# taz.de -- Internationales Literaturfestival Berlin: „Wir werden vernichtet“
       
       > Die syrische Autorin Samar Yazbek liest aus ihrem neuen Roman „Die Fremde
       > im Spiegel“ über ein ungewöhnliches lesbisches Paar.
       
 (IMG) Bild: Die syrische Schriftstellerin Samar Yazbek hat einen neuen Roman veröffentlicht: „Die Fremde im Spiegel“
       
       „Hanan schließt die Tür hinter sich. Sie setzt sich, versucht ruhiger zu
       werden. Sie wird Alia für immer aus ihrem Leben verbannen, so als wäre sie
       niemals hier gewesen. Sie wird sie ausradieren wie ein mit weichem
       Bleistift niedergeschriebenes Wort.“
       
       Samar Yazbeks neuer Roman, „Die Fremde im Spiegel“ (2014), setzt mit dem
       Ende der Beziehung zwischen der wohlhabenden Hanan aus dem Umland von
       Damaskus und ihrem minderjährigen Dienstmädchen Alia ein. Ihre Beziehung
       ist vor allem eine Klassengeschichte aus der Gegenwart, in die sich
       Begehrlichkeiten, auch Zuneigung, aber mehr noch Gewalt weben.
       
       Präzise erzählt Yazbek von diesen Widersprüchen auch in einer von Hanna
       Schygulla etwas stolpernd gelesenen Szene. Die beschreibt, wie sehr es die
       zwölfjährige Alia liebt, Schaumkronen auf den weißen Rücken ihrer Herrin zu
       häufen und Figuren einzuzeichnen. Es freut sie, wenn die Augen der Herrin
       in der Nacht vor Glück aufleuchten. Am Tag wird sie wieder demütig Befehle
       erfüllen. Das unhinterfragte Indienstnehmen von Gefühlen, der Anspruch der
       Oberschicht, Menschen als Ganzes besitzen zu dürfen, und die verwundbaren
       Widerstandsstrategien der Armen, die neuerdings immer seltener zur Schule
       gehen können – diese Gemengelage führt ins Innere der syrischen
       Gesellschaft vor der Revolution 2011.
       
       Ähnlich wie in dem grandiosen Film „Nader und Sinin – eine Trennung“ des
       iranischen Filmemachers Asghar Farhadi wendet sich auch Yazbek nicht direkt
       gegen das System. Der Assad-Clan mit seinem riesigen Sicherheitsapparat
       spielt als solcher keine Rolle. Vielmehr seziert Yazbek die Wirkungen der
       säkularen Diktatur auf die Psyche der Einzelnen.
       
       ## Aufgeriebene Mittelschicht
       
       Die nämlich ist so durchdrungen wie verbogen von der Gewalt genauso wie von
       der unter Baschar al-Assad sprunghaft angestiegenen Armut auf dem Land,
       also der sich noch weiter ausbreitenden Macht der Reichen. Der Diktator,
       der in Syrien das Internet für alle einführte, hat sich auch neoliberalen
       Grundsätzen verschrieben. „Die Mittelschicht wurde aufgerieben“, fasst
       Yazbek die Entwicklung zusammen.
       
       Die 44-jährige allein erziehende Mutter ist Schriftstellerin und
       Journalistin. 2006 hat sie den Armutsgürtel um Damaskus erkundet. Diese
       Studien fundieren ihren Roman. Die Lebensgeschichte eines 16-jährigen
       Mädchen, das Yazbek in einer Art Verwahranstalt besucht hatte, bildet die
       Folie für Alia. Ihr war der Mord an ihrer Dienstherrin zur Last gelegt
       worden.
       
       Heute lebt Yazbek wie so viele SyrerInnen im Exil, es hat sie nach Paris
       verschlagen. Über Facebook und Skype hält sie den Kontakt zu Angehörigen
       und Freunden nach Syrien. Ihr nächstes Buch ist bereits fertiggestellt. Es
       handelt sich um Reportagen, die sie auf ihren Reisen nach Nordsyrien 2013
       verfasste. Mit allen habe sie geredet, sagt sie. Mit den moderaten
       Rebellen, den Kurden und auch mit den extremen Islamisten.
       
       Ihre Übersetzerin Larissa Bender, die die Lesung auch moderiert, fragt
       Yazbek, wie sie die gegenwärtige Situation in ihrem Heimatland beurteile:
       Leise, aber hörbar holt Yazbek Luft. Sie habe keine Wahl, sie müsse
       Hoffnung haben. Aber auszuhalten sei es kaum: „Wir werden vernichtet, und
       die ganze Welt sieht zu.“
       
       18 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ines Kappert
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Syrien
 (DIR) Literatur
 (DIR) Schwerpunkt Syrien
 (DIR) Schwerpunkt Syrien
 (DIR) Literatur
 (DIR) USA
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Literaturfestival Lit.Cologne: Ein roter Teppich für die Texte
       
       Das Kölner Festival setzt auf Literatur als Massenevent. Mit Erfolg, wie
       auch die am Mittwoch gestartete 16. Ausgabe belegt.
       
 (DIR) Samar Yazbek über Bürgerkrieg in Syrien: „Man arrangiert sich mit dem Tod“
       
       Die syrische Schriftstellerin Samar Yazbek ging für ihr Buch „Die
       gestohlene Revolution“ in die Hochburgen des Widerstands gegen Assad.
       
 (DIR) Literatur aus Syrien: Dann ist er vielleicht ein Agent
       
       Dima Wannous’ „Dunkle Wolken über Damaskus“ und der von Larissa Bender
       zusammengestellte Band „Innenansichten aus Syrien“.
       
 (DIR) Literatur von Paulo Coelho: Lebenshilfe als Belletristik getarnt
       
       Die Romane des brasilianischen Schriftstellers Paulo Coelho sind äußerst
       erfolgreich. Sein neues Buch „Untreue“ gibt dennoch Anlass für Kritik.
       
 (DIR) Bürgerkrieg in Syrien: Sollen sie doch ihre Waffen essen
       
       Die USA werden moderate Rebellen bewaffnen und ausbilden. Gleichzeitig
       kürzen die UN ihre Nahrungsmittelhilfe um sechzig Prozent.