# taz.de -- Tödlicher Anschlag im Nordsinai: Gewalt gegen Gewalt
       
       > Ägyptens Staatsmacht ist in der Beduinenregion des Nordsinai kaum
       > präsent. Nach dem Terroranschlag wird mit Kampfhubschaubern reagiert.
       
 (IMG) Bild: Trauer um die im Nordsinai getöteten Soldaten
       
       KAIRO taz | Schafft der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi in einem
       schnelleren Tempo Terroristen, als er sie bekämpfen kann? Eine Frage, die
       sich nach Anschlag im Nordsinai am Wochenende erneut stellt, bei dem durch
       eine Autobombe mindestens 33 ägyptische Soldaten ums Leben kamen. Es war
       der blutigste Anschlag seit Beginn des Aufruhrs im Nordsinai vor drei
       Jahren.
       
       Nach einem Treffen des Nationalen Sicherheitsrats machte al-Sisi in einer
       Rede „ausländische Hände“ für die Tat verantwortlich. Keine der im
       Nordsinai operierenden militanten islamistischen Gruppen hat sich bisher
       verantwortlich erklärt. Die Grenze zum Gazastreifen wurde geschlossen und
       ein dreimonatiger Ausnahmezustand für das Gebiet rund um Rafah an der
       Grenze zum Gazastreifen ausgerufen.
       
       Kernstück ist eine Ausgangssperre zwischen 17 und 7 Uhr. Außerdem wird
       erwogen, die Pufferzone an der Grenze zum Gazastreifen auszuweiten, wofür
       Einwohner Rafahs umgesiedelt werden müssten. Im Gespräch ist auch eine
       weitere Ausweitung der Militärgerichtsbarkeit gegen Zivilisten.
       
       Alle Maßnahmen legalisieren bereits geltende Regeln oder weiten sie aus.
       Sie entspringen dem Denken, dass es sich im Nordsinai um ein reines
       Sicherheitsproblem handelt, dem nur mit mehr Sicherheit beizukommen ist.
       Aber wenn Apache-Kampfhubschrauber vermeintliche Terroristenverstecke in
       den Dörfern des Nordsinai bombardieren, schafft sich der Staat dort wenig
       Freunde, genauso, wenn er Menschen umsiedelt oder sie für 14 Stunden unter
       Hausarrest stellt.
       
       Die vergangenen drei Jahre solcher Maßnahmen haben gezeigt, dass dem
       Problem damit nicht beizukommen ist. Den dort operierenden militanten
       islamistischen Organisationen wie Ansar Bait al-Maqdis, der aktivsten
       Gruppe, wird es so nur erleichtert, unter den verärgerten und verzweifelten
       Einwohnern neue Rekruten zu finden. Je mehr Soldaten geschickt werden, umso
       mehr wird der Nordsinai zum ägyptischen Somalia und desto größer ist die
       Gefahr, dass die Unsicherheit sich auf den Rest des Landes ausweitet.
       
       ## Traditionelles Sozialsystem zerstört
       
       Denn das Sicherheitsproblem entspringt einem strukturellen Problem des seit
       Jahrzehnten vernachlässigten Nordsinai, wo es anders als im Süden der
       Halbinsel keine Tourismusprojekte gibt. Schmuggel von und nach Gaza blieb
       für viele die einzige ökonomische Option. Der Staat ist für die Beduinen
       fast ausschließlich durch schwer befestigte Polizeistationen repräsentiert.
       Schon zu Mubaraks Zeiten wurden die alten beduinischen Hierarchien
       konsequent zerstört und durch ein Spitzelsystem ersetzt. Das Ergebnis des
       zerstörten traditionellen Sozialsystems: Im Nordsinai regieren das
       Schmuggelgeld und die Rattenfänger militanter Islamisten.
       
       Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, braucht es für den Nordsinai eine
       Vision jenseits der Kampfhubschrauber. Ägyptens Militärs haben aber nie
       etwas anderes gelernt, als auf ein Problem mit Gewalt zu reagieren. So ist
       es nur eine Frage der Zeit, bis im Nordsinai die ersten Gruppen im Namen
       des Kalifen des Islamischen Staats operieren werden. Das wiederum gäbe dem
       ägyptischen Staat die Rechtfertigung, noch repressiver nicht nur im
       Nordsinai, sondern auch im Rest des Landes vorzugehen, im Namen der
       Terrorbekämpfung und wahrscheinlich mit internationaler Rückendeckung.
       
       Dschihadisten und repressive Regime rechtfertigen mit dem jeweils anderen
       ihre Existenz und schaukeln sich gegenseitig hoch. Wie dieser Kreislauf
       gebrochen werden kann, ist heute das brennendste Thema nicht nur in
       Ägypten, sondern in der ganzen arabischen Welt.
       
       26 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Karim El-Gawhary
       
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