# taz.de -- Islamisten in Wuppertal: Ein bisschen Scharia haste immer
       
       > Bei aller Empörung über die Patrouillen von Salafisten in Wuppertal: Ein
       > bisschen Scharia herrscht auch in Vierteln wie Berlin-Kreuzberg.
       
 (IMG) Bild: Türkischer Lebensmittelladen in Berlin: Schnaps höchstens unter der Theke. Und nur, wenn man das Codewort kennt.
       
       Ziemlich genau zehn Jahre ist es her, da hatte der CDU-Politiker Jörg
       Schönbohm eine Idee: „Wir müssen vermehrt Ermittler einsetzen, die Arabisch
       und Türkisch sprechen“, sagte der damalige Brandenburger Innenminister.
       „Auch in den Ausländervierteln müssen Recht und Ordnung herrschen.“
       
       Die Bild-Zeitung bastelte daraus die hübsche Schlagzeile „CDU-Politiker
       fordern Islam-Polizei!“, und [1][man konnte sich gut ausmalen], wie in
       Kampfsport und Integrationswissenschaft ausgebildete, also kulturell
       sensible Beamte mit Socken an den Füßen irgendwelche Hinterhofmoscheen
       stürmen würden, um deutschenfeindliche Fatwas aus dem Verkehr zu ziehen.
       
       Die Idee mit der „Islam-Polizei“ lässt auf sich warten, [2][erst gerade
       wurde bekannt], dass der ARD-„Tatort“ eine höhere Ausländerquote hat, als
       im wirklichen Leben türkisch- oder arabischstämmmige Polizisten ihre
       Landsleute bewachen.
       
       Dafür gibt es nun etwas anderes: die [3][Wuppertaler „Scharia-Polizei“],
       die mit geringem Aufwand große Aufmerksamkeit erzielt hat – weitaus mehr
       als etwa die Bürgerwehren, die an den Ostgrenzen der [4][Ostzone auf
       Patrouille] gehen.
       
       Doch ein Sachverhalt geht bei aller (berechtigten) Aufregung im Allgemeinen
       – also über die bereits im Wort „Scharia-Polizei enthaltene Anmaßung – und
       den (berechtigten) Ruf, wegen ein paar zotteliger Spinner in Plastikweste
       nicht in Hysterie zu verfallen, unter: Ein bisschen Scharia herrscht in
       vielen anderen „Ausländervierteln“ schon jetzt.
       
       Kreuzberg zum Beispiel. Als in den siebziger Jahren hier wie anderswo im
       Lande die ersten türkischen Lebensmittelgeschäfte eröffneten, führten die
       im Sortiment all das, was in deutschen Supermärkten damals nicht zu haben
       war: Zucchini, Oliven und Rakı, den türkischen Nationalschnaps. Heute haben
       in Kreuzberg etliche angesagte Bars jüngere türkische Betreiber, von denen
       einer, Kaan Müjdeci, gerade bei den Filmfestspielen in Venedig [5][den
       Spezialpreis der Jury bekommen hat] (Respekt!).
       
       ## Schnaps nur mit Codewort
       
       Rakı steht heute auch bei Kaiser’s im Regal. In den klassischen türkischen
       Lebensmittelgeschäften aber, die bemerkenswerterweise dem Sterben des
       Einzelhandels trotzen, sucht man vergebens danach. Eine Ausnahme gibt es:
       ein Laden, der von Aleviten betrieben wird, einer sympathischen Minderheit,
       für die der Alkoholgenuss fester Bestandteil des sozialen oder gar des
       spirituellen Lebens ist. Dieser Laden führt noch Rakı. Aber nicht im Regal.
       Man muss schon das Codewort kennen, damit einem ein Laufjunge beim
       Verlassen des Geschäfts eine in Zeitungspapier eingepackte Flasche
       zusteckt.
       
       Ob aus sozialem Druck oder Geschäftssinn oder Opportunismus aus allen
       Gründen auf einmal – Alkohol gibt es in keinem Kreuzberger türkischen
       Lebensmittelladen. Und was sogar für ein kosmopolitisches Viertel wie
       Kreuzberg gilt, gilt erst recht für ein Viertel wie den Wedding, wo nicht
       nur die Zusammensetzung der Bevölkerung insgesamt eine andere ist. Fatih
       heißt der Wedding unter Kreuzbergern nach dem ultrakonservativen Bezirk in
       Istanbul.
       
       ## Nicht Salafisten, nur AKP
       
       Das ist nicht die Scharia in der Vorstellung der Salafisten, es ist nur die
       gewöhnliche Islamisierung des Alltags, die sich in der Türkei unter der
       Führung von Recep Tayyip Erdogan und seiner AKP vollzieht. Der
       (öffentliche) Genuss von Alkohol ist ein symbolisch wichtiger Punkt dafür,
       weshalb bei den Geziprotesten im vergangenen Jahr die [6][Angst um den
       Verlust des säkularen Lebensstils] zu den wichtigsten Motiven zählte. „Auf
       dein Wohl, Tayyip“, riefen Demonstranten mit Bierdose in den Händen. Eine
       sehr politische Parole.
       
       Diese Light- und Realoversion der Scharia zeigt sich auch an anderen
       Punkten. So ist es für türkisch oder arabisch aussehende Frauen kein
       Vergnügen, im Minirock durch den Wedding zu laufen. Auch nicht zu
       empfehlen: dort als schwules Pärchen [7][Händchen zu halten] oder [8][eine
       Kippa zu tragen]. Nur in Sachen Glücksspiel ist der Alltag weit von dem
       entfernt, wovon diese Freaks in Plastikwesten träumen. Schwer zu sagen, ob
       das auch gut so ist.
       
       9 Sep 2014
       
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