# taz.de -- Debatte Social Freezing: Selbstbestimmung im Gefrierschrank
       
       > Für Befürworter ist das Einfrieren von Eizellen ähnlich emanzipatorisch
       > wie damals die Pille. Doch Selbstbestimmung hat zwei Seiten.
       
 (IMG) Bild: Aus der Tiefkühltruhe: Pizza, Gemüse und bald auch Geschwister?
       
       Sein Geld auf die Bank zu tragen, ist heutzutage nicht mehr opportun, die
       Zinsen gehen bekanntlich gegen null. Von größerem Nutzen scheint es zu
       sein, Teile seines Körpers auf einer ganz besonderen Bank zu deponieren,
       einer Gewebebank. Nabelschnurblut etwa, um daraus im Bedarfsfall
       Stammzellen zu züchten oder Eizellen, um im gebärfähigen Alter möglichst
       viel Rendite für die teure Ausbildung abzuschöpfen.
       
       Wenn frau in der Hightechwelt dann zum Ausschuss gehört, so ab 35, könnte
       sie damit noch schnell ihren reproduktiven Tribut an die Gesellschaft
       leisten. Eltern, die für ihre Töchter früher eine Aussteuer zusammengespart
       oder, als dies nicht mehr modern war, eine Ausbildungsversicherung
       abgeschlossen haben, könnten nun auf den Gedanken verfallen, ihren Töchtern
       zur Volljährigkeit ein sogenanntes Egg-Freezing zu schenken, und annehmen,
       dass sich das irgendwann einmal auszahlen wird, etwa in Form von Enkeln.
       
       Der bizarr anmutende Vorstoß der beiden IT-Unternehmen Apple und Facebook,
       die ihren Mitarbeiterinnen anbieten, die Kosten für die Entnahme und
       Lagerung von Eizellen zu übernehmen, wenn sie ihren Kinderwunsch zeitlich
       aufschieben wollen, hat hierzulande eine heftige Diskussion ausgelöst.
       
       Was in den USA als nicht weiter zu skandalisierender Teil eines
       familienpolitischen Gesamtpakets für besonders privilegierte Angestellte
       betrachtet wird, zu dem die Babyprämie von 4.000 Euro ebenso gehört wie der
       Zuschuss zu einer Geschlechtsumwandlung, sorgt hier für Irritation und
       Streit.
       
       ## 63 Prozent der Bevölkerung dagegen
       
       Ist es wünschenswert, dass in der Arbeitswelt ohnehin benachteiligte Frauen
       diese technische Möglichkeit nutzen, um ihre Karriere unbehindert von
       Nachwuchs voranzutreiben, oder birgt diese reproduktive
       „Versicherungspolice“ für die Zukunft nicht die Gefahr, sich dem
       Machbarkeitswahn auszuliefern, ganz abgesehen von den Risiken, die diese
       Technologie für Frauen und Kinder birgt?
       
       Stimmungsmäßig sind 63 Prozent der Bevölkerung derzeit noch gegen das
       Einfrieren von Eizellen, insbesondere junge Männer können sich allerdings
       durchaus vorstellen, ihre Partnerinnen auf diese Weise zum Aufschub der
       Familiengründung zu animieren.
       
       Da das Einfrieren und die Lagerung von Eizellen in Deutschland mit 2.000
       bis 3.000 Euro deutlich günstiger ist als in den USA, wo dafür umgerechnet
       rund 8.000 Euro hingelegt werden müssen, ist die finanzielle Hemmschwelle
       niedriger.
       
       ## Die Nachfrage wächst
       
       Allerdings werden sich aus diesem Grund Unternehmen auch kaum zu dieser Art
       bevölkerungspolitischer Intervention herausgefordert sehen: „Die deutschen
       Arbeitgeber mischen sich nicht in die Familienplanung von Arbeitnehmern
       ein“, lässt etwa die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände wissen.
       
       Die Nachfrage nach Social Freezing, ein etwas missverständlicher, auf die
       sozialen Beweggründe der Frauen verweisender Begriff für das Einfrieren von
       Eizellen, jedenfalls wächst kontinuierlich.
       
       Offenbar birgt es ein Freiheitsversprechen, das besonders für gut
       ausgebildete, ökonomisch selbstständige Frauen attraktiv ist. Und wieder
       einmal finden wir uns auf biopolitischem Feld, das sich zwischen
       Egg-Freezing, vorgeburtlichen Genchecks und Sterbehilfe ausbreitet, in
       einen Streit über Selbstbestimmung verwickelt: Es gehe, [1][schreibt Hannah
       Wilhelm stellvertretend] für viele andere in der Süddeutschen Zeitung
       lapidar, „um das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung“. Wer möchte sich,
       zumal als Feministin, dem entgegenstemmen?
       
       ## Nebenwirkungen der Selbstbestimmung
       
       Viele der Debattenteilnehmerinnen vergleichen das vorsorgliche Einfrieren
       von Eizellen mit der Antibabypille, deren Erfindung den Frauen ungeahnte
       Freiheit ermöglicht habe. Die Pille habe den Kinderwunsch erstmals zu einer
       plan- und aushandelbaren Angelegenheit gemacht, Frauen ihrem „biologischen
       Schicksal“ entrissen.
       
       Abgesehen davon, dass die Antibabypille enorme medizinische Probleme mit
       sich brachte und auch dazu führte, dass Frauen für Männer verfügbarer
       wurden, ist das Schlucken eines Kontrazeptivums in nichts vergleichbar mit
       dem Prozedere, das notwendig ist, um Eizellen einzufrieren: wiederholte
       Hormonstimulation, eine unter Umständen mehrmalige, unter Narkose
       stattfindende Eientnahme – und, das ist der entscheidende Unterschied, eine
       durch künstliche Befruchtung – möglicherweise! – zu realisierende
       Schwangerschaft und Geburt.
       
       Der Eingriff in den Körper ist ungleich rabiater, und vor allem setzt er
       Dritte voraus, die diesen Prozess steuern und begleiten. Es sind auch
       planerische Maßnahmen erforderlich, die nicht vergleichbar sind mit dem
       Entschluss einer Frau oder eines Paares, nun die Pille abzusetzen. Das
       Einfrieren von Eizellen beschleunigt also in unabsehbarer Weise die
       Technisierung von Schwangerschaft, die Hervorbringung „anderer Umstände“,
       die bis vor Kurzem in den intimen Entscheidungsraum von Individuen gehörte.
       
       Die Expertise darüber, wann wofür der richtige Zeitpunkt ist, welche
       medizinischen Vorkehrungen getroffen werden müssen, ob das „Material“
       erfolgversprechend ist und was sich im Reagenzglas ausbildet, liegt
       außerhalb des verfügbaren Wissens der unmittelbar Betroffenen. Sie sind auf
       das Urteil von Spezialisten angewiesen. Selbstbestimmung? Eine Chimäre.
       
       ## Angst vor weiblicher Unabhängigkeit
       
       Die technologische Kanalisierung der Schwangerschaft rückt indessen wieder
       einmal auch das Nature-Nurture-Verhältnis in den Mittelpunkt der
       Auseinandersetzung. Wie „natürlich“ ist die menschliche Reproduktion
       heutzutage überhaupt noch, und wie viel technischen Eingriff verträgt sie?
       
       Ist Social Freezing, wie etwa [2][die Berliner Autorin Sarah Diehl meint],
       nicht einfach eine von vielen „Vereinbarkeitsmaßnahmen“, die ohnehin alle
       der „Logik der kapitalistischen Verwertung“ folgen, und ist die Kritik
       daran nicht eher der Angst vor zu viel weiblicher Unabhängigkeit geschuldet
       als dem Bedürfnis, Frauen zu schützen?
       
       In der Tat muten manche Argumente, die gegen das Social Freezing
       vorgebracht werden, biologistisch an. Sei es, wenn auf der einen Seite die
       „Natürlichkeit“ des Vorgangs der Verschmelzung gefeiert wird oder auf der
       anderen szientistisch über den „menschlich-evolutionären Vorteil“ von
       Großeltern schwadroniert wird oder Ausflüge ins Tierreich unternommen
       werden, um zu beweisen, dass es sich beim Social Freezing um eine „groß
       angelegte Verschwendung neurobiologischer Ressourcen“ handele, die dazu
       beitrage, „Müttern den vollen Nutzen der Elternschaft“ vorzuenthalten, wie
       in der Berliner Zeitung zu lesen war.
       
       ## Interesse der Unternehmen
       
       Es ist, als würden die alten Fraktionen der Neuen Frauenbewegung
       wiederauferstehen: hier die möglichst (gebärmutter)freie und autonome Frau
       à la Shulamith Firestone, dort das grüne Müttermanifest, oder, um noch
       einmal Sarah Diehl aufzurufen, „die Gebärfähigkeit der Frau als Refugium
       der Freiheit gegenüber der ,Kultur‘ der kapitalistischen
       Leistungsgesellschaft“. Mädels, das hatten wir alles schon mal!
       
       Aber wird die durch Social Freezing angeblich „wachsende Autonomie“ von
       Frauen „abgewertet“, wenn man darauf hinweist, dass das Projekt nicht nur
       ganz gut in die Selbstoptimierergesellschaft passt, sondern auch den
       Geschäftemachern im florierenden Reproduktionsgewerbe zupasskommt? Viel
       wird darüber gesprochen, was die Prozedur kostet, aber wenig darüber, wer
       davon profitiert.
       
       Eine der wenigen, die das Geschäft mit den Eizellen problematisieren und
       auf ein völlig unterbelichtetes Thema hinweisen, ist die
       Politikwissenschaftlerin Kathrin Braun: Was eigentlich passiert mit den
       übrig gebliebenen Eizellen? Werden sie dann meistbietend auf dem Repromarkt
       verhökert?
       
       ## Zeit für die Karriere
       
       Und, ganz nebenbei: Was geschieht, wenn sich herausstellt, dass zwar die
       Eizellen frisch, die mütterliche Umgebung aber schon etwas strapaziert ist,
       sodass sie sich nicht einnisten? Brauchen wir dann nicht doch Leihmütter,
       die die teuer konservierten Eizellen für die Karrierefrauen austragen?
       
       Frauen zwischen 30 und 40 sollen ihre Lebenszeit für ihre Karriere
       einsetzen, heißt es, oder diese zehn Jahre einfach genießen, ohne
       Vereinbarkeitsproblem oder Suche nach dem wie auch immer richtigen Partner.
       
       Ich bin eine Frau zwischen 50 und 60, und ich erinnere mich – trotz
       Pillenzeitalter – nur zu gut an die mich jeden Monat überfallenden Ängste.
       In meiner Generation gab es nicht diese wie irre umgetriebenen Frauen, die
       Ausschau hielten nach einem verantwortungsbereiten „Befruchter“, denn am
       politischen Firmament standen andere Aufgaben als der „Kinderwunsch“.
       
       Wir hatten das Glück, in eine Zeit hineingeboren gewesen zu sein, die uns
       ein bisschen Zeit ließ für politische Irrungen und Wirrungen, für
       berufliche und private Umwege. Und ich habe nicht den Eindruck, dass die
       heute kinderlosen Frauen allesamt todunglücklich sind, wie uns eine
       wunschkindsüchtige und gleichzeitig kinderfeindliche Gesellschaft
       suggeriert.
       
       21 Dec 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.sueddeutsche.de/karriere/arbeit-und-familie-eizellen-einfrieren-warum-nicht-1.2174537
 (DIR) [2] http://jungle-world.com/artikel/2014/45/50867.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Baureithel
       
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