# taz.de -- Flugzeugabsturz über Ostukraine: Abschuss wahrscheinlich
       
       > Beim Absturz starben 298 Menschen. Die Separatisten stehen unter
       > Abschuss- und Vertuschungsverdacht. Sie selbst kündigen eine Waffenruhe
       > an.
       
 (IMG) Bild: Trümmer der Boeing 777-200.
       
       MOSKAU/AMSTERDAM/BRÜSSEL dpa/afp/ap/rtr | Im Osten der Ukraine haben
       Rettungskräfte nach dem Absturz eines malaysischen Verkehrsflugzeugs mit
       298 Menschen an Bord Dutzende Leichen gefunden. Bislang seien 121 Tote
       geborgen worden, teilte der ukrainische Zivilschutz am Freitagmorgen nach
       Angaben der Agentur Interfax mit. Die Boeing 777-200 war am Donnerstag nach
       einem mutmaßlichen Raketenbeschuss über dem von Rebellen kontrollierten
       Gebiet abgestürzt.
       
       Die Hintergründe der Tragödie bleiben weiterhin unklar. Der ukrainische
       Präsident Poroschenko sprach von einem „terroristischen Akt“. Er warf den
       prorussischen Separatisten vor, die Boeing mit einer Rakete abgeschossen zu
       haben – wie zuletzt mehrere ukrainische Militärflugzeuge. Die USA gehen
       nach Auswertung von Satelliten-Aufnahmen davon aus, dass eine
       Boden-Luft-Rakete abgefeuert wurde. Aus einem vorläufigen Bericht von
       US-Geheimdiensten geht hervor, dass das Flugzeug sehr wahrscheinlich von
       pro-russischen Separatisten abgeschossen wurde. Das berichtete der Sender
       CNN am Freitagnachmittag.
       
       Die Aufständischen dementierten, für den Absturz der Boeing 777-200 auf dem
       Flug MH17 verantwortlich zu sein und kündigten eine zwei- bis viertägige
       Waffenruhe zur Untersuchung der Ursache an. Die Feuerpause solle am Freitag
       bei Konsultationen der Ukraine-Kontaktgruppe mit Vertretern aus Kiew,
       Moskau und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
       (OSZE) vereinbart werden, teilte Separatistenführer Andrej Purgin mit.
       
       Purgin sagte, dass die Leichen in einem Radius von zwölf Kilometern
       verstreut seien. Die Aufständischen würden die Absturzstelle abriegeln und
       den lokalen Behörden ermöglichen, die Leichen zu bergen. Zahlreiche Helfer
       durchkämmten am Vormittag das Gelände auf der Suche nach Trümmern und
       Toten.
       
       Internationale Ermittler hatten zunächst noch keinen Zugang zu der
       Absturzstelle erhalten. Darüber verhandele die Organisation für Sicherheit
       und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) noch mit den prorussischen
       Separatisten, die das Gebiet kontrollieren, sagte OSZE-Chef Didier
       Burkhalter am Freitagmittag im Schweizer Fernsehen. Es werde über einen
       humanitären „Korridor“ zu der Absturzstelle in dem Gebiet bei Donezk
       verhandelt, sagte Burkhalter.
       
       ## Streit um den Flugschreiber
       
       Außerdem gehe es für die OSZE darum, Zugriff auf einen der Flugschreiber
       der Maschine der Malaysia Airlines zu bekommen, der sich derzeit in den
       Händen der Aufständischen befinde. Der ukrainische Regierungschef Arseni
       Jazenjuk warf den Separatisten derweil vor, dass sie den Spezialisten der
       ukrainischen Luftfahrtbehörde den Zugang zu dem Gebiet verwehrten.
       
       Nach Angaben von Bergungskräften vor Ort wurde einer der beiden
       Flugschreiber der Maschine gefunden. Ein Vertreter der Aufständischen hatte
       jedoch bereits zuvor mitgeteilt, die Flugschreiber seien zur Auswertung
       nach Moskau geschickt worden. Ein Sprecher des ukrainischen
       Außenministeriums bezeichnete die mögliche Übergabe der Flugschreiber an
       Russland als illegal. Nach internationalem Recht müssten die Flugschreiber
       auf dem Territorium des Landes bleiben, wo sich das Unglück ereignet habe.
       Präsident Poroschenko warf den Separatisten vor, Beweise zu vertuschen
       
       „Diese Banditen lassen eine Untersuchung der Tragödie durch unsere Leute
       nicht zu“, sagte Jazenjuk am Freitag in Kiew. Er forderte außerdem eine
       harte Bestrafung der Verantwortlichen: „Die Täter müssen vor den
       Internationalen Gerichtshof in Den Haag gebracht werden“, sagte der
       Ministerpräsident nach ukrainischen Agenturberichten. In New York kommt am
       Freitag um 10 Uhr (Ortszeit, 16 Uhr deutscher Zeit) der UN-Sicherheitsrat
       zu einer Sondersitzung zusammen.
       
       ## 283 Passagiere, 15 Besatzungsmitglieder
       
       Niemand der 283 Passagiere und 15 Besatzungsmitglieder überlebte den
       Absturz. An Bord waren 154 Niederländer, 27 Australier, 23 Malaysier, 11
       Indonesier, 9 Briten, 5 Belgier, vier Deutsche, 3 Philippiner und ein
       Kanadier. Von den anderen Passagieren stand die Nationalität noch nicht
       fest.
       
       An Bord waren [1][zahlreiche Aids-Aktivisten]. Sie befanden sich auf dem
       Weg zum Welt-Aids-Kongress im australischen Melbourne, wie die
       International Aids Society mitteilte. Unter den Opfern befindet sich auch
       der internationale Aids-Forscher Joep Lange.
       
       Für Malaysia Airlines ist es der zweite schere Schlag innerhalb von
       Monaten. Im März [2][verschwand Flug MH370] mit 239 Menschen an Bord auf
       dem Flug von Kuala Lumpur nach Peking.
       
       ## Anschuldigungen und Dementis
       
       Der ukrainische Geheimdienst hat nach eigenen Angaben Telefongespräche
       abgehört, in denen prorussische Aufständische den Abschuss eingestehen
       sollen. Wenige Minuten nach dem Absturz hätten die Separatisten dem
       russischen Militär übermittelt, dass Kosaken-Milizen das Flugzeug getroffen
       hätten. Möglicherweise seien die Aufständischen davon ausgegangen, auf ein
       ukrainisches Militärflugzeug vom Typ Antonow An-26 zu schießen. Es bleibt
       unklar, mit welchen Waffen eine einzelne Gruppe von Aufständischen eine
       Verkehrsmaschine in 10.000 Metern Flughöhe getroffen haben könnte.
       
       Die prorussischen Separatisten haben diese mutmaßlichen Belege umgehend
       zurückgewiesen. Es sei eine Falschinformationen, dass die Rebellen in zwei
       Telefonaten den Abschuss der Maschine eingeräumt hätten, sagte ein
       Sondergesandte des selbst ernannten Führers der Republik Donezk, Sergej
       Kawtaradse, laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax. Keiner der
       beiden Mitschnitte konnte jedoch von unabhängiger Seite bestätigt werden.
       
       US-Präsident Barack Obama forderte eine internationale Untersuchung der
       Ursache für den Absturz über der von Rebellen kontrollierten Region in der
       Ostukraine. Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, die EU und
       die Nato verlangten, dass internationale Experten hinzugezogen werden.
       
       US-Vizepräsident Joe Biden sprach von einem Abschuss der Maschine. Der
       Absturz sei „kein Unfall“, die Maschine sei „vom Himmel geholt worden“,
       sagte Biden nach Angaben des TV-Senders MSNBC in Detroit. Bei der Rakete
       habe es sich um eine Boden-Luft-Rakete gehandelt, berichtete die New York
       Times unter Berufung auf namentlich nicht genannte Experten der
       US-Regierung. Das Flugzeug sei auf einer Höhe von 9.100 Meter geflogen,
       hieß es unter Berufung auf Daten eines Spionagesatelliten der
       US-Streitkräfte. Der Satellit liefere aber keine Informationen, wo genau
       die Rakete abgefeuert wurde.
       
       Auch die Europäische Union geht davon aus, dass das Flugzeug abgeschossen
       wurde. „Die ersten Einschätzungen auf Grundlage der Verbreitung der Trümmer
       über mehrere dutzend Kilometer scheinen die Annahme zu bestätigen, dass
       dieses Flugzeug abgeschossen wurde“, sagte ein ranghoher EU-Vertreter am
       Freitag in Brüssel. Wer jedoch dahinter stecke, müsse durch eine
       Untersuchung geklärt werden.
       
       ## Putin fordert Waffenruhe
       
       Russland und die Ukraine streiten über die Ursachen der Tragödie. Die
       ukrainische Luftwaffe hat nach den Worten Poroschenkos mit der Tragödie
       nichts zu tun. Dies wiederum wurde von russischer Seite in Frage gestellt.
       Der Luftraum über der Ostukraine wurde nach dem Absturz nahe Donezk
       gesperrt.
       
       Russlands Präsident Wladimir Putin gab der Ukraine indirekt die Schuld. Die
       schreckliche Tragödie wäre nicht passiert, wenn es in der Ostukraine keinen
       Krieg gebe, sagte der Kremlchef. Zugleich rief Putin die Regierung in Kiew
       und die Separatisten zu einer Waffenruhe auf. Mit dem Schritt sollten
       Verhandlungen ermöglicht werden, sagte Putin am Freitag bei einem Treffen
       mit Vertretern der russisch-orthodoxen Kirche. Es müsse schnell direkte
       Gespräche geben. „Wir verfolgen die Ereignisse in der Ostukraine mit großer
       Sorge und Trauer. Es ist eine entsetzliche Tragödie“, erklärte er.
       
       Die Separatisten hatten zuletzt mehrfach zugegeben, ukrainische Kampfjets,
       Transportmaschinen und mehrere Hubschrauber abgeschossen zu haben. Nach
       unbestätigten Berichten haben die Separatisten behauptet, ein
       Buk-Flugabwehrsystem im Verlauf der Kämpfe erbeutet zu haben. Das in den
       80er-Jahren von der sowjetischen Militärindustrie entwickelte
       Lenkwaffen-System Buk (Buche) kann Ziele in Höhen bis zu 25.000 Metern
       treffen.
       
       18 Jul 2014
       
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