# taz.de -- Romane aus Österreich: Alles geht in den Abgrund
       
       > Skurrile Außenseiter, Figuren, die es sich unnötig schwer machen? Kein
       > Zweifel, der literarische Schauplatz ist Österreich.
       
 (IMG) Bild: Keine Ahnung, wer diese Menschen sind. Aber sie wollen: Österreich weiterbringen.
       
       Guten Tag und herzlich Willkommen zum zweiten Teil unserer Entscheidung zum
       inoffiziellen österreichischen Buchpreis.
       
       Etwas überraschend auf die Longlist des Deutschen Buchpreises hatte es
       Martin Lechner mit seinem Debüt „Kleine Kassa“ (Residenz) geschafft. Dass
       dieses Buch auch hier besprochen wird, liegt zum einen an dem kleinen Wort
       „Kassa“, das ohne Zweifel ein Austriazismus ist, zum anderen an seinem
       Verlag Residenz, der in St. Pölten, Salzburg und Wien residiert. Zum
       Dritten daran, dass der Autor sich persönlich für diese Besprechung
       eingesetzt hat (per Mail). Zu ihm selbst findet sich im ganzen weiten
       Internet nur das Geburtsjahr 1974 und die Angabe, dass er in der Lüneburger
       Heide groß geworden ist – und das hoffentlich nicht in der freien Natur. Ob
       er also wirklich Österreicher ist, können wir nicht sicher sagen.
       
       Aber, tja, sein Roman ist schon irgendwie ein österreichischer, und da sind
       wir fast schon bei den Problemen. Österreichisch ist er, weil er
       sprachlich, vom Tempo, von der Handlung, von den Figuren her sehr auf das
       Skurrile setzt. „Kleine Kassa“ ist ein skurriler Außenseiterroman, eine
       Geschwindigkeitsnovelle mit Mofa. Die Hauptfigur ist ein Außenseiter, ein
       junger Azubi, der einen Geldkoffer unterschlägt und sich auf den Weg in die
       Wallachei macht, aber nicht weit kommt, weil er im „Heidekreis“ gefangen
       bleibt. Ein unglaublicher Parforceritt des jungen Georg Röhrs in den
       eigenen Untergang, und natürlich reißt er allerlei Personal mit in diesen
       Abgrund.
       
       Ein Problem ist, dass man beim „Heidekreis“ und den Ortsangaben gedanklich
       stets zwischen irgendwo in Österreich und der Lüneburger Heide schwankt,
       der Ort Linderstedt existiert so natürlich überhaupt nicht. Die Landschaft
       ist eine niedersächsische, die Bevölkerung wirkt, mit Verlaub, in ihrer
       stumpfen Bäuerlichkeit und Wirtshausseligkeit eben eher – wie ein Bergvolk.
       
       ## Weiden an der Sprache
       
       Wiederum zweischneidig ist, dass man einerseits gern Figuren dabei
       zuschaut, wie sie sich so verhalten, wie sie sich andererseits in der
       Realität eben nie verhalten würden: die laszive Wirtshaustochter, die den
       Aufstand gegen das brutal-stumpfe Unterdrückungsregime ihres Vaters probt
       und dabei leider erschossen wird, die muss man mir erst einmal zeigen.
       
       Schließlich noch: An der Sprache kann man sich weiden, aber man kann das
       alles auch als überehrgeizig empfinden. „Lustlos klappte er die Küchenbank
       auf und begann sich lahm durch die Berufsschulunterlagen des letzten Jahres
       zu graben“, beginnt ein monströser Schachtelsatz, der schließlich mit
       „prall hervorquellenden, melonengroßen und wie poliert glänzenden Brüsten“
       irgendwo endet und verwirrt. Das ist nur ein Beispiel von sehr vielen.
       
       Ähnlich, aber ganz anders das Buch von Gertraud Klemm, nachweislich aus
       Baden in der Nähe von Wien. Ihr Buch „Herzmilch“ (Droschl) ist eine
       literarische Autobiografie, die explizit viel von Österreich erzählt, von
       der Landschaft und den Leuten, der Politik und der Gesellschaft, aber im
       Wesentlichen von der Autorin, nein, Entschuldigung, Anfängerfehler, von der
       Erzählerin selbst. Die wächst in der Nähe von Wien auf, interessiert sich
       früh für Kleinlebewesen, durchleidet die üblichen Schwierigkeiten der
       Pubertät, studiert dann Biologie in der großen Stadt und schafft es im
       Anschluss dank Familien-Vitamin B auch auf eine ordentliche Stelle.
       
       ## Hadern mit den Männern
       
       Was ihr bleibt, ist das Hadern mit den Männern und der patriarchalischen
       Gesellschaft. Frau, Mutter, Geliebte, Bedienerin, Assistentin, schließlich
       Angestellte: „Herzmilch“, wenden wir es positiv, ist ein feministischer
       Roman, der von Schwächen erzählt, von Versagen in persönlichen Konflikten.
       So trägt die Erzählerin hier ihr Kind aus, in einer vorweggenommenen
       negativen Prophezeihung (Vater will doch bestimmt kein Kind), die sie erst
       nach fünf (!) Jahren revidiert. Eine andere Frage ist, warum ihr
       Kinderwunsch nie reflektiert wird; wo sonst eben alles beschaut, geprüft,
       untersucht wird, in einer ambitionierten, aber keinesfalls gespreizten
       Sprache.
       
       Klemm hat in Klagenfurt den Publikumspreis gewonnen. Ihr Buch ist
       lohnenswert für Menschen egal welchen Geschlechts, die einerseits vom
       feministischen Diskurs etwas wissen, sich andererseits aber mehr von der
       gelebten Praxis versprechen als von der blanken Theorie. Noch die
       Intelligentesten verstricken sich realiter in Widersprüche und machen sich
       so unnötig das Leben schwer.
       
       So einer ist Wertheimer, Hauptfigur des Debüts von Hubert Weinheimer, eher
       nicht. Fand jedenfalls sein jüngerer Bruder, der unter Erfolg und Eitelkeit
       des übermächtig erscheinenden großen Bruders so sehr litt, dass er eine
       tödliche Wette mit ihm schloss – und am Ende natürlich den Kürzeren zog.
       Nun hockt der große Bruder, bekannter Schauspieler, nach dem vermutlichen
       Freispruch wegen Notwehr grübelnd auf einer kanarischen Insel, am
       titelgebenden Ort „Gui Gui“ (Redelsteiner Dahimène Edition).
       
       Hubert Weinheimers Buch ist sprachlich ähnlich ambitioniert wie das von
       Martin Lechner, in seiner Anlage erinnert es stark an das nicht minder
       empfehlenswerte Heft „Teneriffa“ von Jan Drees. Man könnte auch an „Die
       Möglichkeit einer Insel“ (Houellebecq) denken, allerdings verzichtet der
       1983 im Salzkammergut geborene Weinheimer, den man auch als Sänger der Band
       Das trojanische Pferd kennen könnte, auf eine weitere, in die Zukunft
       verlagerte Ebene. Es bleibt bei einem Monolog eines Aussteigers.
       
       Für den inoffiziellen österreichischen Buchpreis kommt aber nur eine Frau
       in Frage: Gertraud Klemm oder die Siegerin des Teils 1, Ann Cotten. Oder
       die außer Konkurrenz laufende Marlene Streeruwitz („Nachkommen“, siehe taz
       vom 26. 7.).
       
       19 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rene Hamann
       
       ## TAGS
       
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       haben meint.