# taz.de -- Oliver Polaks Buch über Depressionen: Panzer im Kinderzimmer
       
       > In „Der jüdische Patient“ nimmt Oliver Polak seine Leser mit in die
       > Psychiatrie. Er erzählt über Ängste und das falsche Lachen von
       > Zuschauern.
       
 (IMG) Bild: Oliver Polak auf der Bühne
       
       Oliver Polak geht es monatelang schlecht, aber keiner merkt es. Das
       Antidepressivum, das er schluckt, hat sein Verdauungssystem lahmgelegt, er
       wird immer dicker, aber helfen tut es nicht. Die Panikattacken und der
       Verlust jeder Emotion haben sich zu einem schwarzen Loch verdichtet, in dem
       das Leben des eben noch gefeierten Comedian auf einen kleinen Punkt
       zusammenschnurrt. Wenn die Angst zu groß wird, übergibt er sich.
       
       Polak beschreibt die Depression in seinem in wenigen Tagen erscheinenden
       Buch „Der jüdische Patient“ anschaulich damit, wie Onanieren das Einzige
       ist, was ihm noch geblieben ist – und nicht mal das funktioniert in
       halbsteifem Zustand noch richtig.
       
       Die einzige Regel, die er dabei aufstellt: „Die Frau, die ich mir zum
       Wichsen aussuchte, durfte meiner Mutter nicht ähneln.“ Die jüdische Mutter
       ist eine nie versiegende Quelle jüdischer Witze, wobei das Kapitel über
       seine Mutter und seine Kindheit in einer deutschen Kleinstadt einer der
       traurigsten Momente ist.
       
       Wenn Kiepenheuer & Witsch das Buch als „schockierend mutig und gnadenlos
       ehrlich“ annonciert, ist das nicht übertrieben. Polak nimmt die Leserinnen
       mit in die Psychiatrie, wo er acht Wochen lang mit seiner schweren
       Depression kämpft. Er erzählt den Ärzten und uns, „wie ich vor vier Jahren,
       als mein erstes Buch erschien, das Interesse des deutschen Feuilletons
       weckte, Deutschlands einziger jüdischer Stand-up-Comedian, der
       Holocaustclown, der Showjude, obwohl ich nicht bereit dafür war“.
       
       ## 600 Auftritte in vier Jahren
       
       Dabei hatte Oliver Polak nur das Naheliegende getan. Zu erzählen, wie das
       ist, als der einzige jüdische Junge in einer deutschen Kleinstadt
       aufzuwachsen. Er wollte Comedy machen „in einem Land, in dem man, wie Robin
       Williams feststellte, alle lustigen Menschen bereits umgebracht hatte“.
       
       In vier Jahren spielte Polak über sechshundert Auftritte seiner ersten
       Soloshow, was im Leben eines Comedians keineswegs außergewöhnlich sei, wie
       er im Gespräch betont. Schwerer wog, dass ihn das Publikum oft ächtete,
       „weil es weder meinen Humor noch die Inhalte schnallte. Die Leute wollen
       einvernehmlich lachen, sie wollen keinen emotionalen Stress.“
       
       Für viele Leute ist eine Polak-Show eine Herausforderung, der sie nicht
       gewachsen sind. Für manche ist Polak ein jüdischer Messias, der sie endlich
       über etwas lachen lässt, was sie belastet. Sie lachen dann aber an der
       falschen Stelle oder aus den falschen Gründen. Alles nicht so schlimm, es
       gibt ja noch Juden in Deutschland, und Witze machen sie auch, sogar über
       den Holocaust. Nach der Show kommen die Kinder von Nazitätern zu Oliver
       Polak und finden es „so schön, das alles einmal von Ihnen zu hören, so
       lustig“.
       
       ## Du hast doch angefangen
       
       Der Maler Daniel Richter hat den Titel des Buches angefertigt, per Hand in
       Versalien „Der jüdische Patient“ geschrieben und dann das „jüdische“
       durchgestrichen. Diese universalistische Geste ist wichtig für das
       Selbstverständnis seines Autors, der das Buch ohne Ghostwriter oder Koautor
       unter dem Einfluss eines anderen Antidepressivums zu schreiben begonnen
       hatte.
       
       Die spezifische Krankheit des Oliver Polak hat andererseits aber mit seinem
       Leben zu tun, das von diesem Adjektiv „jüdisch“ geprägt ist, ob er will
       oder nicht. „Du hast doch mit dem Judenthema angefangen, da musst du dich
       nicht wundern, wenn dir ein eisiger Wind entgegenweht!“, ist eine
       Bemerkung, die er oft zu hören bekommt. Polak kontert sie mit der
       Bemerkung: „Das ist so, als würde ich einer attraktiven Frau sagen, dass
       sie sich nicht wundern solle, wenn sie vergewaltigt wird, da sie ja so gut
       aussehe.“
       
       ## Kranke deutsche Seele
       
       Krankheiten treffen Körper und Geist von individuellen Menschen, nicht
       Angehörige bestimmter sozialer Gruppen, auch wenn die einen vielleicht
       anders damit umgehen als die anderen. Irgendwann treffen sie jeden in
       diesem endlichen Leben.
       
       Aber gerade wenn es sich um eine Depression handelt, hat das auch eine
       gesellschaftliche Dimension. Polak stellt die naheliegende Frage, ob er
       nicht auch ein Patient der kranken deutschen Seele ist. Die Konfrontation
       mit etwas anderem als der deutschen, weißen, heterosexuellen
       Mittelklassewelt wird hier schnell als Zumutung erfahren.
       
       Das erklärt die Kompromisslosigkeit, die aus „Der jüdische Patient“
       spricht, das im Übrigen ein sehr humorvolles Buch ist, weil es keine Tabus
       gegenüber dem kennt, was Menschen widerfahren kann. Es erklärt aber nicht
       die Angst des 1976 geborenen Oliver Polak, die ihn seit seiner Kindheit
       begleitet.
       
       In seinen Albträumen fahren riesige Panzer durchs Kinderzimmer, der Junge
       fühlt sich „winzig, hilflos, ohnmächtig, klein“ und kann nicht um Hilfe
       schreien, „denn dann hätten mich die Soldaten aufgespürt. Ich durfte mich
       nicht bewegen.“ Olivers Vater rät ihm, die Tür abzuschließen, wie er es
       selbst jede Nacht mit dem elterlichen Schlafzimmer macht.
       
       ## Odysse nach Papenburg
       
       Oliver Polak wächst im Haus der Familie auf, das am 10. November 1939
       beinahe von einem SA-Trupp in Brand gesteckt worden wäre, wäre nicht ein
       Polizist eingeschritten. Oliver Polaks Vater war damals ein Kind. Er wurde
       deportiert, überlebte die Lager, konnte aber erst nach einer vier Jahre
       währenden Odyssee durch Osteuropa nach Papenburg zurückkehren.
       
       Die Mutter ist es, die mit Härte ihre Familie gegen ein als feindlich
       erfahrenes Draußen verteidigt: „Mein Vater war oft angeschlagen und
       bemerkte den Hass, den Antisemitismus, den Neid, der uns umzingelte, gar
       nicht, sodass meine Mutter immer alleine an der Front kämpfte“, schreibt
       Polak. „Klar musste sie nach außen hin hart sein, nur schaffte sie es
       anscheinend nicht, diesen Härtepanzer nach innen abzulegen.“ Daran leidet
       der Sohn noch heute.
       
       Eine andere Frau, die seine Reaktion herausfordert, ist seine Therapeutin
       im Krankenhaus. Sie sagt ihm: „Ihre Angst ist Kitsch! Der Holocaust soll
       der Holocaust bleiben, der hat mit Ihnen doch gar nichts zu tun!“ Sie hat
       recht, denkt sich Oliver Polak: „Ich muss den alten Waggon verlassen,
       aussteigen und das Vergangene hinter mir lassen. Einigen wir uns auf die
       Zukunft.“
       
       Das stimmt vielleicht. Allerdings hat die Zukunft die Angewohnheit, ihre
       Potenziale nur realisieren zu können, wenn die Vergangenheit in ihr einen
       angemessenen Platz gefunden hat. Polaks Buch gelingt das gut, das Publikum
       muss vielleicht noch ein bisschen an sich arbeiten.
       
       27 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Gutmair
       
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       Papenburg. Ein Gespräch über Tabus, jüdische Identität und passende Deckel.