# taz.de -- Wissenschaft über Grenzen hinweg: Trilaterale Forschung mit Tomaten
       
       > Deutsche, israelische und palästinensische Forscher untersuchen gemeinsam
       > die hitze- und salzresistenten Eigenschaften von Tomaten.
       
 (IMG) Bild: Mit neuen Tomatensorten könnte der Anbau in den palästinensischen Gebieten ausgeweitet werden.
       
       Eines weiß Professor Jörg Kudla schon jetzt ganz sicher: „Das ist kein
       normales Forschungsprojekt.“ Er scheint dennoch dem Start des Projekts
       erwartungsfroh und gespannt entgegenzublicken. Und das nicht nur aus
       wissenschaftlichem Interesse.
       
       Kudla ist Leiter eines Forschungsprojekts, in dem die Reaktion der
       Tomatenpflanze (Solanum lycopersicum) auf äußere Stressfaktoren wie Hitze
       oder salzhaltige Böden und die zugrunde liegenden Mechanismen näher
       untersucht werden sollen. Das ist zum einen wissenschaftlich und für die
       Landwirtschaft von Interesse, denn die Tomate ist eine wichtige Nutzpflanze
       – nicht nur in Europa.
       
       Außergewöhnlich an dem wissenschaftlichen Vorhaben sind jedoch ebenso die
       daran Beteiligten. In dem trinationalen Projekt arbeiten Forscher aus drei
       Ländern zusammen, von denen man es in diesen Zeiten kaum für möglich hält:
       neben Deutschland auch Israel und Palästina. Eine allzu brisante Mischung
       für ein Forschungsvorhaben aufgrund des belasteten Verhältnisses der
       beteiligten Länder in Gegenwart und Geschichte, so der erste unwillkürliche
       Gedanke.
       
       Doch gerade diesen schwierigen Verhältnissen wollen Jörg Kudla vom Institut
       für Biologie und Biotechnologie (IBBP) der Universität Münster, Omar
       Darissa von der Universität Bethlehem (Unesco Biotechnology Educational and
       Research Center) sowie Shaul Yalovsky an der Universität von Tel Aviv
       (Department of Molecular Biology and Ecology of Plants) mit ihrem Projekt
       etwas entgegensetzen. Zeigen, dass Konfrontation und Konflikte durch
       persönliche Kontakte zu überwinden sind, erst recht in der international
       ausgerichteten Wissenschaft von heute.
       
       ## Auf die Arbeit konzentrieren
       
       Die drei Partner erfüllen damit die Richtlinien für das Förderprogramm
       „Trinationale Projekte“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Es ist
       speziell auf Projekte der beschriebenen Art ausgelegt. „Die Förderung
       trilateraler Projekte unter Beteiligung von deutschen, israelischen und
       palästinensischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern soll der
       Unterstützung einer friedlichen Zukunft im Nahen Osten dienen“, begründet
       die DFG ihr Förderinstrument.
       
       Inzwischen können auch Wissenschaftler aus einem anderen Nachbarland
       Israels eingebunden sein. Das Tomatenprojekt wird mit 512.000 Euro,
       zunächst für zwei Jahre, gefördert. „Das Gesamtpaket kann bis zu fünf Jahre
       laufen“, so der Projektleiter.
       
       Naturgemäß steht die wissenschaftliche Arbeit stark unter dem Eindruck der
       aktuellen Ereignisse, des Krieges zwischen Israel und der Hamas im
       Gaza-Streifen.
       
       „Die derzeitigen Bedingungen sind dem Projekt absolut nicht förderlich,
       auch wenn unsere palästinensischen Kollegen in Bethlehem, also im
       Westjordanland, und nicht in Gaza arbeiten“, sagt Projektleiter Kudla. „Wir
       alle hoffen, dass der Konflikt bald zu Ende ist. Ansonsten versuchen wir
       uns auf unsere Arbeit zu konzentrieren.“
       
       Den Biotechnologen geht es vor allem darum, die Reaktion von Pflanzen auf
       „abiotische Stressfaktoren“ wie Hitze und Trockenheit, Bodenversalzung oder
       Kälte am Beispiel der Tomatenpflanze besser zu verstehen. Naturgemäß können
       Pflanzen diesen Faktoren nicht ausweichen, weil sie an einen Standort
       gebunden sind.
       
       ## Wie interagieren Proteine?
       
       Vor allem die Mechanismen der Hitzetoleranz interessiert die Forscher. Die
       Tomate gilt zwar landläufig als sonnenliebende Pflanze, bei einer
       Temperatur über 35 Grad Celsius bildet sie aber häufig keine Früchte mehr
       aus. Ein echtes Problem für Anbauzonen wie Spanien oder der Nahe Osten,
       wenn in den heißen Sommermonaten die Fruchtreife ausbleibt.
       
       „Glücklicherweise ist ein palästinensischer Kollege auf eine hitzetolerante
       Tomatensorte gestoßen, die wir jetzt näher untersuchen wollen.“
       
       Um das Forschungsziel zu erreichen, kommen Methoden aus der Biochemie,
       Genetik, Molekular- und Zellbiologie zum Tragen – auch in Kombination.
       Dabei ergänzen sich die Wissenschaftler aus Deutschland und dem Nahen Osten
       mit ihren jeweiligen Fachkenntnissen.
       
       Untersuchungen in der Modellpflanze Ackerschmalwand (Arabidopsis) haben
       bisher gezeigt, dass das pflanzeneigene Hormon Abscisinsäure (ABA) und
       Kalzium als sekundärer Botenstoff zentrale Rollen in den Stressantworten
       der Pflanze spielen. In genaueren Analysen konnten wichtige ABA- bzw.
       Kalzium-Signalproteine und funktionelle Wechselwirkungen zwischen ihnen
       nachgewiesen werden. Zwar ist die Nutzpflanze Tomate jahrzehntelang
       intensiv genetisch und molekularbiologisch untersucht worden, und
       tatsächlich existieren auch Gene für diese Signalkomponenten.
       
       Dennoch wissen die Wissenschaftler bisher nicht, wie genau die Proteine in
       der Tomate funktionieren und wie sie interagieren. Auch eine grundsätzliche
       Frage ist ungeklärt: Lassen sich die Ergebnisse aus der gut erforschten
       Modellpflanze Arabidopsis ohne Weiteres auf die Tomate übertragen?
       
       ## Fortschritt für die Agrarkultur
       
       Ganz ähnliche Überlegungen gelten dem Problem der Salzverträglichkeit der
       Pflanzen. Tomatenkulturen müssen regelmäßig bewässert werden, um zu
       gedeihen. Hierbei reichern sich immer auch Salze im Boden an, die die
       Pflanzen unter Stress setzen. Mechanismen für Salztoleranz konnten wiederum
       schon bei Arabidopsis aufgeklärt werden. Und genauso wie beim Hitzestress
       wollen die Botaniker nun schauen, ob sie sich in der Tomate nachweisen
       lassen. Kudla: „Wenn wir das geklärt haben, ist dieses Projekt zu Ende.“
       
       Dann wäre der Weg frei, hitze- und salztolerantere Tomatensorten zu züchten
       – sicher ein Fortschritt für die Agrarkultur der Nutzpflanze.
       
       Dass unter anderem gentechnische Methoden den Weg dazu geebnet haben
       könnten, sieht Biotechnologe Kudla nicht als Problem. „Wenn wir die
       Mechanismen und die beteiligten Gene kennen, verkürzt das die Zeit für die
       klassische Züchtung erheblich.“ Da keine Gene eingeschleust würden,
       entstünden keine Probleme bei der Vermarktung der Tomaten in der EU.
       
       Doch bis dahin ist es noch ein schwieriger Weg, nicht nur in den Labors und
       Gewächshäusern. Denn der direkte persönliche Kontakt der Pflanzenforscher
       gestaltet sich in der Praxis mitunter mühsamer und belastender als die
       Forschungsarbeit selbst. Zwar hat es seit Ende 2011 mehrere Treffen der
       Wissenschaftler in Münster, Tel Aviv, Bethlehem und Jerusalem gegeben. Doch
       schon bei der Einreise von palästinensischen Wissenschaftlern aus dem
       Westjordanland nach Israel und umgekehrt wird es problematisch.
       
       „Das geht normalerweise nicht ohne Weiteres. Wie schnell man die
       erforderlichen Ein-Tages-Passierscheine bekommt, ist abhängig von der
       Unterstützung durch den israelischen Partner oder dem Dringlichkeitsgrad“,
       berichtet Jörg Kudla. Genehmigungen sind auch dann notwendig, wenn
       Mitarbeiter des Forschungszentrums in Bethlehem nach Tel Aviv fahren
       müssen, um dort etwa Arbeitsproben mikroskopisch bewerten zu können.
       
       ## Monatliche Videokonferenzen
       
       In der Startphase des Projekts war zunächst ein eintägiges Treffen aller
       Beteiligten vorgesehen. Wo dieses stattfinden sollte, wäre abhängig von der
       aktuellen Situation gewesen: in Jerusalem bei entspannter Lage, falls dort
       nicht möglich in einem russischen Restaurant innerhalb einer neutralen Zone
       nahe Bethlehem, die allen zugänglich ist, oder im äußersten Fall auf
       Zypern. Zu diesem Treffen kam es im Mai, also vor Ausbruch der Kämpfe in
       Gaza. Somit konnten in Beit Jala bei Bethlehem alle am Projekt beteiligten
       Mitglieder der israelischen und palästinensischen Arbeitsgruppen
       teilnehmen. „Das Leben dort ist kompliziert“, kommentiert der deutsche
       Pflanzenforscher die Sicherheitsvorkehrungen. Er hat seine Partner bereits
       mehrfach besucht und private Kontakte aufgebaut.
       
       Die DFG-Förderzusage gilt auch für eine palästinensische Doktorandin. Sie
       wird im halbjährlichen Wechsel zwischen Münster und Bethlehem an der
       deutschen Universität ausgebildet und erlernt dort das nötige Know-how, um
       mit abgeschlossener Promotion nach Palästina zurückzukehren. Die
       Universität von Bethlehem – übrigens in katholischer Trägerschaft und
       größtenteils vom Vatikan finanziert – hat selbst kein Promotionsrecht.
       
       Während der Projektphase tauschen sich die Projektteilnehmer monatlich in
       Videokonferenzen über den Fortgang ihrer Arbeit und die Ergebnisse aus.
       Auch ein Workshop und weitere Treffen sind geplant. Als glücklichen Umstand
       wertet Jörg Kudla, dass mit Professor Naim Iraki, einem Araber mit
       israelischer Staatsbürgerschaft, das Unesco-Institut in Bethlehem aufgebaut
       und geleitet hat, dem Forschungsprojekt auch nach seiner Pensionierung als
       Berater zur Seite steht. „Er hat in Israel Aufenthalts- und Wohnrecht, ein
       echter Vorteil für uns.“
       
       10 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Krämer
       
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