# taz.de -- Die Wahrheit: Ein Jahr ohne Streichhölzer
       
       > Neues aus Neuseeland: Langzeitexperimente von Journalisten liegen im
       > Trend. Das neueste Produkt heißt: „My Year Without Matches“.
       
       Drei Tage lang war ich auf einem Literaturfestival außer Landes. Es ging
       kaum um Prosa und Poesie, sondern um echte Leute und Ideen. Großartig,
       inspirierend, und die Diskussionen in jeder Runde hitzig und wichtig.
       Begeistert zog ich von Zelt zu Zelt, von Autor zu Autorin. An jedem
       Nachmittag wurde eine Neuerscheinung gelauncht. So auch „My Year Without
       Matches“.
       
       Wow. Der Titel ließ mich nach dem Blick ins Programm nicht mehr los. Ein
       Jahr ohne Streichhölzer? Wo gibt’s denn so was? Wer tut sich das an, zwölf
       Monate lang? Wie, zum Teufel, bekommt man ohne Zündholz im Dezember die
       Kerzen am Tannenbaum an? Oder bastelt im Herbst Kastanienmännchen? Wie baut
       man nur all diese Miniatur-Kathedralen – etwa mit Zahnstochern? Oder zieht
       beim Auslosen den Kürzeren? Unendliche Fragen tun sich bei der Vorstellung
       auf, und nicht nur die naheliegenden („Warum nicht einfach mit
       Feuerzeug?“). Das will man doch alles wissen. Gut, dass diesem
       Ausnahmezustand 288 Seiten lang nachgespürt wird.
       
       Langsam wird die Liste der Dinge auch dünne, ohne die man ein Jahr lang als
       Buchautorin gezwungenermaßen oder freiwillig auskommen muss. Kein Kaffee,
       kein Kühlschrank, kein Auto, kein Geld – gab’s sicher alles schon im
       Selbstversuch. Ein Jahr ohne Internet oder Telefon: das hatten wir bereits
       vor Jahren, sowohl auf Deutsch wie international. Ein Jahr ohne Kleiderkauf
       oder stets im gleichen blauen Fummel: mitgefiebert, oft kopiert, abgehakt.
       Ein Jahr ohne Zucker? Hat uns nicht nur die amerikanische TV-Dame Katie
       Courie nahegebracht. Von einem Jahr ohne Saufen kann einem jedes Mitglied
       der Anonymen Alkoholiker anschaulich berichten, und auch ein Jahr ohne Sex
       ist nichts Spektakuläres mehr. „My Year Without Sex“ lief sogar als Film in
       Australien.
       
       Jetzt also Streichhölzer. Logisch. Längst fällig, nicht erst seit dem Song
       von Oomph („Das letzte Streichholz“). Auf dem Weg zur Buchvorstellung
       überlege ich, auf was man noch alles verzichten könnte, um daraus ein
       Druckwerk zu machen. Mein Jahr ohne Zähneputzen? Mundgeruch im Endstadium
       als existenzielle Naturerfahrung. Die Entfremdung von den Mitmenschen, der
       Verlust der Sozialkontakte, das Einswerden mit der Oralflora und -fauna,
       und das Ganze einfühlsam beschrieben – das will doch jeder lesen. Hohe
       Auflage garantiert. Dazu die Vorher-nachher-Bilder für die Pressekampagne,
       beim Zahnarzt geschossen. Ich sollte mal mit einer der vielen Agentinnen
       oder einem der Verlagsvertreter reden, die auf dem Festival herumgeistern.
       Solche Ideen muss man schnell umsetzen.
       
       Die Veranstaltung beginnt. Autorin Claire Dunn hält ihr Erstlingswerk in
       den Händen. Sie hat sich ein Jahr lang ohne technische Hilfsmittel und
       jeglichen Komfort in die australische Wildnis begeben. Um ein wenig Wärme
       oder ein Essen zu zaubern, zündelte sie jedes Mal mühsam mit Feuerstein und
       Hölzchen herum. Sie musste in der Survival-Zeit auch ohne Klopapier
       auskommen. Irgendwie hätte mich das als Titel mehr überzeugt. Ich denke
       viel zu kommerziell.
       
       6 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anke Richter
       
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