# taz.de -- Tourismus in Tunesien: Der grüne Norden
       
       > Vom Massentourismus und der Politik wird die Bergregion Kroumirie gerne
       > vergessen. Dabei bietet sie Strand, Natur, Sport und Wellness.
       
 (IMG) Bild: „Meine Großmutter kam immer hierher, wenn sie krank war.“
       
       Solange ich keinen Job finde, arbeite ich lieber ehrenamtlich als gar
       nicht“, sagt Hayet. Die kleine Frau, Anfang 30, ist noch etwas außer Atem,
       gerade ist sie mit mir einen Hügel heraufgestiegen – Teil eines Wanderwegs
       im Feija-Nationalpark in Nordtunesien. Hayet ist eine von zwei
       ehrenamtlichen Wanderführerinnen im Park. Linker Hand erstrecken sich in
       der Ebene Getreidefelder, rechts eine tiefgrüne Bergkette, die bis zum
       Horizont reicht. „Siehst du den Sendemast da drüben? Das ist Algerien.“
       
       Die Berge sind der östlichste Ausläufer des Atlas-Gebirges, das sich von
       Marokko über Algerien bis nach Tunesien erstreckt. „Kroumirie“ heißt die
       Bergregion, 550 Kilometer Wanderwege gibt es dort. Einer ist gerade neu
       hinzugekommen und ich sei die erste Testläuferin, sagt Hayet. Sie hat den
       Weg gekennzeichnet. Erst am Vortag ist er fertig geworden, jetzt weisen
       gelbe Schilder die Richtung und an verschiedenen Stationen werden
       Informationen zur Region gegeben. Hayet engagiert sich in der NGO Sidi Bou
       Zitoun, die sich zum Ziel gesetzt hat, nachhaltigen Tourismus in der von
       Politikern wie Touristen oft gleichermaßen vergessenen Region
       voranzubringen.
       
       „Wir haben so viele Möglichkeiten, so viel Wissen in der Region, aber
       keiner kommt auf die Idee, daraus Produkte zu kreieren“, erklärt Hayet.
       „Heilpflanzen, frischer Honig, von den Frauen der Region hergestellte
       Seife, das könnte man alles verkaufen. Auch unser Wanderweg ist ein
       Produkt, jetzt müssen wir den Markt schaffen.“ Geld haben sie dafür nicht,
       abgesehen von 6.000 tunesischen Dinar, gut 2.500 Euro, einem Zuschuss der
       Europäischen Union für den ersten Wanderweg.
       
       ## Vorbei an wichtigen Ausgrabungsstätten
       
       Am Haus des Parkwächters angekommen, gibt es nach der Anstrengung etwas zu
       essen, seine Frau hat gekocht. Moqli gibt es, gebratenes Gemüse mit
       Spiegeleiern, dazu frischen Salat. Gegessen wird das Ganze mit noch warmem
       Mlaoui, einem gebratenen Fladenbrot aus Grieß, das in kleine Stücke
       gerissen wird und dann als Besteck dient.
       
       Essen direkt bei den Bewohnern der Regionen, auch das ist Konzept von Sidi
       Bou Zitoun. Auf dem Weg nach Ghardimaou, dem nächstgelegenen Ort, einer
       staubigen Kleinstadt an der algerischen Grenze, kommt man am Namenspatron
       der NGO vorbei, dem „Vater der Olivenbäume“. Mehrere tausend Jahre soll der
       wilde Olivenbaum alt sein und einer der größten Tunesiens.
       
       „Meine Großmutter kam immer hierher, wenn sie krank war. Sie hat einen
       halben Tag hier verbracht, dann ein paar Zweige des Baums gepflückt und
       daraus einen Aufguss bereitet. Am nächsten Tag ging es ihr besser.“ Auch
       Hayet kommt hierher, wenn sie Ruhe zum Nachdenken braucht. Wer Sorgen oder
       Wünsche hat, knotet ein kleines Stück bunten Faden an einen der Äste, den
       anderen Teil des Garns trägt er bei sich. Die Kräfte des Olivenbaums werden
       ihr weiteres tun, davon sind die Bewohner der Region überzeugt.
       
       Verlässt man die Region um Ghardimaou gen Nordosten, kommt man an Chemtou
       und Bulla Regia vorbei, zwei wichtigen Ausgrabungsstätten aus römischer
       Zeit. Alle zehn, fünfzehn Kilometer ändert sich dabei das Gesicht der
       Landschaft, von grüngelben Tiefebenen, vorbei an Getreidefeldern, denen
       Mohnblumen ein paar rote Tupfer verleihen, geht es hoch in den Wald
       Richtung Beni M’Tir. Dort stehen Korkeichen, vielen fehlen die unteren zwei
       Meter Rinde, die gerade zur Korkproduktion entfernt wurden und sich jetzt
       am Straßenrand stapeln. Und wenn man um die Kurve ins Dorf biegt, stehen da
       auf einmal kleine Häuschen mit roten Giebeldächern um den Dorfplatz, eine
       Kirche in der Seitenstraße.
       
       ## Von der Kolonialzeit geprägt
       
       „Die Geschichte unserer Stadt lässt sich schon an der Architektur ablesen“,
       lacht Samir Houizi hinter seinem Schreibtisch des Jugendhauses des Ortes,
       direkt am Dorfplatz. Beni M’Tir existiert nur, weil die Franzosen zur
       Kolonialzeit hier einen riesigen Staudamm gebaut haben, die Häuser waren
       die Arbeitersiedlung.
       
       Die Franzosen sind heute längst weg, die Kirche zum Kinderzentrum umgebaut,
       doch das Dorf ist geblieben und mit ihm der Stausee, der ganz Nordtunesien
       mit Trinkwasser versorgt. Er sorgt für das ganz besondere Mikroklima des
       Ortes, wo es selbst im Hochsommer nicht wärmer als 30 Grad wird. Im Winter
       schneit es allerdings manchmal – eine Seltenheit in Tunesien. Deshalb
       bezeichnen die 800 Einwohner ihr Dorf scherzhaft auch gerne als die Schweiz
       oder Vogesen Tunesiens.
       
       Eigentlich als staatliches Ferienheim angelegt, versucht Houizi mehr
       Individualtouristen in seine Anlage und die Region zu locken. Der Leiter
       hat in einem Projekt die Jugendlichen des Dorfes zu Führern ausgebildet,
       jetzt können die Gäste wandern gehen und je nach Saison im Stausee angeln
       oder im Wald Pilze sammeln gehen – die kommen dann beim gemeinsamen
       Abendessen gleich auf den Tisch. Houizi will weg vom reinen
       Jugendherbergsimage: die Zimmer werden umgebaut, jetzt bietet das „Zentrum
       für Ausbildung und Ferien von Beni M’Tir“, wie es offiziell heißt, nicht
       mehr nur Schlafsäle, sondern Zweibettzimmer und Ferienwohnungen mit neuem
       Bad, Klimaanlage, Heizung und dem besten Blick auf den Stausee.
       
       Eine ganz andere Klientel mit einem größeren Geldbeutel hat Faiez Rouissi
       für seine Thermalquellen im Kopf. Im März 2015 soll dort sein „Green Hill
       Resort“ eröffnet werden. Ein schon jetzt für seine Energieneutralität
       ausgezeichnetes Projekt, mit dem er umwelt- und gesundheitsbewusste
       Individualreisende anlocken will. Die nahegelegene Quelle Hammam Salhine
       zählt mit 72°C zu den heißesten der Welt. Die Behandlung der Gäste erfolgt
       im privaten Chalet, abends gibt es je nach Wunsch Schonkost, natürlich nur
       aus saisonalen Produkten aus der Region zubereitet, oder auch ein Bier an
       der Hotelbar. Eigentlich wollte der Architekt sein Thermalzentrum schon
       2011 eröffnen: die Investoren waren gefunden, der Staat bereit, das Projekt
       zu unterstützen, internationale Auszeichnungen ließen hoffen. Doch dann kam
       der politische Umbruch. „Drei Jahre später sind wir immer noch nicht
       fertig“, sagt Rouissi.
       
       ## Auf Wildschweinjagd
       
       Im 15 Kilometer entfernten Ain Draham, mit seiner handvoll Hotels ein wenig
       touristischer als die anderen Orte der Region, sitzt Tarek Ben Abdallah in
       seinem fast leeren 3-Sterne-Hotel „Royal Ryhana“. Außer seinen Stammkunden,
       die im Winter zur Wildschweinjagd kommen, ist es hier seit 2011 ruhig
       geworden. „Reisewarnungen und schlechte Presse machen uns zu schaffen,
       obwohl hier nie jemandem etwas zugestoßen ist.“
       
       Um mehr als 60 Prozent ist der tunesische Tourismus nach dem politischen
       Umsturz zeitweise eingebrochen, und obwohl sich die Zahlen Anfang 2014
       vorsichtig positiv entwickeln, ist das Land immer noch nicht wieder auf
       Vorrevolutionsniveau. „Die meisten Touristen, die kommen, entscheiden sich
       für All-inclusive-Urlaub am Strand, in Sousse oder Hammamet. Den Strand
       können sie hier auch haben, da müssen sie nur eine halbe Stunde nach
       Tabarka fahren. Aber sie haben bei uns eben auch die Berge und die Natur
       und nicht nur Hotelbunker“, echauffiert sich Ben Abdallah.
       
       Früher hatte das „Ryhana“ eigene Pferde für Ausritte, doch der Unterhalt
       ist zu teuer geworden. Jetzt bieten Moncef und sein Bruder für die
       Hotelgäste Wander- und Mountainbiketouren an. Sie kennen in der Region
       jeden Stein, jede Pflanzen- und Tierart. Sie waren dabei, als Schweizer
       Wissenschaftler zwei Wochen lang eine in den Alpen ausgestorbene Blume
       suchten und als ein Prinz aus den Golfstaaten eine Woche im Wald zelten
       wollte. „Wir erfüllen unseren Kunden jeden Wunsch“, sagt Ben Abdallah. Er
       wäre froh, wenn er im Moment überhaupt ausgefallene Anfragen hätte.
       
       11 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sarah Mersch
       
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