# taz.de -- 70. Geburtstag von Botho Strauß: Der Geist ist sein tägliches Gemüse
       
       > Wie Botho Strauß zum berüchtigten Dichter wurde und sich inzwischen
       > wieder etwas lockerer macht. Ein intellektueller Außenseiter wird 70.
       
 (IMG) Bild: Da war er noch ein paar Jahre jünger: Botho Strauß (undatiertes Archivbild).
       
       Allein mit ihm. Gleich zwei Sammelbände sind in diesem Jahr erschienen, die
       in das Schreiben und Denken des Essayisten, Dramatikers, Schriftstellers
       und selbst ernannten Außenseiters Botho Strauß einführen.
       
       Interessant ist, wie unterschiedlich diese beiden Bände ausfallen – und auf
       wie verschiedene Weisen man beim Lesen dieser Bücher allein sein kann mit
       diesem Autor, der am 2. Dezember siebzig Jahre alt wird, in den Neunzigern
       „von einem Berühmten zu einem Berüchtigten“ geworden ist (eine Formulierung
       von Strauß selbst, aus „Die Fehler des Kopisten“) und nun mit „Herkunft“
       einen fingerschmalen Band geschrieben hat, den Kritikerkollegen für das
       Buch des Jahres halten.
       
       In dem Hausverlag von Botho Strauß, Hanser, hat der Publizist Sebastian
       Kleinschmidt ein „Gedankenbuch“ mit dem Titel „Allein mit allen“
       herausgebracht. Schön ordentlich in Kapiteln zusammengestellt, die mit
       Stichworten wie „Vom Geist“, „Kommunikation, Gegenkommunikation“ oder auch
       „Liebe, Sexus, Mann und Frau“ überschrieben sind, kann man hier einen
       ersten oder auch erneuten Einblick in das Werk gewinnen – und in die
       intellektuellen Pathosformeln, die Botho Strauß von seinen Fans
       entgegengebracht werden, gleich mit.
       
       Vom „geistigen Antlitz“ und der „Ars litteraria“ ist in dem Nachwort die
       Rede. Von der selbst gewählten Einsamkeit des Autors in der Uckermark kann
       man lesen und von dem Versuch, jenseits der Moden und des Vorgegebenen zu
       denken. Botho Strauß ist vielleicht der letzte Intellektuelle Deutschlands,
       der noch in so einer Form auratisch aufgeladen wird. Aus dem ganzen
       Sammelband dampft das Vorbild der berühmten „Essais“ von Michel de
       Montaigne heraus.
       
       ## Mancher Text ein Rätsel
       
       Ganz anders der zweite Sammelband. „Der zurück in sein Haus gestopfte
       Jäger“ heißt dieses unscheinbar dunkelgraue Rowohlt-Taschenbuch. Der Autor
       Heinz Strunk hat in ihm seine Lieblingsstellen aus den Büchern von Botho
       Strauß aneinandergereiht, bekennend subjektiv und ohne äußere Ordnung. Und
       er hat ein kurzes Nachwort geschrieben, in dem er ohne große Überhöhungen
       seine Faszination an Texten schildert, die ihm teilweise fremd bleiben:
       „Erwähnen möchte ich aber auch, dass mir einige Texte bis heute ein Rätsel
       geblieben sind. Auch nach wiederholten Versuchen hab ich’s nicht kapiert.“
       
       Dieser zweite Sammelband hat etwas so Verblüffendes wie Erfrischendes.
       Nicht nur, weil Heinz Strunk, der Autor des tragikomischen Bestsellerromans
       „Fleisch ist mein Gemüse“, jemand ist, dem Botho Strauß in harschem
       antiegalitären Gestus Sekundärgerede unterstellen würde. Sondern vor allem
       auch, weil dieser Band gut funktioniert. Wenn man in ihm liest, erinnert
       man sich daran, dass es einfach auch Spaß machen kann, Botho Strauß zu
       lesen.
       
       Ganz entfernt erinnert das an den Effekt, den Christo erzielte, indem er
       den Reichstag in Berlin verhüllte. Das Düsterdunkle des Gebäudes war wie
       weggezaubert, man sah auf einmal gern hin. Auch in manchen manieristischen
       Sätzen von Botho Strauß kann man bei Heinz Strunk das schnell Erhaschte
       wieder entdecken. Das heißt selbstverständlich nicht, dass man die
       fragwürdigen Seiten dieses Autors – seine Gegenwartsfeindschaft, seine
       Massenverachtung – übersehen muss. Heinz Strunk vermittelt mit diesem
       Bändchen aber die Coolness und Souveränität dessen, Botho Strauß nicht
       gänzlich mit seinen fragwürdigen Zügen identifizieren zu müssen.
       
       ## Gut, ihn tiefer zu hängen
       
       Es ist vielleicht wirklich ganz gut, Botho Strauß etwas tiefer zu hängen.
       Furchtbar beschwert war dieser Autor seine ganze bisherige Laufbahn über.
       Seit den siebziger Jahren wurde er zunächst als Kandidat einer möglichen
       Nachfolge auf der Adorno-Position gehandelt. Wie die Gründerfigur der
       Frankfurter Schule stand Botho Strauß dafür, die Gesellschaft nicht einfach
       als Chronist intellektuell zu begleiten, sondern sie zu durchdringen, auf
       den Punkt zu bringen.
       
       Womöglich war diese Auraübertragung von Anfang an ein Missverständnis, aber
       selbst wenn es das war, war es ein folgenreiches. Mit Theodor W. Adorno
       teilte Botho Strauß – und das tut er bis heute – die These von der
       Aufklärung als Massenbetrug. In den Kommunikationsformen der modernen
       Gesellschaft sieht er keine Fortschritte, sondern Verfall: Zwang zur
       Angleichung, Abstumpfung von Verfeinerungen. Viele Passagen in den Büchern
       von Botho Strauß variieren nur Adornos Sentenz vom „Fun“, der ein
       „Stahlbad“ ist.
       
       Anders als Adorno hat sich Botho Strauß dann aber dahin entwickelt, an die
       Kraft außergesellschaftlicher Autoritäten zu glauben, in denen so etwas wie
       ein eigentliches, unentfremdetes Sein eingeschlossen sein soll, was das
       gelegentlich so Verbiesterte, auch bekennend Reaktionäre seiner Texte der
       neunziger Jahre ausmacht: Solche Autoritäten sind für ihn die Genies der
       Vergangenheit, das ist aber auch so etwas wie das „Heilige“, das durch
       manche der Texte geistert. Der Geist ist sein tägliches Gemüse. Unter
       Hölderlin geht da gar nichts. Als könnte man so der Daseinsform der „Paare,
       Passanten“ oder der „Bekannten Gesichter, gemischten Gefühle“ – so Strauß’
       berühmteste Titel – entkommen.
       
       ## Auf der Suche nach neuen Exilen
       
       Man kann es auch anders sagen. Den linken Entwicklungsroman, der seit 1968
       so bedeutsam für die Fundamentalliberalisierung der Bundesrepublik geworden
       ist, hat Botho Strauß irgendwann nicht mehr mitgemacht. „Einwandern ins
       eigene Land“, auf diese Formel gebracht hat die Grünen-Politikerin Antje
       Vollmer einst diese intellektuelle Bewegung aus Anerkennung der
       Westbindung, Abkehr von Revolutionshoffnungen und einer Abwendung von den
       großen Erzählungen hin zu einem Pragmatismus des alltäglichen
       Muddling-through durch die anstehenden Problemlagen.
       
       Botho Strauß aber suchte sich lieber neue Exile. Er fand sie in der
       Menschenleere der Uckermark, in der stolzen Figur des unzeitgemäßen Lesers
       in den hinteren Ecken der Bibliotheken und in einer elitären Verachtung des
       aufgeklärten, an die Gegenwart angeschlossenen Massenmenschen, dem er
       individuelle Züge oft einfach abspricht.
       
       So war zumindest der Stand bis vor etwa zehn Jahren. Spätestens seit dem
       Band „Mikado“ aus dem Jahr 2006 kann man aber auch wieder Lockerungsübungen
       bei ihm ausmachen. Die manchmal so musterschülerhaft klingenden
       kulturkritischen Sentenzen („Unserer Lossagung vom Übel folgte ein übles
       Lossein“, aus dem Roman „Der junge Mann“) treten wieder zurück, das
       Spielerische seines Schreibens wird wieder bestimmender.
       
       Genau in diese Bewegung lässt sich nun der Band „Herkunft“ einordnen. Botho
       Strauß beschreibt darin sein Elternhaus in Bad Ems und vor allem seinen
       Vater. Kriegsverwundeter im Ersten Weltkrieg, „deutschnational auf seine
       Weise“ in der Nazizeit, Flüchtling aus der frühen DDR,
       Thomas-Mann-Verehrer. Jemand, der stets in Anzug und Krawatte mit
       Krawattennadel am Schreibtisch saß. „Unzeitgemäß war er und war es mit
       Kraft und Grimm. Er ähnelte in manchem wohl dem, was Kierkegaard von seinem
       Vater berichtet: schwermütig und herrisch; das Kind in Liebe würgend.“
       
       ## Die Gegenwart bereichern
       
       Was einen an diesem Buch berühren kann, ist die Ernsthaftigkeit des
       Versuchs, eine Sprache der Liebe zu finden für Menschen, die aus ganz
       anderen Zeiten und Umständen stammen. Was darüber hinaus von Botho Strauß
       als Lob des Herkommens stellenweise geradezu besungen wird, muss man selbst
       nicht teilen. Man kann darauf bestehen, dass eine große Errungenschaft
       unserer Zeit gerade darin besteht, seine Herkunft hinter sich lassen und
       einen anderen Platz einnehmen zu können als den, der für einen vorgesehen
       war. Aber das eigene Leben kann einem breiter und verständlicher werden,
       wenn man es an den Lebensbögen der Eltern so spiegelt, wie Botho Strauß es
       hier tut.
       
       Man muss als links-alternativer Mensch vielleicht etwas die Augen
       zusammenkneifen, aber dann kann man vielleicht sogar so etwas wie einen
       konservativen Entwicklungsroman wahrnehmen: vom Exil der brüsken
       Gegenwartsfeindschaft hin zu einem aufgeklärten, liberalen Konservatismus,
       der Traditionen beschreibt und sich um Herkünfte bekümmert. Die
       entscheidende Wende liegt darin, dass das Gewesene und Vorangegangene in
       diesem Band nicht mehr als etwas der Gegenwart positiv Entgegenstehendes
       begriffen wird, sondern als etwas, was die Gegenwart bereichern kann.
       
       2 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dirk Knipphals
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Theodor W. Adorno
 (DIR) Kulturkritik
       
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 (DIR) Botho Strauß' „Lichter des Toren“: Im Wunderland
       
       Zunächst hatte unser Autor vor, sich über das neue Buch von Botho Strauß zu
       ärgern, so, wie schon mancher Kritiker zuvor. Allein – es kam dann anders.
       
 (DIR) Kulturkritik: Kuscheltiere im Stahlbad
       
       Die Kritik an der Kultur setzt sich zu unkritisch mit dem Kulturerbe der
       Nazizeit auseinander. Vor lauter Lieber zur Ironie übersieht sie ihr wahres
       plump–reaktionäres Gesicht.