# taz.de -- Porträt Alexis Tsipras: Der Aufstieg eines Schulschwänzers
       
       > Der charismatische Chef der Syriza-Partei könnte Ministerpräsident von
       > Griechenland werden. Doch Alexis Tsipras ist nicht unumstritten.
       
 (IMG) Bild: Wird von seinen politischen Gegnern immer noch als Bürgerschreck und Störenfried karikiert: Alexis Tsipras.
       
       ATHEN taz | Mit gerade mal 16 Jahren beginnt Alexis Tsipras’ Karriere als
       Protestheld: Anfang 1990 führt der Jungkommunist einen Schüleraufstand
       gegen die konservative Regierung von Konstantinos Mitsotakis an. Wochenlang
       fällt der Unterricht an öffentlichen Schulen aus. Die protestierenden
       Schüler verlangen mehr Geld für Bildung und mehr Freiräume. Mit
       entwaffnender Eloquenz verteidigt Tsipras das „Recht auf Schuleschwänzen“.
       
       Im Interview mit der gestandenen Fernsehjournalistin Anna Panagiotarea
       macht der angehende Politstar – roter Pullover, Haare nach oben gegelt –
       einen routinierten Eindruck. Panagiotarea ist bekannt dafür, ihre
       Interviewgäste hart anzugehen. Von Tsipras jedoch lässt sie sich
       beeindrucken. Schon damals wird klar: Dieser Mann kann überzeugen.
       
       Aber der Schülersprecher wird von den politischen Kommentatoren auch hart
       angegriffen. Dafür beispielsweise, dass er ausgerechnet 1989 in die
       mächtige Jugendorganisation der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE)
       eintrat, eine der letzten Bastionen orthodoxer Kommunisten in Europa, die
       heute noch Hammer und Sichel im Logo trägt.
       
       Bei den moskautreuen Genossen hält sich Tsipras jedoch nicht lange auf.
       Wenige Monate später wird er Mitglied der reformkommunistischen Koalition
       der Linken und des Fortschritts, eines Vorgängers der heutigen
       Syriza-Partei.
       
       2006 hat der dann 32-Jährige seinen großen Moment. Vor den griechischen
       Kommunalwahlen sucht Parteichef Alekos Alavanos verzweifelt nach einem
       geeigneten Bürgermeisterkandidaten für die Stadt Athen. Er findet Alexis
       Tsipras, den er gegen großen innerparteilichen Widerstand durchsetzt. „Wir
       wollen unsere Partei für die Jugend öffnen. Alexis ist ein sensibler Mensch
       und verkörpert die junge Generation wie sonst niemand“, wirbt Alavanos.
       
       ## Historischer Wahlkampf in roten Stiefeletten
       
       Tsipras schockiert die etablierten Parteien mit seinem Antikonformismus. In
       roten Stiefeletten zieht er durch den muffigen Wahlkampf und erreicht
       Historisches. Bei der vermeintlich aussichtslosen Wahl wird die Linkspartei
       in der griechischen Hauptstadt erstmals drittstärkste Kraft mit 10,5
       Prozent der Stimmen. Damit hat sie ihr Wahlergebnis im Vergleich zur
       vorangegangenen Parlamentswahl 2004 verdreifacht.
       
       2008 tritt Alavanos als Parteivorsitzender zurück, und Tsipras nimmt seinen
       Posten ein. Wieder gibt es heftigen Protest seitens der alten
       Parteischwergewichte. Exjustizminister Kouvelis verlässt das Linksbündnis
       und gründet seine eigene Gruppe. Alavanos aber lässt sich nicht beirren und
       unterstützt Tsipras. Der jedoch begeht einige Jahre später politischen
       Vatermord.
       
       Immer deutlicher nimmt Tsipras Abstand von den politischen Positionen
       seines Ziehvaters vor allem in der Frage der Euromitgliedschaft
       Griechenlands. Während Tsipras, bei aller Kritik an der rigiden
       Sparpolitik, weiterhin für den Euro plädiert, liebäugelt sein Mentor immer
       deutlicher mit einer Rückkehr zur Drachme. 2013 gründet Alavanos sogar eine
       neue Partei mit dem bezeichnenden Namen Plan B, die für den Euroaustritt
       steht. Und versinkt daraufhin in die Bedeutungslosigkeit.
       
       Bei Alexis Tsipras geht es unterdessen weiter aufwärts. Angefeuert durch
       die Krisenstimmung, wird sein Bündnis Syriza zweitstärkste Partei bei den
       Parlamentswahlen 2012 und sogar stärkste Kraft bei der Europawahl 2014.
       Dabei wird Tsipras zum Spitzenkandidaten der Europäischen Linken für die
       Europawahl ernannt und verhilft neuen Linksparteien in Italien und Spanien
       zum Erfolg.
       
       ## Schlagabtausch in Muttersprache
       
       Beim Schlagabtausch aller Spitzenkandidaten in Brüssel spricht er anders
       als die deutschen Kandidaten, der Sozialdemokrat Martin Schulz und die
       grüne Ska Keller, in seiner Muttersprache. Konservative Kommentatoren in
       Griechenland spotten: „Ist doch klar, dass der junge Tsipras keine Zeit für
       Englischunterricht hatte, der hat ja immer geschwänzt“, heißt es.
       
       Erfolg hat Tspiras trotzdem. Seit der Europawahl liegt Syriza unangefochten
       vorn in der Wählergunst und hat in Umfragen mindestens drei Punkte
       Vorsprung vor der konservativen Nea Dimokratia des amtierenden
       Regierungschefs Antonis Samaras. Die einstigen Volksparteien – die Nea
       Dimokratia und die sozialdemokratische Pasok – bleiben zusammen unter 35
       Prozent.
       
       Obwohl ihn seine politischen Gegner immer noch als Bürgerschreck und
       Störenfried karikieren, kommen immer mehr Stimmen für Syriza auch aus dem
       bürgerlichen Milieu.
       
       „Dieses Vorurteil ist doch längst überholt“, sagt der
       Syriza-Europaabgeordnete und Vizepräsident des EU-Parlaments Dimitrios
       Papadimoulis der taz. Und fügt hinzu: „Alexis Tsipras ist ein
       Reformpolitiker. Er wird die aussichtslose Austeritätspolitik in
       Griechenland beenden und mutige Reformen angehen.“
       
       ## Krawattengegner und Strandurlauber
       
       Tsipras’ Lebensführung macht ihn im bürgerlichen Lager beliebt. Anders als
       so mancher griechische Politiker gilt der Syriza-Chef weder als Frauenheld
       noch als einsamer Wolf, sondern eher als netter Nachbar: Er lebt mit seiner
       Jugendliebe und seinen zwei Söhnen in Athen, fährt gerne Mofa, verbringt
       seinen Urlaub am liebsten an öffentlichen Stränden auf Kreta und trägt
       keine Krawatten. Als Tsipras im Mai 2012 zu Beratungen in den
       Präsidentenpalast eingeladen wird und dort in weißem Hemd und Anzug
       erscheint, antwortet Tsipras auf die Frage eines edel gekleideten
       Politjournalisten nach der fehlenden Krawatte: „Vielleicht leihe ich mir
       mal eine Krawatte bei Ihnen.“
       
       Auch in der eigenen Partei gibt es nach wie vor Zoff um Tsipras. Vor allem
       im linken Flügel ist die Kritik besonders laut. Als prominentester
       Widersacher von Tsipras gilt derzeit Panagiotis Lafazanis. Er ist Erbe des
       legendären Kommunistenführers und Partisanenkämpfers Charilaos Florakis,
       der die KP 1974 nach dem Fall der Athener Obristenjunta wieder in die
       Legalität führte. Lafazanis verlangt die Nationalisierung aller Banken und
       einen Mindestlohn von 750 Euro im Monat. Eine Tolerierung der
       Syriza-Regierung durch die Kommunisten kann er sich genauso gut vorstellen
       wie die Rückkehr zur Drachme.
       
       Tsipras lässt ihn gewähren. Nur über eine Beendigung der Euromitgliedschaft
       will der Syriza-Chef nicht verhandeln. Auf einer Parteitagung im April kam
       es laut Medienberichten zu einer offenen Auseinandersetzung mit Lafazanis.
       Als dieser wieder einmal über einen Euroaustritt Griechenlands beraten
       wollte, soll Tsipras ihn gefragt haben: „Den Antrag hast du siebenmal
       innerhalb eines Jahres gestellt, und jedes Mal wird er abgelehnt. Was
       willst du eigentlich?“ Lafazanis bestreitet den Vorfall, Tsipras äußert
       sich nicht. Die parteiinternen Konflikte, so scheint es, sind das Einzige,
       was Tsipras’ Erfolg derzeit ein wenig trübt.
       
       29 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jannis Papadimitriou
       
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