# taz.de -- Degrowth-Konferenz in Leipzig: Die Suche nach dem Notausgang
       
       > Zum Auftakt des Leipziger Kongresses gegen Wachstum gab es krachende
       > Kapitalismuskritik – aber kaum konkrete Ansätze für eine politische
       > Intervention.
       
 (IMG) Bild: Engagierte Kapitalismuskritikerin: Naomi Klein.
       
       LEIPZIG taz | Manchmal jubeln auch Wachstumsgegner über Wachstum: 3.000
       Teilnehmer beim 4. Internationalen „degrowth“-Kongress sind neuer Rekord.
       Die „politische Suchbewegung nach einem guten Leben für alle“ trifft sich
       vier Tage lang an der Universität Leipzig, um ihre Zweifel an den
       Heilsversprechen des Wachstums in „mutige Visionen“ zu transformieren, wie
       Kongressorganisator Daniel Constein am Eröffnungsabend sagte.
       
       Zum Auftakt sprachen vor allem Naomi Klein und Alberto Acosta – zwei
       Vorzeigeaktivisten der Antiwachstumsbewegung. Beide machten als Anheizer
       mit Wasserfallrhetorik und temperamentvoller Attacke gegen Kapitalismus,
       Patriarchat, Klimakollaps und „Extraktivismus“ (rücksichtsloser
       Ressourcenabbau) bella figura, vermittelten aber keine konkreten
       politischen Ansatzpunkte für eine Bewegung, die immer noch relativ
       ungerichtet nach einem Notausgang aus dem Kapitalismus sucht.
       
       Im vollgestopften Audimax der Hochschule saß die Generation 18 plus, die
       sich von den endlosen utopischen Forderungskatalogen der Referenten nicht
       entmutigen ließ, sondern heftig applaudierte. Das antikapitalistische
       Potpourri reichte von der Ausbeutung des weiblichen Proletariats in
       Bangladesch bis zur geistigen Monokultur an unseren Universitäten.
       
       Acosta, Ökonom und Exminister Ecuadors, konzentrierte sich zunächst auf die
       eigentliche Wachstumsfrage. In vielen Ländern des Südens habe selbst
       kräftiges Wirtschaftswachstum die Lage nicht gebessert; Hunger, Armut und
       Ungerechtigkeit seien mitgewachsen. In den USA zeige das Glücksbarometer
       mit steigenden Einkommen stramm nach unten.
       
       „Wir müssen endlich die Grenzen der Natur anerkennen“, sagte Acosta mit
       Blick auf Umwelt- und Klimakrise. Aber wer ist Wir? Es folgten
       eindrucksvolle Zahlenspiele: So besitzen die 85 reichsten Menschen mehr
       Geld und Güter als 1,7 Milliarden Arme. Acosta skizzierte einen
       existenziellen Wettlauf zwischen Bewusstseinswandel und Klimakrise. Noch
       sei die große Mehrheit der Menschen dem Wachstumsdogma unterworfen. Werde
       der Bewusstseinswandel gelingen, bevor es zu spät sei?
       
       Am Ende Beschwörungsformeln: „Wir brauchen eine Utopie, eine Idee, wo wir
       hinwollen, eine Idee vom guten Leben.“ Als konkreter Ansatzpunkt blieben
       nur das konsumarme Leben der indigenen Völker und der Charme des Teilens
       und Tauschens: Eine Bohrmaschine werde 13 Minuten im Jahr genutzt, dennoch
       besitze jeder Haushalt eine eigene. Schlusspirouette: „Die Zukunft der Welt
       liegt in unserer Hand!“
       
       ## Sehnsucht nach Überwindung des Kapitalismus
       
       Naomi Klein, kanadische Konsumkritikerin, hatte gut recherchiert und lobte
       die „german energiewende“ als Vorbild. Aber warum werde immer noch
       Braunkohle abgebaggert? Gute Frage. Auch bei ihr: Sehnsucht nach
       Überwindung des Kapitalismus, nach neuen Wirtschafts- und Konsummodellen.
       Auf ihrem Seziertisch liegt der stinkende Leichnam der internationalen
       Klimapolitik. „Machen wir uns keine Illusionen, wir haben in der Klimakrise
       auf der ganzen Linie versagt.“
       
       Nicht 2, sondern 4 bis 6 Grad Erderwärmung seien zu erwarten. Auf zehn
       Jahre beziffert die Aktivistin das Zeitfenster, das der Menschheit für die
       Wende bleibe. Mit grünem Wachstum sei das nicht zu schaffen. Und noch ein
       Hoffnungsträger wird geschlachtet: Die propagierte Entkoppelung von
       Wachstum und Ressourcenverbrauch sei reine Fiktion. Auch bei Klein finden
       sich wenige konkrete Ansätze für Veränderung. Stattdessen große Worte vom
       „radikalen Wandel unseres gesamten Lebens.“ Aber wie soll er aussehen, und
       wo fangen wir an?
       
       In die Niederungen der Politik stieg man nur einmal hinab. Bei der
       anschließenden Podiumsdiskussion erinnerte die australische
       Globalisierungskritikerin Nicola Bullard zaghaft an den Klimagipfel 2015 in
       Paris, von dem so viel abhänge.
       
       Was blieb für den Nachhauseweg? Nur das herzerwärmende Gemeinschaftsgefühl,
       dass es so nicht weitergehen kann. Die Wachstumsgegner sollen sich andocken
       an andere Kämpfe gegen Braunkohle und Fracking, empfahl Naomi Klein. Und:
       Wie in Brasilien könnte plötzlich beinahe aus dem Nichts eine neue
       Protestbewegung entstehen. „Dann müssen wir bereit sein!“, hieß es auf dem
       Podium.
       
       3 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manfred Kriener
       
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