# taz.de -- Reisen in Usbekistan: Die Melonenrepublik
       
       > Seidenstraße, Moscheen und Wodka, die Wüste Kysylkum und ein Diktator:
       > Usbekistan ist ein untergegangenes Märchenland aus 1001 Nacht.
       
 (IMG) Bild: Der Registanplatz in Samarkand mit seinen drei historischen Bauwerken.
       
       Der Antrag auf das Visum ist ausgefüllt, die Gebühren von 70 Euro sind
       überwiesen. Ich stehe in der Warteschlange der usbekischen Botschaft. Die
       Mitwartenden - zumeist Usbeken - schweigen, reden leise, wippen nervös mit
       den Beinen. Es herrscht, wie in fast allen Ämtern in autoritären Staaten,
       ein Klima der Angst und Einschüchterung.
       
       Nach einer halben Stunde stehe ich vor dem Beamten und schiebe ihm meine
       Unterlagen zu. Er schaut sich alles an und fragt: „Sie sind also Journalist
       und wollen nach Usbekistan, um eine Reisereportage über das Land zu
       schreiben?“ „Richtig,“ sage ich. „Gut“, antwortet er: „Dann habe ich hier
       einen kleinen Text für Sie. In dem Text sind Rechtschreibfehler. Ich will,
       dass Sie die Fehler finden und mir sagen, ob Sie den Text verstanden
       haben.“
       
       Ich stutze, bin überrascht, frage nach: „Ich soll jetzt in diesem Text die
       Fehler ankreuzen?“ Er antwortet: „Ja, machen Sie das“, und gibt mir mit
       einer Handbewegung zu verstehen, dass ich auf die Seite gehen soll.
       
       Ich kreuze die Rechtschreibfehler an. Der Text ist ein einziger langer
       Bandwurmsatz, hundsmiserabel geschrieben. Er handelt von einem
       tschechischen Botschafter, der sich in Taschkent, der Hauptstadt
       Usbekistans, ungebührlich verhalten hat und deswegen des Landes verwiesen
       wurde. Ich bin verwirrt, gehe mit dem korrigierten Text wieder zu dem
       Beamten. Er sagt: „Wie ich sehe, haben Sie die Fehler gefunden. Wie fanden
       Sie den Text?“
       
       Ich sage: „Unglaublich schlecht geschrieben. Er fragt: „Wie meinen Sie
       das?“ Ich sage: „Dieser Text braucht mehr Hauptsätze.“ Er scheint not
       amused zu sein und sagt verärgert: „Das meine ich nicht. Wie fanden Sie den
       Text, haben Sie ihn verstanden?“ Ich antworte: „Na klar habe ich ihn
       verstanden: Ein tschechischer Diplomat hat sich in ihrem Land ungebührlich
       verhalten und wurde deshalb ausgewiesen.“
       
       Der Beamte scheint mit meiner Antwort zufrieden zu sein. Er lächelt
       selbstherrlich vor sich hin und sagt: „Na, dann ist ja alles gut.“ Er
       fordert mich zum Gehen auf. Eine Woche später bekomme ich ohne weitere
       Komplikationen mein Visum zugeschickt.
       
       Diese kafkaeske Aktion in der Botschaft war ein ziemlich erbärmlicher
       Versuch der Einschüchterung. Usbekistan ist eine Diktatur,
       scheindemokratisch regiert von Islam Karimow, der seit Erklärung der
       Unabhängigkeit von der Sowjetunion im Jahre 1991 als Alleinherrscher an der
       Spitze des Staates steht. Bei der letzten Wahl erhielt er 90 Prozent der
       Stimmen, eine Opposition gibt es nicht.
       
       Einen „islamistischen Aufstand“ im Ferghanatal im Jahre 2005 beendete er
       durch den Einsatz des Militärs - 500 Demonstranten wurden erschossen. Laut
       Human Rights Watch sitzen zurzeit 7.000 Menschen wegen politischer oder
       religiöser Vergehen im Gefängnis. In der Rangliste der Pressefreiheit von
       Reporter ohne Grenzen steht Usbekistan auf Platz 160 von 175 Staaten.
       Amnesty International bezeichnet das Land wegen notorischer Verletzung der
       Menschenrechte als „eines der repressivsten der Welt“.
       
       Ein paar Tage später stehe ich bei 40 Grad im Schatten in Taschkent. Die
       Hauptstadt Usbekistans ist mit ihren 2,6 Millionen Einwohnern das
       industrielle Ballungszentrum des Landes und dürfte jeden Orientliebhaber
       maßlos enttäuschen. 1966 wurden weite Teile der Stadt durch ein Erdbeben
       zerstört und danach im Geiste einer sowjetsozialistischen Stadtarchitektur
       wieder aufgebaut. Breite, mehrspurige Straßen werden von kilometerlangen
       Plattenbausiedlungen gesäumt, und auf dem Unabhängigkeitsplatz, im Zentrum
       der Hauptstadt, stehen die neu erbauten monumentalen Regierungsgebäude der
       Karimow-Regierung.
       
       ## Pflichtbesuch in Taschkent
       
       Es gibt eine Tram, ein gut funktionierendes Omnibusnetz und die einzige
       U-Bahn Zentralasiens. Wären da nicht die Hitze und die zentralasiatischen
       Gesichter der Passanten, könnte man sich in einer x-beliebigen Stadt des
       ehemaligen Ostblocks wähnen. Gut, hier und da findet sich noch eine blau
       schimmernde Moschee aus dem 16. Jahrhundert oder ein Basar mit bunten
       Gewürzen und Schaschlikgeruch -mit orientalischem Flair hat das alles aber
       nichts zu tun.
       
       Unseren Aufenthalt in Taschkent verdanken wir dem Präsidenten Karimow. Er
       hat angeordnet, dass jeder Tourist in der Hauptstadt landen und von dort
       auch wieder abfliegen muss. Die Modernität des Landes soll und muss gesehen
       werden. Gar nicht so schlecht, diese Anweisung des Präsidenten, denke ich -
       denn Taschkent mit seinem rauen, urbanen, sozialistischen Charme passt so
       ganz und gar nicht in die Imagekampagne Usbekistans als das
       Seidenstraßenmärchenland aus 1001 Nacht. Am Abend schon fliegen wir nach
       Chiwa.
       
       Chiwa ist über 2.500 Jahre alt, liegt am Rande der Kysylkumwüste und war
       seinerzeit ein wichtiges Handelszentrum der historischen Seidenstraße. Die
       Moscheen, Medresen (Koranschulen) und Minarette der Stadt, die von einer
       mächtigen Befestigungsanlage umrahmt werden, flimmern mit ihren
       türkisblauen Keramikmustern und orientalischen Ornamenten in der
       Mittagssonne. Alte Männer in breiten Gewändern und weißgrauen Bärten
       flanieren die Altstadtgassen entlang. Aus den Innenhöfen der Häuser hört
       man das Blöken der Ziegen und Schafe. Lebhaft kann man sich vorstellen, wie
       einst die Karawanen mit ihren Handelswaren aus China und Indien durch die
       engen Gassen Chiwas zogen.
       
       ## „Nur ein kleines Bakschisch“
       
       Kurz nach Chiwa, auf dem Weg ins 450 Kilometer entfernte Buchara, werden
       wir jedoch von der usbekischen Realität schnell wieder eingeholt. Man winkt
       uns an einem der unzähligen Straßenkontrollpunkte der Polizei an die Seite.
       Offiziell legitimiert man diese Checkpoints mit dem Kampf gegen des
       islamistischen Terror. Ebenso sollen sie den Drogenhandel, der aus dem
       benachbarten Afghanistan über die Grenze schwappt, verhindern.
       
       Praktisch nur, dass man so auch die Bewegungen der eigenen Bevölkerung
       minutiös kontrollieren kann. Und die grimmig dreinblickenden, schlecht
       bezahlten Polizisten haben auch etwas davon. Rashid, unser Fahrer,
       verschwindet für fünf Minuten und kommt dann gut gelaunt wieder. „Nur ein
       kleines Bakschisch“, sagt er. Keine Probleme.
       
       Wir durchqueren die Kysylkum-Wüste. 80 Prozent Usbekistans bestehen aus
       Wüsten-und Steppenlandschaften. Hunderte von Kilometern sehen wir nichts
       als Sand und eingestaubtes grünes Gestrüpp. Es ist eine sehr monotone
       Landschaft ohne Erhebungen und Sanddünen. Die Straßen sind in einem
       miserablen Zustand. Nach acht Stunden Fahrt erreichen wir Buchara.
       
       ## Auf dem Minarett bleibt es still
       
       Im Zentrum der Stadt befindet sich das große Wasserbecken Labi Hovuz.
       Früher diente das Wasserbecken der Bevölkerung zur Trinkwasserversorgung,
       als Waschplatz oder als Tränke für die Tiere der Seidenstraßenkarawanen.
       Heute ist es mit seinen vielen Restaurants und Läden ein beliebter
       Treffpunkt für Jung und Alt. Um das Wasserbecken herum gruppieren sich die
       mittelalterlichen Gebäude und Basare der Stadt. Allerorts sieht man
       prachtvolle Moscheen und Koranschulen mit Blumenornamenten, arabischen
       Kalligrafien und den allgegenwärtigen azurblauen Kuppeln.
       
       Es ist Freitag. Die Menschen versammeln sich zum Gebet. 89 Prozent der
       Usbeken sind sunnitische Muslime. Teppiche werden vor den Moscheen
       ausgelegt. 200 Männer knien nieder. Der Imam hält seine Predigt. Feriz,
       unser Reiseleiter, erklärt uns, dass in Usbekistan der Muezzin nicht vom
       Minarett aus zum Gebet aufrufen darf. In gleicher Weise ist es dem Imam
       untersagt, von der Kanzel herabzupredigen. Eine Anweisung von Islam Karimow
       - denn in Usbekistan soll niemand, auch nicht die Religion, über dem
       Alleinherrscher stehen.
       
       Am Abend spreche ich einen jungen Mann vor einer Disco an. Ich frage ihn
       auf Englisch, ob da drin noch etwas los sei. Er fragt zurück, ob ich auch
       Deutsch könne. Es stellt sich heraus, dass Jafar, so der Name des jungen
       Mannes, in Taschkent Germanistik studiert hat. Schnell freunden wir uns an,
       gehen gemeinsam ein Bier trinken. Sein Deutsch ist ausgezeichnet. Ich frage
       Jafar, wie er Karimow einschätzt. Er weicht aus, möchte nicht darüber
       sprechen, sagt, dass es immerhin ruhig in Usbekistan sei und die Islamisten
       hier keine Chance hätten.
       
       ## Zum Heiraten gedrängt
       
       Er wechselt das Thema, spricht lieber über die Liebe. Seine Eltern drängen
       ihn, obschon er erst 23 ist, zur Heirat. Er sagt: „Sie stellen mir die
       ganze Zeit Mädchen vor, mit denen ich dann spazieren gehen muss. Nach dem
       Spaziergang fragen sie mich: Und? Wie war sie? Aber ich fühle nichts,
       möchte aber meine Eltern nicht enttäuschen.“
       
       Er unterscheidet zwischen dem „freien europäischen und dem traditionell
       usbekischen Blick“ auf die Liebe. Seine Eltern sagen immer wieder, dass es
       zuallererst darauf ankomme, ein anständiges Mädchen aus gutem Hause zu
       heiraten. Das mit der Liebe würde sich mit der Zeit schon ergeben. Jafar
       scheint mit der traditionellen Einstellung seiner Eltern nicht glücklich zu
       sein.
       
       Wir bestellen uns noch ein Bier und einen Wodka. Dank der Sowjets bekommt
       man in Usbekistan überall guten und billigen Wodka. Mit dem Alkoholverbot
       scheinen es die Usbeken nicht so genau zu nehmen. Jafar erzählt mir, dass
       viele Usbeken mit ihren Gläsern unter dem Tisch anstoßen - dort schaue
       Allah nicht so genau hin. Später spricht er noch über seine Zeit in
       Deutschland. Für drei Monate war er als Austauschstudent in Köln.
       
       Wir fahren weiter nach Samarkand, sehen endlose Baumwollfelder, die der
       Wüste durch künstliche Bewässerung abgetrotzt wurden. Usbekistan ist der
       drittgrößte Baumwollexporteur der Welt. 80 Prozent der landwirtschaftlichen
       Nutzfläche dienen dem Anbau der Baumwolle. Die übermäßige Wasserentnahme
       aus den Flüssen hat jedoch zu schweren ökologischen Schäden und einer
       starken Bodenversalzung geführt. Der Aralsee im Nordwesten Usbekistans,
       einst eines der größten Binnengewässer der Welt, steht kurz vor der
       Austrocknung.
       
       Wir halten an einem der Felder an. Einige Knospen haben sich bereits
       geöffnet, zeigen ihr flaumiges Weiß. Feriz, unser Reiseleiter, sagt, dass
       die Baumwollernte bald beginne. Und dann müssten alle mit anpacken - so
       werde zum Beispiel jeder Student des Landes auf Anweisung von Karimow zur
       Baumwollernte abkommandiert. Auch er selbst habe früher während seiner
       Studienzeit Baumwolle gepflückt.
       
       Hinter den Baumwollfeldern liegt das sagenumwobene Samarkand. Im Herzen der
       2.750 Jahre alten Seidenstraßenmetropole, die Goethe bereits in seinem
       „West-östlichen Divan“ pries, liegt der Registanplatz mit seinen monumental
       in den Himmel ragenden Medresen. Man flaniert durch atemberaubende
       Spitz-und Rundbögen, die Fassaden sind mit kunstvollen orientalischen
       Ornamenten verziert, und die grün-azurblauen Kuppeln glitzern im sanften
       Licht der untergehenden Abendsonne.
       
       Unweit des Registanplatzes steht das nicht minder beeindruckende
       Gur-Emir-Mausoleum, die Grabstätte von Timur Lenk, einem zentralasiatischen
       Eroberer vom Ende des 14. Jahrhunderts, dessen Reich sich auf dem Höhepunkt
       seiner Macht von Indien bis in die Türkei hinein ausdehnte. Er gilt als
       einer der brutalsten Herrscher der Weltgeschichte – Hunderttausende
       Menschen ließ er ermorden oder im Elend verrecken. Karimow inszeniert
       diesen grausamen Herrscher als Ahnen aller Usbeken – statt Marx und Engels
       ein Denkmal zu setzen, ließ er in nahezu jeder Stadt eine Timur-Lenk-Statue
       errichten.
       
       ## Melonen gibt es fast überall
       
       Usbekistan ist das Land der Melonen. Überall gibt es sie zu kaufen, in den
       Geschäften, auf Basaren, in Restaurants und am Straßenrand. Die usbekische
       Melone ist berühmt: Bereits im Mittelalter soll sie in eigens dafür
       angefertigten Eiskübeln nach Bagdad an den Hof des Kalifen geliefert worden
       sein. Der Kauf einer Melone gleicht in Usbekistan einer komplizierten
       wissenschaftlichen Recherche. 800 verschiedene Sorten soll es geben, und
       bevor ein Usbeke eine Melone erwirbt, riecht, klopft und schüttelt er sie
       so lange, bis er glaubt, das perfekte Stück gefunden zu haben. Usbekistan
       ist keine Bananenrepublik, nein, Usbekistan ist zu 100 Prozent eine
       Melonenrepublik.
       
       Wir fahren zurück nach Taschkent. Sie wissen schon – Anweisung von Karimow:
       Jeder Tourist muss in Taschkent landen und von dort auch wieder abfliegen.
       
       Am Taschkenter Flughafen wird Gertrude, eine unserer Mitreisenden, von der
       Polizei verhört. Ihre Vorfahren waren Wolgadeutsche, die von Stalin nach
       dem Zweiten Weltkrieg nach Sibirien deportiert wurden. 1956, nach einem
       Besuch Adenauers, wurden sie nach Usbekistan umgesiedelt. Unsere
       Mitreisende verbrachte ihre ersten 14. Lebensjahre in Taschkent. Später zog
       sie in die DDR. Heute ist sie 58 Jahre alt. Es ist ihr erster Besuch in
       Usbekistan seit ihrer Ausreise.
       
       Am letzten Tag fuhr sie mit einem Taxi in den Stadtteil ihrer Kindheit. Sie
       besuchte ihre alte Kirche und Schule. Am Flughafen fragt sie der Polizist,
       was sie dort gemacht habe und weshalb sie in Usbekistan gewesen sei. Wir
       wurden auf dieser Reise auf Schritt und Tritt von Karimows Geheimdienst
       überwacht. Überrascht hat das niemanden.
       
       25 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alem Grabovac
       
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