# taz.de -- Aktivist über Anti-Einheitsfeier: „Das Zwergenhafte schützt uns“
       
       > Ein linksradikales Bündnis mobilisiert gegen die Einheitsfeier in
       > Hannover. Statt kapitalistisches Staatswohl will man solidarischen
       > Egoismus feiern.
       
 (IMG) Bild: Keine Freunde der Nation: DemonstrantInnen bei den Feierlichkeiten zu 20 Jahren deutscher Einheit in Bremen 2010
       
       taz: Herr Helfst, im Demo-Aufruf Ihres Bündnisses ist von Armut und
       Leistungszwang die Rede. Was hat das mit der deutschen Einheit zu tun? 
       
       Tobias Helfst: Der Feiertag ist ein Symbol für den deutschen Nationalismus.
       Und der ist ein Programm, sich dem Wohl des kapitalistischen Staates zu
       unterwerfen. Wir setzen einen solidarischen Egoismus dagegen: Wenn die
       Menschen sich erst mal um ihre eigenen Bedürfnisse kümmern, statt zu
       fragen, was sie für den Staat tun können, wäre schon viel gewonnen. Darum
       wird jedes Jahr gegen den Einheitsfeiertag demonstriert.
       
       Anfangs ging es um die Sorge, das wiedervereinigte Deutschland werde zum
       „Vierten Reich“. Geht es immer noch gegen die Einheit? 
       
       Nein, das wäre völlig anachronistisch. Wir haben schon reflektiert, dass
       ein Wandel stattgefunden hat. Das hängt auch an dem Datum. Bis 1990 wurde
       am 17. Juni kollektiv unter der Teilung Deutschlands gelitten: „Wir armes
       deutsches Opfer-Volk“. Am 3. Oktober wird inzwischen aber ein Sieg
       gefeiert. Das hat auch eine psychologische Dimension für die
       NationalistInnen.
       
       Sind das heute nicht auch andere Menschen? Deutsche WM-Siege wurden auch
       von MigrantInnen gefeiert. 
       
       Es gibt ein Sammelsurium verschiedenster Nationalismen – von rechten
       Kulturrassisten bis zu Verfassungspatrioten, die sich für das Wohl der
       Nation einsetzen. Aber ob es jetzt um naive WM-Feiern mit
       schwarz-rot-gelber Schminke im Gesicht oder um Nazis geht – für unseren
       Protest ist ihr Gemeinsames entscheidend.
       
       Nämlich? 
       
       Die Setzung einer willkürlichen Einheit, die andere Menschen ausschließt.
       Das ist die Grundlage dessen, was da gefeiert wird. Sie wird nicht offen
       ausgesprochen, ergibt sich aber aus der gesellschaftskritischen Analyse.
       
       Ging es auf den Mobilisierungsveranstaltungen auch um solche theoretischen
       Fragen? 
       
       Der Theorieanteil war fast schon zu hoch, erfreulicherweise aber nicht
       akademisch abgehoben. Es gab Veranstaltungen zum Nationalismus im Rap,
       Genderfragen oder auch zur Psychoanalyse. Das Leben unter dem
       Kapitalverhältnis ist kein Schicksal – man kann es ändern! Und das muss man
       den Leuten erklären. Die können mit ihren Chefs ja nicht mal über Geld
       reden, wenn die einzige Frage immer lautet, was die Arbeit Deutschland
       nützt. Hartz IV ist das treffendste Beispiel dafür, wie Menschen unter den
       Staat subsumiert werden.
       
       Mit weniger Fremdwörtern wird das auch auf rechten Montagsdemos gesagt. 
       
       Das sind ideologische Angebote an eine unterstellte Volksgemeinschaft,
       denen wir kritische Inhalte entgegensetzen. Wir müssen schließlich an die
       Leute ran – dass es sich im Kapitalismus beschissen lebt, wird mittlerweile
       ja auch jenseits der linksradikalen Szene bemerkt.
       
       Wo zum Beispiel? 
       
       Es gibt viele Haarrisse im hegemonialen Block, zu dem auch
       Gewerkschaftsverbände zählen, die widerspruchslos im System aufgehen. Jetzt
       entstehen zum Beispiel kleine, kämpferische Taxifahrergewerkschaften. Oder
       Contterm: Die unabhängige Gewerkschaft der HafenarbeiterInnen hat Ver.di im
       Hafen um Längen geschlagen. Es ist überall Bewegung drin und daran müssen
       wir ansetzen. Die radikale Linke hat sich immer zu sehr auf die Ebenen
       beschränkt, auf denen sie Erfolge erzielen konnte: Antifaschismus zum
       Beispiel. Wir müssen uns weniger als soziale Bewegung begreifen, sondern
       als politischen Akteur.
       
       Aber gerade dann: Warum jedes Jahr mit der gleichen Demo gegen ein
       Volksfest anrennen? 
       
       Es geht uns darum, Kontinuität zu beweisen: Solange das
       Ausbeutungsverhältnis besteht, sind auch wir da. Die Protestformen
       entwickeln sich allerdings schon weiter. In Bremen gab es 2010 einen großen
       Demozug, der sich martialisch gegeben hat und durchaus beeindruckend war –
       böse und unversöhnlich. Damit erschöpfte sich das dann aber auch. In
       Hannover ist der Protest breiter angelegt: mit einem Kongress und einer
       Kundgebung am 2. Oktober, auf der Konzerte populärer linker Bands wie
       Egotronic oder Frittenbude stattfinden.
       
       Macht dieses Gegenprogramm das Event damit nicht erst interessant für
       Jugendliche, die sich dem Familienausflug nach Hannover sonst gelangweilt
       verweigert hätten? 
       
       Wenn jemand von der Staatsfeierei zu uns rüber kommt, ist das doch gut! Wir
       haben nichts gegen die Menschen, sondern nur gegen ihre Positionen. Und
       darüber wollen wir ja gerade mit ihnen sprechen. Im Wort „Gegenprogramm“
       liegt allerdings auch ein Anspruch, dem wir gar nicht gerecht werden
       können. So stark ist die radikale Linke nicht. Wir schaffen einen Raum für
       kritische Auseinandersetzungen – darum geht’s.
       
       Stehen die Prostestler am Ende nicht sowieso entweder als Gewalttäter oder
       aber als Zwergenaufstand da? 
       
       Wir wollen keine Illusionen über die Stärke der radikalen Linken erzeugen.
       Während wir mit 1.000 Demo-TeilnehmerInnen rechnen, soll eine halbe
       Millionen BesucherInnen zum Staatsakt kommen. Wenn wir da zwergenhaft
       aussehen, schützt das auch uns selbst vor dem Eindruck, man könne den
       Kapitalismus einfach mal eben umwerfen. Die Kampagnen wirken dann
       langfristig aber auch wieder zurück in die Szene: Nach den Protesten von
       2010 haben wir alle gesehen, dass die Inhalte in unserer Tagespolitik
       weiterwirken.
       
       30 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan-Paul Koopmann
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Protest
 (DIR) Hannover
 (DIR) Deutsche Einheit
 (DIR) Tag der Deutschen Einheit
 (DIR) Landleben
 (DIR) Flüchtlinge
 (DIR) Berlin
 (DIR) Schwerpunkt Angela Merkel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Radikale vom Dorf: Drüben auf dem Hügel
       
       Linksradikalismus ist eine Sache der Metropolen, heißt es. Unser Kolumnist
       glaubt das nicht: Man spaltet sich dort nur souveräner.
       
 (DIR) Feier zum 3. Oktober in Frankfurt: Gigantismus in der Bankenstadt
       
       Schlaaaaaand! Die Einheitsfeier findet in Frankfurt statt. Das Motto:
       „Grenzen überwinden“. Linke Gruppen rufen zu Gegenveranstaltungen auf.
       
 (DIR) Kein Prozess gegen Berliner Blockierer: Erfolg für die Anti-Nazi-Pyramide
       
       Mit einer Betonpyramide blockierten Aktivisten am 1. Mai 2013 einen
       Neonazi-Aufmarsch in Berlin. Das Verfahren gegen sie wurde nun eingestellt.
       
 (DIR) Feier zum Tag der Deutschen Einheit: Die Staatskirmes
       
       Regierungspropaganda, Bierstände und Werbung für VW: Die Feier zur
       Wiedervereinigung in Hannover war irgendwas zwischen Leistungsschau und
       Volksfest.