# taz.de -- Alternatives Urgestein Corny Littmann: Homo, aber auch schwul
       
       > Corny Littmann löste in Hamburg einst politische Skandale aus. Für seinen
       > Einsatz gegen Homophobie erhält er nun den Maneo-Award.
       
 (IMG) Bild: Längst im hanseatischen Establishment angekommen: Corny Littmann
       
       HAMBURG taz | Auf die Frage, was ihn am meisten errege, antwortete er
       einmal einem Hamburger Reporter: „Ein Tor in der neunzigsten Minute.“ Das
       war nur die halbe Wahrheit, er sollte freilich auch nur einen Satz sagen.
       Corny Littmann elektrisiert natürlich vor allem ein Tor kurz vor dem
       Abpfiff, sofern es von der eigenen Mannschaft geschossen wird.
       
       Er ist, seit er denken kann, dem Fußball mit so gut wie allem verbunden –
       er kennt Tabellen auswendig, kann Spiele nacherzählen, Partien lesen und
       Kombinationen erkennen. Ein Treffer, der alles umstürzt in einem Spiel kurz
       vor Ende – das könnte auch als Motto des Lebens dieses Mannes verstanden
       werden, der am Montag im Berliner Quatsch Comedy Club den Maneo Award
       erhalten wird – für seine Verdienste um die Schwulenbewegung, gegen
       Homophobie.
       
       Littmann hat den Satz vom Marsch durch die Institutionen auf seine Weise
       interpretiert. Er würde ihn vermutlich als schwulen Marsch durch
       heterosexuelle Institutionen bezeichnen – und doch nur sagen, dass er das
       übertrieben findet. „Ich habe immer nur getan, was mir Spaß macht“, sagt er
       im Foyer des Schmidt-Theaters am Spielbudenplatz, mitten auf Hamburg St.
       Pauli.
       
       Dieses Theater war seine Idee, mit Freunden realisierte er es, auf dass am
       8. August 1988 um 8.08 Uhr die erste Vorstellung gegeben werden konnte. Ein
       schwules Theater? Nein, sagt er, das denke nur immer alle Welt, die dieses
       Theater nicht kennt. In Wahrheit sei St. Pauli ein kleinbürgerliches
       Amüsierviertel gewesen, mit Revuen, Theatern, Kuriosa und Kabaretts für die
       Familie: „Das Schmidt Theater war immer eine Bühne für die ganze Familie“,
       wobei er mit Bedacht außen vor lässt, dass in seiner Idee von Familie
       Schwules immer mitgedacht werden muss.
       
       Tatsächlich hatte die hanseatische Welt solch ein Theater zuvor nicht
       gehabt. St. Pauli war ein Stadtteil, der von den guten Bürgern gemieden
       wurde, Sex und Schmutz hausten dort, da ging man nicht hin, jedenfalls
       nicht offiziell. Das Littmann’sche Projekt konnte auch erst gedeihen, als
       die Umsätze im Sexgewerbe in den Keller gingen mit der Aidskrise Mitte der
       Achtziger – und weil im Operettenhaus nebenan sentimentalische Projekte mit
       Freddy Quinn und Marika Rökk floppten: Das Publikum wollte Neues, und
       Littmann mochte dies gespürt haben.
       
       Er hat tatsächlich einen guten Riecher für die Situation und ihre
       Möglichkeiten. Sohn eines Professors, ausgerüstet mit einem untrüglichen
       Sinn für Unternehmerisches, gründete er mit Freunden 1976 die alternative
       Theatergruppe „Brühwarm“ – ein so offen schwules Projekt, wie es in diese
       Zeiten einerseits perfekt passte, andererseits aber von vielen abgelehnt
       wurde.
       
       ## Keine Lust aufs Versteckspielen
       
       Lilttmann & Co., die nie auch nur eine Sekunde darauf verschwendeten, sich
       selbst an bürgerliche Diskretionsgebote zu halten (du kannst ja schwul
       sein, aber sprich nicht so drüber!), verblüfften mit der Forderung, „warm
       zu leben“ – und endlich nicht mehr nur homosexuell zu sein, sondern schwul.
       
       Mit dieser Truppe tingelten sie bis Ende der Siebziger umher, „schliefen
       jahrelang Nacht für Nacht in WGs von Flensburg bis zum Bodensee“,
       gastierten vor Hunderttausenden auf dem alternativen Festival Umsonst &
       Draußen – und nahmen im letzten Juni der Dekade an „Homolulu“ teil, einer
       Art Tunix-Kongress für schwule Aktivisten.
       
       Das war in den Augen vieler angepasster, eher mutloser Homosexueller ganz
       unerhört, dass da einer wie Littmann (und viele andere seiner Generation)
       aufs Versteckspielen keine Lust hatten – und es als Teil der alternativen
       Boheme auch nicht mussten.
       
       ## Darauf aus, Männer beim Sex zu erwischen
       
       1980 folgte der nächste Schritt dieser unwahrscheinlichen Karriere
       seinerzeit – die Spitzenkandidatur für die Grünen in Hamburg, also bei der
       einzigen Partei der Republik, die politische Forderungen in (homo-)sexualer
       Hinsicht offen anzumelden hatte.
       
       Dass da auch manche Pädofreundlichkeit gerade auf Littmann zurückgeht, mag
       historisch erklärbar sein: Jugendliche aus den Fängen einer heuchlerischen
       Moral zu entlassen, eine, die Schläge gegen Kinder erlaubt, die
       Homosexuelles für ein Verderbnis schlechthin hält, vor dem Minderjährige
       bewahrt werden müssen – so erklärt es ein Weggefährte Littmanns, das war
       doch Ehrensache, keine Solidarität mit kinderpornografischen Hehlerbanden
       oder global operierenden Pädokreisen.
       
       1980, zur gleichen Zeit, machte er sich auf, diese Moral praktisch zu
       geißeln: Mit FreundInnen zog er zur Klappe am Spielbudenplatz auf St.
       Pauli, eine öffentliche Toilette als Treffpunkt schwuler Männer. Dieser Ort
       war verspiegelt – und hinter den Spiegeln saßen Polizisten, die darauf aus
       waren, Männer beim Sex zu erwischen. Jedenfalls ging es darum, die hierbei
       persönliche Daten zu sammeln, rosa Listen wie im Dritten Reich, moralisch
       zu diskreditieren.
       
       ## Ein Yuppie!, sagen einige Ahnungslose
       
       Littmann erinnert sich, dass es wahnsinnig schwer gewesen sei, diesen
       Spiegel mit einem Hämmerchen zu zertrümmern, praktisch gesehen. Es gelang
       vollends: In der Stadt gab es den ersten Skandal um Homosexuelles, bei dem
       Schwules medial nicht schlecht abschnitt, sondern Solidarität erfuhr.
       
       Littmann war eine bekannte Figur in Hamburg mit dieser Aktion: ein Kämpfer,
       der aus seinem Leben kein Rebellentum inszenierte, vielmehr den Leitsatz
       der alternativen Kultur lebte: Du hast keine Chance, also nutze sie.
       Littmann ist ja längst ein Teil des hanseatischen Establishments, hat auch
       den höchst ehrenwerten Max-Brauer-Preis der Stadt erhalten – und ist
       durchaus verhasst bei einigen aus dem autonomen Spektrum.
       
       Ein Yuppie!, sagen einige Ahnungslose. Einer, der die Sache verraten hat!,
       ergänzen andere. Das Schmidt Theater hatte Erfolg, und zwar ganz ohne
       Subventionen, unabhängig vom Staat. Damit begann auf St. Pauli natürlich
       auch das, was, so Littmann, immer und überall folgt, wenn alternative
       Szenen sich niederlassen: das, was Gentrifizierung genannt wird.
       
       ## Manche Autonome rümpfen die Nase
       
       St. Pauli war plötzlich hip und cool, Schmuddelatmosphäre kam besser an als
       gediegenes Cocktailgetue an der feinen Außenalster der Stadt oder die ökige
       Langeweile von grünen Vierteln wie Eimsbüttel. Littmann sagt: „St. Pauli
       war kaputt, im Krieg zerstört, mit schlechtem Material wieder aufgebaut –
       und von der Stadt und ihrer Politik verlassen.“ Diesen Stadtteil wieder auf
       die Karte der öffentlichen Wahrnehmung geholt zu haben, ist auch sein
       Verdienst mit.
       
       Er ist auf St. Pauli durchaus ein Player, man rümpfte die Nase, als
       Littmann und die seinen anfingen, mit Leuten zu sprechen, die nicht zur
       alternativen Szene gehören – auch mit Immobilienkönigen, ebenso mit dem
       (schwulen) CDU-Bürgermeister Ole von Beust, mit dem Corny Littmann gern
       kooperierte. Seine Methode immer: die eigenen Absichten nicht verstecken,
       die Bewegung der Siebziger nicht verraten – und doch mit allen sprechen,
       mit allen verhandeln, nötigenfalls auf dem kurzen Dienstweg. Man könnte
       sogar sagen: So frei, wie die Alternativbewegung einst war, ist sie längst
       nicht mehr.
       
       Littmann weiß nicht, ob das an diesem hanseatischen Typus von autonomen
       Kämpfer liegt, er sei erotisch nicht zugänglich, eher von eisiger,
       uncooler, unlustiger Art – und er muss das wissen, denn als der
       „Brühwarm“-Präzeptor voriges Jahr in der Roten Flora einen Soliabend über
       seinen alten Freund Rio Reiser machen wollte, wurde er mit Auftrittsverbot
       der Rotfloristen belegt. Der Vorwurf: Gentrifizierung.
       
       Littmann, gar nicht amüsiert, sagte nur: „Einen Künstler mundtot zu machen,
       ihm Auftrittsverbot zu erteilen, das ist keine Lappalie. Das ist heute noch
       gängige Praxis in Diktaturen und das war ein Herrschaftsinstrument der
       Nazis.“
       
       ## Sollen sich schwule Fußballer outen?
       
       ## 
       
       Der Mann kann deutlich werden, offenbar. Als bekennender Fußballfan war
       Littmann schließlich die Rettung auch für den FC St. Pauli: Als erster
       offen schwuler Präsident eines Profiklubs war er das lebende Dementi, dass
       Schwule generell eher zum Ballett als zum robusten Rasensport neigen. Zur
       ewigen Frage, ob ein Spieler sich outen solle, sagte er stets lapidar:
       „Nein, besser nicht.“ Nicht weil ein Versteckspielen besser wäre, eher weil
       der öffentliche Druck in der Zurschaustellung zu mächtig sei, als dass
       jemand dann noch gut Fußball spielen könne.
       
       Altenteil ist noch längst nicht, sagt er, und zu Bilanzen in eigener Sache
       fehle ihm die Zeit, vor allem die Lust. Was war die Zeit vor 40 Jahren?
       „Eine sehr bewegte, die selten in Mosaiksteinchen aufblitzt. Sie ist ein
       Teil von mir, aber ich beschäftige mich nicht mit ihr.“ Wie oft sei er
       schon gefragt worden, Memoiren zu verfassen, wenigstens Bilder,
       Schnappschüsse zu sortieren. Nee, das sei seine Sache nicht: „Ich habe nix
       archiviert.“
       
       Was treibt ihn überhaupt an? „Die Suche danach, was mich im Moment
       glücklich macht.“ Er reist gern nach Kuba, in die Sonne, wo in einem
       grundsätzlichen Sinne bessere Laune herrscht, das mag, so Littmann, mit dem
       besseren Wetter zu tun haben. Neulich in Havanna? Aber das wäre eine
       weitere Geschichte, eine von einem Theater, das er entdeckt hat, was nicht
       funktionieren kann, weil es alt und morsch ist. Und schön. Wie damals auf
       St. Pauli. Littmann hat sich offenbar wieder einmal verliebt.
       
       19 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Feddersen
       
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