# taz.de -- Buch „Data Love“: Die Liebe zur Überwachung
       
       > Der Medienwissenschaftler Roberto Simanowski analysiert das Individuum
       > als Verbündeten seiner Überwachung. Die Warnung ist inbegriffen.
       
 (IMG) Bild: Neuestes Hilfsmittel für die technikaffine Selbstkontrolle: die iWatch
       
       Es fühlt sich schon an wie ein altbekanntes Klagelied: Großunternehmen
       speichern unsere Daten, um uns besser lenken zu können. Und Geheimdienste
       ja sowieso, um uns besser beherrschen zu können. Die Wehrlosen gegen die
       Mächtigen. Die Feindbilder sind klar verteilt. Aber Feindbilder wirken auch
       immer entlastend. Denn hinterlassen die Menschen nicht selbst mit großer
       Hingabe überall und dauernd ihre Daten? Sei es bei Facebook, bei Amazon
       oder bei der Vermessung des eigenen Ichs, Selftracking genannt: Überall und
       ständig wird digitalisiert, dokumentiert und vermessen.
       
       Dies gleicht einer Liebe zum Datensammeln. Dementsprechend spricht der
       Literatur- und Medienwissenschaftler Roberto Simanowski in seinem
       gleichnamigen Buch von „Data Love“. Dabei geht es ihm weniger um
       skandalträchtige Enthüllungen von NSA-Überwachungsmethoden oder Googles
       Wunsch nach Totalerfassung aller zur Verfügung stehenden Daten als vielmehr
       um das in der Moderne kulturell verankerte Verlangen nach mehr und mehr
       Daten zur Vermessung der Welt.
       
       So gesehen liegt die Geburtsstunde der Data Love in dem Vernunftglauben der
       Aufklärung und ihrem Versprechen, die Welt besser zu verstehen und zu
       meistern.
       
       Die Datensammelwut staatlicher Institutionen, privater Unternehmen und der
       Bürger selbst, so Simanowski, ist kein Widerspruch zur Moderne, sondern
       Teil ihrer Widersprüchlichkeit und logische Konsequenz eines
       Modernisierungsprozesses, „der alle verfügbaren Technologien nicht zuletzt
       im Dienste einer immer effektiveren Organisation und Kontrolle
       gesellschaftlicher Strukturen und Prozesse einsetzt“.
       
       ## Das Wenn-dann-Prinzip
       
       Daher verwundert es den Autor auch nicht, dass der Aufschrei im Zuge der
       NSA-Affäre sich in Grenzen hielt. So schreibt er, dass das Begehren der
       Datentotalerfassung seinen Freispruch in der Gesellschaft selbst finde:
       Selftracking als eine Art Bürgerbewegung. Überwachung verspreche
       schließlich Selbsterkenntnis. In die Data Love sind wir alle verstrickt:
       „Beide Motive – der Exhibitionismus als Selbstversicherung und der
       Ordnungswille als Komplexitätsreduktion – machen das Individuum potenziell
       zum Verbündeten seiner Überwachung bzw. Kontrolle.“
       
       Simanowski warnt vor der Macht der Algorithmen. Die Algorithmen der
       Suchmaschinen und Onlineportale errechnen aus der gigantischen Datenmenge,
       gespeist aus den täglichen menschlichen Bewegungen und Handlungen im
       Internet, ein Wenn-dann-Prinzip: Gefällt Ihnen dieses Video, dann
       sicherlich auch jenes; haben Sie dieses Buch gekauft, dann wird Ihnen jenes
       auch gefallen.
       
       Derartige „Personalisierungsalgorithmen unterdrücken den Zufall, die
       Begegnung mit den anderen und generieren so eine informationsspezifische
       Fremdenfeindlichkeit“. Wo er die Konfrontation unterschiedlicher
       Standpunkte als Elixier der Demokratie sieht, fürchtet er in der
       Algorithmisierung der Gesellschaft – wo der Nutzer nur das geliefert
       bekommt, was seinen Wünschen entspricht – die Gefahr eines
       Abschottungsnarzissmus.
       
       ## Algorithmische Vorhersagen
       
       Mehr noch: Er warnt vor dieser neuen Ideologie von Technik und
       Wissenschaft, in der der Mensch unter Kategorien zweckrationalen Handelns
       und adaptiven Verhaltens verdinglicht werde. Denn welche gesellschaftlichen
       Konsequenzen stehen bevor, wenn algorithmische Vorhersage und Regulierung
       das Handeln von zum Beispiel Polizei, Banken und Versicherungen steuert?
       
       Wenn Mustererkennungen zu Täterprofilen oder Konsumverhalten zur
       Verweigerung von Kreditvergaben führen. Wenn gesellschaftliche Prozesse
       zunehmend durch eine technokratische Rationalität der Algorithmen bestimmt
       sind und Vernunft lediglich auf formale Logik reduziert wird. Kurzum, wenn
       aus Denken Rechnen wird.
       
       Auf dem Spiel steht nicht weniger, so der Autor, als die individuelle
       Freiheit. Diese bestünde nämlich auf Unwissenheit, auf Ambivalenz, Ironie
       und Skeptizismus, auf der Möglichkeit zum Andersseins. Doch wenn Zukunft
       vermeintlich vorhersagbar und somit regulierbar wird, würden
       Kontinuitätsbrüche vermieden, die eine zentrale Triebkraft
       gesellschaftlicher Entwicklung seien. Einer technokratischen Rationalität
       und Vernunft ist das Menschliche fremd. So dass Simanowski in drastischen
       Worten in der Macht der Algorithmen einen „Robespierre des 21.
       Jahrhunderts“ sieht.
       
       14 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Baran Korkmaz
       
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