM vielleicht nur eine Momentaufnahme. Aber vielleicht ist es mehr.
       
       Der moderne Fußball, in dem erst [16][Spanien/Barcelona] und nun
       [17][Deutschland/Bayern] den State of the Art markieren, ist – der
       Restauration in Brasilien und Argentinien zum Trotz – die Abkehr vom
       Starfußball. Wenn aber der Mittelstürmer der „falschen 9“ weicht, wenn der
       anstelle des „Spielmachers“ ein Mittelfeld tritt, in dem, mit
       unterschiedlichen Nuancen, alle alles machen, kurz: Wenn der moderne
       Fußball nicht mehr die Stars früherer Prägung gebiert, dann braucht es
       Ersatzhelden.
       
       ## Neon, immer neon
       
       Für diese Rolle aber ist keiner besser prädestiniert als jener Spieler, dem
       ohnehin eine Sonderrolle zukommt, der als Einziger den Ball in die Hand
       nehmen darf und sich schon farblich von seinen Mitspielern abgrenzt (neon,
       seit den Tagen des Mexikaners Jorge Campos immer neon).
       
       Viele, nicht alle, die diese Sonderrolle haben, sind Sonderlinge;
       exzentrische, mitunter autoritäre Charaktere. Aber sie alle sind
       Individualisten, zumindest auf dem Platz müssen sie es sein. Leute, die die
       Ruhe in Person sind. Oder in deren Seelen Urgewalten zu toben scheinen.
       Oder abwechselnd beides. Auf jeden Fall aber sensible, divenhafte Wesen,
       die von jeder Rotation ausgenommen sind und Auswechslungen oder
       Nichtnominierungen als „Demontage“ wahrnehmen.
       
       So half van Gaals Wechseltrick zwar im Elfmeterschießen gegen Costa Rica,
       hatte aber den Nebeneffekt, dass der Stammhüter Jasper Cillessen, der in
       diese Finte nicht eingeweiht worden war, sichtlich irritiert wirkte. Im
       Elfmeterschießen gegen Argentinien versuchte er anfangs, es seinem
       Ersatzmann gleichzutun und den gegnerischen Schützen Messi zu verwirren,
       aber beeindrucken ließ sich davon niemand. Romero hielt zwei Elfmeter,
       Cillessen keinen. Das ist die nachgereichte Pointe dieser
       WM-Torwartgeschichte.
       
       ## Torwart gegen Ball
       
       Geändert hat sich auch die Rolle des Torwarts: Wenn die Defensive im Sturm
       beginnt, beginnt die Offensive logischerweise mit dem Ballbesitz des
       eigenen Torwarts. Die Figur des mitspielenden Torwarts beherrscht Neuer
       besser als jeder andere, was ihn von früheren deutschen Torwarthelden von
       Toni „Teufelskerl“ Turek bis Oliver „Titan“ Kahn unterscheidet.
       
       Aber eines hat sich nicht geändert: Das Duell Torwart gegen Ball ist der
       existenzielle, letzte Moment, der über Erfolg und Niederlage entscheidet.
       Ein Moment, den jeder sofort kapiert. Hier endet jede
       Verwissenschaftlichung, hier geht es nicht um Taktik, hier zählt nur eins:
       drin oder nicht drin.
       
       Und nur beim Elfmeter gilt, dass der Torwart so gut wie nichts falsch
       machen kann. Ansonsten wird ihm eine Fehlerquote zugestanden, wie man sie
       sonst nur Herzchirurgen zubilligt. Seine Fehler sind offensichtlich,
       meistens nur die Fehler eines Einzelnen und nicht die eines Kollektivs und
       gehen im schlimmsten Fall in die Geschichte ein: Oliver Kahn im WM-Finale
       2002 gegen Brasilien. Oder der Brasilianer Moacyr Barbosa im
       titelentscheidenden 1950 gegen Uruguay.
       
       Der starb im Jahr 2000, einsam und verachtet, wie es heißt. Nach dem
       Halbfinale zitierten brasilianische Medien dessen Tochter mit dem Satz:
       „Papa wird jetzt zufrieden sein.“ Denn um so eine Niederlage aus dem
       kollektiven Gedächtnis zu löschen, braucht es viel. Ein 1:7 zum Beispiel.
       
       11 Jul 2014
       
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