# taz.de -- Wählerstimmen in Tunis: Es waren die Frauen
       
       > Aus Furcht vor den Islamisten, trotz großer Vorbehalte, wählten viele den
       > 88-jährigen Essebsi zum neuen Präsident Tunesiens – als „kleineres Übel“.
       
 (IMG) Bild: Ein jubelnde Anhängerin des neuen Präsidenten in Sousse, der drittgrößten Stadt Tunesiens.
       
       TUNIS taz | „Die Frauen haben uns vor den Islamisten gerettet!“ Jamil
       arbeitet seit Jahren in der Buchhandlung Al Kitab (Das Buch) auf dem
       zentralen Boulevard in der Hauptstadt. Natürlich hat er gewählt, stolz hält
       der etwa Vierzigjährige seinen Zeigefinger in die Luft. Der ist noch lila
       eingefärbt.
       
       Am 30. August 2012, sagt er, seien in Tunis „Hunderttausende Frauen“ gegen
       das Vorhaben der Islamisten auf die Straße gegangen, die „Complémentarité“
       von Männern und Frauen durchzusetzen – was soviel wie die Festschreibung
       grundlegend unterschiedlicher Rollen und Rechte beider Geschlechter
       bedeutet.
       
       „Hunderttausend Frauen!“, wiederholt Jamil. Und jetzt haben die Frauen
       verhindert, dass Moncef Marzouki an der Macht bleibt. Dass neue Präsident
       Béji Caid Essebsi 88 Jahre ist und zum alten Establishment gehört, ist für
       ihn das kleinere Übel. „Ich bin Kommunist und Mitglied der ’Front
       Populaire‘, natürlich überzeugt mich Béji nicht“. Aber: „nach drei Jahren
       Marzouki wissen wir, dass er kein Programm hat, sondern nur große Reden
       schwingt.“ Haben auch die religiösen Tunesierinnen für Essebsi gestimmt?
       “Frauen mit Kopftuch? Natürlich, das ist normal, das ist unsere Tradition.“
       – “Nein, die, die Scharia einführen wollen“, setze ich nach. „Die kenne ich
       nicht“, antwortet er einsilbig.
       
       Ein weiterer Angestellter, Tamil, gesellt sich dazu, in der proppenvollen
       Buchhandlung liegen Publikationen über die Revolution prominent präsentiert
       gleich am Eingang. Die meisten Werke hier sind auf französisch, arabische
       finden sich kaum. Tamil hört den Ausführungen seines Vorgesetzten zu,
       möchte aber nichts zu den Wahlen sagen.
       
       Mohammad, der Kellner aus dem ums Eck gelegenen Restaurant „L‘Orient“, ist
       stolz, dass die Wahlen erfolgreich verliefen, aber skeptisch, was die
       Frauenfrage angeht: “Tunesische Frauen sind bereits bereits stark, stärker
       als wir“, grummelt er. Seine ganze Familie hat Marzouki gewählt. In seinem
       Restaurant wird Alkohol serviert – für ihn ist das kein Problem.
       
       ## Angst vor der Entourage
       
       In der Zeitung Hebdo-Tunis vom Montag macht der prominente Historiker
       Abdejlil Temimi klar, dass Beji auch für ihn das kleinere Übel sei. Seine
       Angst gilt jedoch dessen Entourage. Er bezweifelt, dass die neuen
       Machthaber auch die armen Tunesier vertreten wollen.
       
       Ein Stück weiter im “Grand Café de Theatre“ sagt eine knapp dreißigjährige
       Frau mit ausladender Sonnenbrille: “Wir sind einen Schritt weiter, aber nur
       einen.“ Bejis Gerede von den Tunesiern als “Kindern des Staates“ mag sie
       nicht. “Ich bin Mutter, kein Kind“, sagt sie. Dass alles friedlich zuging,
       und vor allem “gemäß internationaler Standards“, ist ihr wichtig. Ihr
       Begleiter fügt hinzu: “Wir haben der arabischen Welt ein gutes Beispiel
       gegeben“. Die Frau strahlt.
       
       22 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ines Kappert
       
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