# taz.de -- Kolumne Anderes Temperament: Das gab’s in keinem Russenfilm
       
       > Weiße Ballons zum Mauerfall-Jubiläum? Sackhüpfen hätte es auch getan.
       
 (IMG) Bild: Da leuchteten sie noch: Ballons beim Mauerfalljubiläum in Berlin
       
       Das große Finale fand nicht statt. Tausende waren auf Dächer geklettert,
       hatten sich auf Brücken gedrängt, Bürgersteige verstopft, Straßen
       versperrt. Doch Disziplin und Gehorsam verhinderten das Spektakel zum
       25-jährigen Jubiläum des Mauerfalls: Die Heliumballonpaten ließen ihre
       Ballons erst dann los, wenn sie an der Reihe waren. Und an der Reihe waren
       sie erst dann, wenn der Vorgänger-Ballonpate sein Patenkind losgelassen
       hatte. So gesehen an der Bernauer Straße. Beim Loslösen der Ballons
       verhakten sich immer wieder die Bänder der an die Ballons gehängten
       Postkarten, und so dauerte es ewige Minuten, bis der Luftballon befreit und
       der nächste Pate dran war. Und statt eines durch die Ballons erhellten
       Himmels, starrte man in graupensuppigen Nebel.
       
       Diese Show, die keine war, wird im Nachhinein schöngeredet mit der
       Behauptung, wahre Kunst sei eben leise. Jene, die das Spektakel erwartet
       hatten und enttäuscht nach Hause gingen, gelten als typisch Berliner
       Nörgler und Leni-Riefenstahl-Fans.
       
       Ich stand mit Hunderten enttäuschter Touristen auf dem Dach eines
       Neuköllner Kaufhauses und starrte so wie sie fassungslos auf mein
       Smartphone, um die Livestreams von ARD, CNN oder BBC zu verfolgen und
       festzustellen, dass wahrlich nichts zu sehen war im Himmel über Berlin –
       außer einer Polizeidrohne.
       
       Abgesehen davon, dass nichts zu sehen war – was hätte man auch sehen
       sollen? Was genau sollten die Ballons transportieren? Das Einzige, was von
       dieser Inszenierung bleibt, ist Propaganda. Wer sich nicht mehr erinnern
       kann, wo er am 9. November 1989 war, der kann jetzt qua Selfie mit Ballon
       sagen: „Ich war dabei und das war gut so.“ Hat’s so was je in einem
       Russenfilm gegeben?
       
       Die Stille aber, die die Fans der Lichtgrenze so gerne beschwören, war gar
       keine Stille. Sie wurde gestört von dem Geplärre Wolf Biermanns im
       Bundestag kurz zuvor und dem Toben des Innensenators gegen die Entwendung
       der Mauer-Gedenkkreuze. Stillgeschwiegen wurden die heutigen tödlichen
       EU-Grenzsicherungen und jene, die von den DDR-Endfeierlichkeiten nicht so
       begeistert waren. Botschaften wurden nur von solchen Internationalen
       weitergegeben, die sich solidarisch „überwältigt“ zeigten.
       
       Der Berliner Schriftsteller Marko Martin, der als 19-Jähriger im Mai 1989
       als Kriegsdienstverweigerer die DDR verließ, erinnerte diese Woche bei
       einer Lesung seines Buches „Treffpunkt 89“ an Menschen, die in der
       kitschigen Jubiläumsinszenierung 2014 nicht vorkamen. Denn still war es
       tatsächlich um all jene Dissidenten, die gestorben, in den Tod getrieben
       und mit dem Ende der DDR so nicht einverstanden waren: Literaten und
       Kritiker der DDR-Repression wie Reiner Kunze oder Jürgen Fuchs, die als
       Renegaten gebrandmarkten Weltliteraten wie Manés Sperber oder Arthur
       Koestler, antitotalitäre Vordenker wie Albert Camus oder Vaclav Havel.
       
       Vielleicht hätten sich ein paar Touristen für diese Geschichten
       interessiert. Wahrscheinlich wären sie aber auch dann nach Berlin gekommen,
       hätte man an den Ständern statt Ballons Säcke aufgehängt, in die man hätte
       schlüpfen und in denen man einmal kostenlos um die Mauer hätte hüpfen
       können.
       
       16 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Doris Akrap
       
       ## TAGS
       
 (DIR) taz.gazete
 (DIR) Berlin
 (DIR) Mauerfall
 (DIR) Ballons
 (DIR) taz.gazete
 (DIR) taz.gazete
 (DIR) Touristen
 (DIR) taz.gazete
 (DIR) taz.gazete
 (DIR) taz.gazete
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kolumne Anderes Temperament: Es fiept, summt, wummert
       
       Die Geräusche aus meinem Inneren werden so verstärkt, als würde die
       weltbeste Musikanlage meine Klangwelt abmischen: So schön kann eine
       Mittelohrentzündung sein.
       
 (DIR) Kolumne Anderes Temperament: Kreuzberger Kakophonie
       
       Als Berliner guckt man in der Regel nicht auf Strand, sondern irgendwelchen
       Leuten direkt ins Private. Auch nicht schlecht!
       
 (DIR) Touristenhorden in Berlin: Hauptsache Saufen
       
       Bei „Pub Crawls“ machen Stadtführer Gruppen von Berlin-Besuchern möglichst
       schnell betrunken. Den Gästen macht’s Spaß, viele Anwohner sind sauer.
       
 (DIR) Kolumne Anderes Temperament: Hier zündet nichts mehr
       
       Wie lebt es sich in der raucherfreundlichsten Stadt der Republik? Für die
       Freunde des Nikotins wird es härter.
       
 (DIR) Kolumne Anderes Temperament: Große Vögel, krasse Vögel
       
       Berlin ist nicht das Rom Pasolinis. Aber die Stadt bräuchte einen wie ihn.
       Und zwar dringend.
       
 (DIR) Kolumne Anderes Temperament: Bezaubernd, hinreißend, wunderbar
       
       Trendwörter verfolgen einen unbarmherzig. Noch dazu sind einige von
       ausgesprochener Hässlichkeit. Beispiele gefällig? Lesen Sie selbst.