# taz.de -- Arte-Doku über Konflikt in Syrien: Ein Kino der Opfer und der Poesie
       
       > Oussama Mohammads Dokumentation „Selbstporträt Syrien“ gelingt etwas
       > Besonderes: Der Film bleibt nicht bei der Gewalt stehen.
       
 (IMG) Bild: Spuren des Krieges in Syrien in der Provinz Homs
       
       Im Krieg gibt es immer auch einen Kampf der Bilder. In Syrien ringen
       mittlerweile zwei Regime um die Macht: das Assad-Regime auf der einen und
       der Islamische Staat (IS) auf der anderen Seite. In Sachen Gewalt und
       Folter geben sie sich nichts – doch die Bilder, die sie in den Medienzirkus
       einspeisen, könnten unterschiedlicher nicht sein.
       
       IS köpft Menschen vor laufender Kamera auf den Marktplätzen und brüstet
       sich also mit seiner Barbarei. Das Assad-Regime hingegen lässt Zigtausende
       Menschen verschwinden und foltert sie hinter verschlossenen Türen zu Tode.
       Es lässt Stadtteile aushungern und bombardieren.
       
       Davon gibt es kaum Bilder, und wenn, dann auf YouTube oder Facebook, nicht
       in den „seriösen“ Medien. Der Dokumentarfilm „Selbstporträt Syrien“ von
       Oussama Mohammad setzt diesem sauberen Image des Assad-Regimes Bilder der
       von ihm ausgehenden Gewalt entgegen. Aus dem Off erklärt Mohammad das Ziel
       seiner eindringlichen Dokumentation: Er will ein Kino der Opfer, ein Kino
       der Poesie machen.
       
       Der Film beginnt seine Reflexion über die (Bilder der) Gewalt seit Beginn
       der Revolution vor drei Jahren mit einer per Handy gefilmten Geburt. Die
       Nabelschnur wird durchschnitten. Darauf folgt eine brutale Szene. Ein Junge
       hockt bis auf die weiße Unterhose entkleidet in einer Ecke und beginnt
       einen Armeestiefel zu küssen. Der gehört seinem Folterknecht. Wieder ist
       das per Handy gefilmte Bildmaterial verwackelt. Doch als ZuschauerIn ist
       man dankbar, dass die Konturen verschwommen sind und es auch keinen Ton
       gibt. Die Angst des wahrscheinlich zwischen 13 und 15 Jahre alten Jungen
       vermittelt sich trotzdem.
       
       ## Elektroschocks und ausgerissene Zehennägel
       
       Als der Aufstand für Freiheit und Würde begann, sprühten Jugendliche in der
       Stadt Daara „Das Volk will den Sturz des Regimes“ an eine Wand. Sie wurden
       verhaftet, man folterte sie mit Elektroschocks und riss ihnen die
       Zehennägel raus. Den Familien sagte man: „Vergesst, dass ihr diese Kinder
       hattet. Macht neue Kinder. Und wenn ihr das nicht hinkriegt, bringt uns
       eure Frauen, und wir machen euch neue Kinder.“
       
       Diese Brutalität selbst gegen Kinder trieb die Menschen auf die Straße. Das
       Regime schoss scharf, doch die Angehörigen und Freunde blieben und
       forderten die Freilassung der Jungen. Diese wurden schließlich
       freigelassen. Die Revolution aber ging weiter. Der 1954 in Lattakia
       geborene Filmemacher Oussama Mohammad lebt heute im Pariser Exil. Er hatte
       bei den Filmfestspielen in Cannes 2011 den Diktator Baschar al-Assad
       öffentlich kritisiert. Sein Bild von Syrien setzt sich also aus Bildern
       zusammen, die Syrer im Land über die sozialen Netzwerke zirkulieren lassen.
       
       Gleichzeitig ist er im Dialog mit einer kurdischen Freundin namens Wiam
       Simav Bedirxan, die noch in seiner Heimatstadt Homs lebt. Sie beginnt, die
       Zerstörung ihrer Stadt zu filmen und mit Mohammad darüber zu sprechen. „Was
       soll ich filmen?“, fragt sie zunächst und Mohammad antwortet: „Alles“. Nach
       und nach findet sie zu einer eigenen Bildersprache.
       
       ## Online-Dialog
       
       „Selbstporträt Syrien“ dokumentiert diesen Online-Dialog über die Gewalt,
       das Sterben, die Trauer – und die Freundschaft. Er zeigt, wie in all dem
       Sterben etwas Neues entsteht, wie jemand kreativ wird. Es ist ein trauriger
       Film, der sehenswert ist, weil er sorgsam Zeugnis davon ablegt, mit welchen
       Bildern die Menschen in Syrien, in belagerten Städten wie Homs leben
       müssen. Und wie ihre Freunde und Verwandten im Exil mit diesen Bildern
       leben müssen, in der Gewissheit, dass die Zurückgebliebenen jede Stunde
       sterben können, also jedes Gespräch über Facebook oder Skype ein Geschenk
       ist.
       
       Gemäß dem journalistischen Kodex können solche Bilder vom Tod, ja der
       Apokalypse nicht gezeigt werden, sie sind zu grausam. Doch diesem
       Dokumentarfilm gelingt etwas sehr Besonderes. Mithilfe einer ausgefeilten
       Bildersprache und einer unglaublichen Tonspur (in der auch Ton eingewoben
       ist, wenn eine neue Nachricht auf Facebook gepostet wird) bleibt er nicht
       bei der Gewalt stehen. Die Gewalt gewinnt nicht, obwohl der Tod
       allgegenwärtig ist. Bei der Premiere beim diesjährigen Filmfestival in
       Cannes begegneten sich Wiam Bedirxan und Oussama Mohammad zum ersten Mal
       analog. In ihrem Fall hat das Leben gewonnen.
       
       15 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ines Kappert
       
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