# taz.de -- Nachrichten von 1914 – 6. August: „Wir müssen siegen!“
       
       > „Mit uns ist die gute Sache, mit den Feinden die schlechte! Deswegen kann
       > es keinen Zweifel geben, sondern nur die Zuversicht: Deutschland wird
       > siegen!“
       
 (IMG) Bild: Kaiser Wilhelm II besucht die deutschen Truppen im Ersten Weltkrieg.
       
       Die Feder ist ein armselig Ding in diesen gewaltigen Tagen, da Tausende und
       aber Tausende unserer Brüder unter die Waffen treten zu einem furchtbaren
       Kriege. Wer selber mitgekämpft hat, als unser Deutsches Reich mit Blut und
       Eisen gegründet wurde, der fühlt diese Armseligkeit in besonders starkem
       Maße, der möchte am liebsten Feder und Papier beiseite werfen und auch nach
       der Waffe greifen, wie in den Jahren seiner vollen Jugendkraft, der
       empfindet es täglich und stündlich immer schmerzlicher in diesen Tagen,
       dass das missgünstigste Alter es einem nicht mehr vergönnt, mit gegen die
       Feinde zu marschieren.
       
       Und doch, wenn's auch so ist, die Feder ist in solcher Hand doch auch ein
       Schwert, das man ziehen kann zu des Vaterlandes Ehre, zum Trost und zur
       Hoffnung für die vielen, die jetzt hinausziehen, und für alle die, die mit
       Wünschen und Gebeten das Volk in Waffen auf seinem schweren Wege geleiten.
       
       Wir Kampfgenossen von 1870 und 1871 haben in diesen Tagen Herrliches
       erlebt; unsere kühnsten Hoffnungen haben sich erfüllt. Wir haben gesehen
       und sehen es stündlich, dass unser waffengewaltiges Volk noch ist, was es
       1870 war. Derselbe Ernst, dieselbe Kraft des Pflichtbewusstseins, derselbe
       waffenkühne Sinn, wie dazumal, dieselbe Ruhe und Ordnung bei der Rüstung
       zum Kriege, dieselbe Begeisterung in allen Schichten unseres Volkes von den
       Schlössern unserer Fürsten bis hinein in die kleinste Hütte des
       schlichtesten Bürgers und Landmannes.
       
       Eins aber ist anders als 1870. Wenn damals die Begeisterung einmal schwieg,
       wenn die Lieder von der "Wacht am Rhein", wenn "Heil dir im Siegerkranz",
       wenn "Deutschland, Deutschland über alles", wenn "Ich bin ein Preuße, kennt
       ihr meine Farben?" verstummen und ruhige Betrachtung zu ihrem Rechte kam,
       dann drängte sich damals die ernste Frage auf viele Lippen: Werden wir auch
       siegen?
       
       Eine sieggekrönte, vom Stolz auf ihre Ruhmestaten erfüllte französische
       Armee, eine Bewaffnung der Infanterie, der unser Zündnadelgewehr nicht
       gewachsen war, eine geradezu tolle Siegeszuversicht stand uns gegenüber.
       Wir selbst waren kaum vier Jahre geeint zum Norddeutschen Bund, noch
       getrennt durch die Mainlinie, noch vielfach durch Sonderbestrebungen
       geschwächt. Da war die Frage: "Werden wir auch siegen?" wohl angebracht.
       Nicht Verzagtheit drängte sie auf die Lippen, es war die Gewissenhaftigkeit
       der Prüfung, die sie in weiten Kreisen wachrief.
       
       Heute ist diese Frage nicht mehr im Vordergrunde. Nicht etwa Übermut und
       Selbstüberschätzung oder Unterschätzung der Gegner drängt sie zurück,
       sondern das Bewusstsein, dass es ohne schließlichen Sieg überhaupt nicht
       angehen kann, dass eine endgültige Niederlage geradezu unmöglich ist. Das
       Herz Europas würde zu schlagen aufhören, das empfinden wir aufs tiefste,
       das muss jeder denken, der auf wahrhafte Gesittung Anspruch macht. Man
       denke nur den Gedanken aus: Europa beherrscht vom totalistischen Russland
       und vom republikanischen Frankreich! - Wir müssen siegen!
       
       Der Reichstag ist bis auf den letzten Mann am 4. August einig gewesen in
       seiner Stellung zum Kriege; das ganze deutsche Volk steht bis auf den
       letzten Mann geschlossen hinter ihm. Der Landsturm ist einberufen. Und
       hinter ihm stehen noch Tausende und aber Tausende, die es nicht verlernt
       haben, ihre Flinte zu führen und ihr Ziel zu treffen; wenn sie auch nicht
       mehr mit marschieren können; sie sind auch noch da als Schützer ihres
       Vaterlandes bis auf den letzten Mann. Sie rufen mit den Kameraden, die
       jetzt hinausziehen: "Wir müssen siegen und wir werden siegen!"
       
       Mit uns ist die gute Sache, mit den Feinden die schlechte! Führte schon
       1870 ein frivol gesuchter Anlass zum Kriege: dieses Mal ist eine Freveltat
       der Anlass. Unsere Gegner: Russen und Franzosen und die blutsverwandten
       Engländer machen gemeinsame Sache mit der Mordtat von Serajewo, sie machen
       sich zu Spießgesellen eines Königsmörders.
       
       "Du wirst zweifellos mit mir darin übereinstimmen, dass wir beide, Du und
       ich sowohl, als alle Souveräne ein gemeinsames Interesse daran haben,
       darauf zu bestehen, dass alle diejenigen, die für den scheußlichen Mord
       moralisch verantwortlich sind, ihre verdiente Strafe erleiden," so schrieb
       unser Kaiser an den russischen Zaren am 28. Juli. Das ganze deutsche Volk
       tritt in dieses Interesse mit ein; jedes gesittete Volk sollte es mit ihm
       tun. Deutschland und Österreich haben deshalb ein fleckenloses Panier, auf
       das sie mit gutem Gewissen schreiben können: "Mit Gott in diesen Krieg!"
       Sie können offenen Angesichts und mit freier Miene in ihren Gotteshäusern
       beten für den Sieg ihrer Waffen. Unsere Gegner würden den Namen Gottes
       missbrauchen, wenn sie in Gemeinsamkeit mit serbischen Mördern und
       Bombenwerfern führen.
       
       Die Gerechtigkeit ist auf unserer Seite! Wir müssen siegen! Heute und jeden
       Tag gesteigerter muss dieser Ruf uns alle festmachen gegen eine Welt voll
       Ungerechtigkeit und teuflischem Hass.
       
       Und wenn die Welt voll Teufel wär Und wollt uns gar verschlingen, So
       fürchten wir uns nicht so sehr, Es soll uns doch gelingen!
       
       Hinweg mit angstvoller Frage: Werden wir siegen? Heraus mit dem Kampfruf:
       Wir werden siegen; siegen wie Friedrich der Große, siegen wie unsere Väter
       von 1813, siegen wie wir von 1870 und 1871!
       
       Quelle: Berliner Tageblatt; Autor: Adolf Matthias (Veteranen von 1870/71)
       
       6 Aug 2014
       
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