# taz.de -- Vorlesen und nachdenken: Die Nacht der großen Worte
       
       > Egal, was er geschrieben hat: Wer es sich Samstag in der Buchhandlung
       > Samtleben von Edward St Aubyn vorlesen lassen kann, sollte das tun.
       
 (IMG) Bild: Der Autor in schwarz-weiß.
       
       HAMBURG taz | Scheiß-Psychologie. Wer Edward St Aubyn … nein, nicht genervt
       erleben wollte – dazu scheint der Mann sich partout nicht hinreißen lassen
       zu können vor lauter Upper-class-Habitus oder auch schlichter Höflichkeit.
       Also noch mal: Wer Edward St Aubyn in der Nähe eines Zustands erleben
       wollte, der bei anderen längst genervt hieße, der fragte ihn in den
       vergangenen Jahren nach dem Autobiografischen. Nach der Überschneidung von
       Autor und Hauptfigur: jenem Patrick Melrose, dem St Aubyn anfangs eine
       Trilogie widmen wollte, aus der am Ende dann fünf Romane wurden, über einen
       Zeitraum von zwei Jahrzehnten.
       
       Dass er selbst wiederzufinden sei im da verewigten Oberklassen-Spross – als
       Kind vom eigenen Vater vergewaltigt, von der Mutter im daraus erwachsenden
       Leiden ignoriert, lange Jahre abhängig von Heroin und anderem –, das hat
       Edward St Aubyn irgendwann eingeräumt. Dass zu schreiben über Patricks
       Qual, die lange untauglichen Versuche es abzuschütteln und, schließlich,
       doch so eine Art von erfolgreichem Entkommen, etwas Therapeutisches gewesen
       sei, das haben immer wieder vor allem andere gesehen. Ein wenig
       unterbelichtet bleibt bei dieser Lesart St Aubyns Umgang mit dem schweren,
       selbst erlittenen Stoff: Der Text der Melrose-Romane ist ja gerade keine
       mühsam in Worte gewandete Selbsthilfe, vielmehr hoch stilisierte, ja:
       leichtfüßige Vivisektion einer ganzen Klasse; Belletristik im besten Sinn.
       
       Er wolle es nun mal versuchen mit Schreiben aus Freude, hat St Aubyn Ende
       2011 der taz gesagt, da war der Abschluss des Melrose-Zyklus, „Zu guter
       Letzt“, gerade auf Deutsch erschienen. In der Frankfurter Allgemeinen wies
       ein Rezensent auf die teils wenig sorgfältige Übersetzung hin, geschuldet
       der „Termin-Tyrannei der Buchmesse“. Mit dem Literaturbetrieb hatte St.
       Aubyn, heute Mitte 50 und Vater zweier Kinder, da längst so seine
       Erfahrungen gemacht: Melrose-Buch Nummer vier, „Muttermilch“, brachte ihn
       2006 auf die Shortlist des renommiertesten unter den britischen
       Buchpreisen: des Man Booker Prize.
       
       Ausgezeichnet wurde er damals nicht, 2011 fand er sich mit „Zu guter Letzt“
       nicht mal auf der Longlist wieder. Allerlei andere Preise hat er bekommen,
       und längst wird er eingereiht in eine große, spezifisch britische Tradition
       von Literaten, die mit denkbar präzisestem Blick ihre soziale Umgebung
       sezieren – Humoristen nur unter anderem.
       
       Schon deswegen verbieten sich die ganz schlichten Psychologisierungen à la
       „schlechter Verlierer“, wenn St Aubyns jüngstes Buch, im Original „Lost in
       Words“ betitelt, sich – erneut so kenntnisreich wie mit der
       sprichwörtlichen spitzen Feder – am Zustandekommen eines Literaturpreises
       widmet. Um die Jury geht es, um die Politik, die ihre Zusammensetzung
       bestimmt – ein Unterhaus-Hinterbänkler und eine einflussreiche Kolumnistin,
       eine angestrengt auf literarischen Wert pochende Oxbridge-Professorin, eine
       Agentenromane schreibende Ex-Geliebte eines einflussreichen Politikers und
       dessen Patensohn, einen Schauspieler, der die meisten Sitzungen schwänzt –
       und um die Scharmützel, in denen sie ihre Entscheidungen zu treffen sucht;
       drum herum gruppieren sich allerlei Autoren, allesamt auf die ein oder
       andere Weise gescheitert, Lektoren, Agenten.
       
       Die deutsche Ausgabe ist mit „Der beste Roman des Jahres“ betitelt – da ist
       es wohl nur folgerichtig, die Premiere im Rahmen eines ebenfalls erstmals
       ausgerichteten und ähnlich vollmundig betitelten, nun, Literatur-Events
       abzuhalten: „Lange Nacht der Literatur“, das klingt freilich kaum nach dem
       Glamour, wie ihn St Aubyn dem Abend der Preisverleihung verpasst. Unter den
       größtenteils lokalen Hamburger Gewächsen wirkt der Brite mit dem
       klangvollen Namen geradezu exotisch. Ob nun auch in der Romanfigur Sam, dem
       strauchelnden Romancier mit seinem „Bildungsroman von makelloser Seelenqual
       mit eindeutig autobiografischen Zügen“ im Rücken etwas vom Autor steckt?
       Fragen Sie ihn doch selbst. Oder vielleicht doch lieber nicht.
       
       ## ■ Edward St Aubyn: „Der beste Roman des Jahres“. Aus dem Engl. von
       Nikolaus Hansen. Piper Verlag 2014, 253 S., 16,99 Euro
       
       ## ■ Lesung: Sa, 30. August, 19.30 Uhr, Buchhandlung
       Samtleben/Literaturhaus Hamburg. Restkarten an der Abendkasse
       
       29 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alexander Diehl
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Literatur
       
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