# taz.de -- Geschichtsdarstellung von oben: Schmutz unter dem Teppich
       
       > Bei aller Opulenz: Der Band "Hamburg aus der Luft 1954-1969" vermittelt
       > eine allzu freundliche Historie.
       
 (IMG) Bild: Beton macht's möglich: Die Hamburger Grindelhochhäuser, 1959
       
       Das Wort „Nachkriegszeit“ für die Zeit nach dem 8. Mai 1945 ist ein fraglos
       gebräuchliches; auf gewisse Weise falsch ist es dennoch. Der Bildband
       „Hamburg aus der Luft“ bringt dieses sprachliche Manko zum Sprechen: Das
       Buch vereinigt eine – zunächst verschollen geglaubte – Auswahl von
       Fotografien, die der einst für das Hamburger Abendblatt arbeitende Günther
       Krüger in den Jahren bis 1969 für ebenjene Zeitung aufgenommen hat. Müsste
       es nicht aber „nachnationalsozialistische Zeit“ heißen? Wäre es nicht
       historisch korrekt, die Umstände zu benennen, die diese Fotografien zu auch
       melancholisch stimmenden Dokumenten machen?
       
       Es ist ein prachtvoller Bildband, das ist natürlich auch wahr. Mit der
       Cessna flog Günther Krüger über die Stadt – und schoss Bilder, die die
       Matrix der Stadt freigeben. Straßenzüge, Häuserfronten. Manches aber bleibt
       unerwähnt in den Texten von Gert Kähler, etwa bei dem Foto, das die
       Stadtlandschaft zwischen den Landungsbrücken und dem Fischmarkt zeigt: Sehr
       gut sichtbar sind dort jene Gründerzeithäuser, die später zu den inzwischen
       legendären Besetzungsobjekten an der St. Pauli-Hafenstraße wurden. Bilder
       auch sehen wir vom Hafen, vom Eimsbütteler Viertel um das Kaifu-Bad, vom
       Schienengewirr am Berliner Tor, von den Elbbrücken, vom Bau der vielleicht
       ästhetisch schönsten Gebäude im Universitätsviertel, den
       „Grindelhochhäusern“ – nach wie vor ein pures Dementi auf den Irrglauben,
       Hochhäuser seien Monumente vermassten Wohnens.
       
       Aber rechtfertigen diese Hochhäuser, einst gedacht als Quartiere für das
       Personal der britischen Besatzer, schließlich freigegeben für die modernen
       Wohnbedürfnisse von HamburgerInnen, die nicht dem bürgerlichen Kern im
       Stadtteil Rotherbaum angehören mussten, schon den Untertitel „Eine Stadt
       erfindet sich neu“? Der genaue Blick, am besten mit einer Lupe, enthüllt
       das Blinde, das dem Buch notgedrungen attestiert werden muss: In der
       Innenstadt, nicht jedoch in den wohlhabenden Vierteln, ist Hamburg eine
       zerbombte Stadt. Und diese Narben, diese Brachen sieht man nicht auf
       Anhieb. Wie in einem Wimmelbild muss das da Eingefangene mit dem heutigen
       Stadtbild abgeglichen werden. Dann sieht man etwa, dass es an der Ecke
       Hallerstraße/Rothenbaumchaussee das Stadion des HSV gab; dass Hafenflächen
       ruiniert waren; dass die Renaissance eines intakten Stadtbildes perfekt
       beginnen konnte – aber nicht voraussetzungslos: Hamburg, wenn man so will,
       war nach dem Krieg nicht planiert, nur erheblich beschädigt.
       
       Sehr eindrücklich, und das fehlt in der Skizze zur Deutung der Fotografien,
       ist das Material, das wir am Beispiel der Autoachse zwischen dem über die
       Stadt hinaus bekannten „Hamburger Michel“ und den Deichtorhallen erkennen:
       Die gefühlt zwölfspurige Verbindung, die früher nur sachlich-kalt
       „Ost-West-Straße“ hieß, verdankt sich keiner Notwendigkeit, der
       kriegsgeschädigten Stadt einen provisorischen Autoschnellweg zu bescheren.
       Nein, hinter dem städteplanerischen Akt, das Viertel unterhalb dieser Achse
       bis zu den alten Speichern vom metropolen Gewusel abzuhängen, ja, es quasi
       zu erwürgen, ist dem nicht nur deutschen, sondern europäischem Wahn
       geschuldet, es dem Autoverkehr recht zu machen. Flaneure, Gassenbummler,
       Fußgänger? Keine Größen, die in irgendeiner Kalkulation des Wiederaufbaus
       eine Rolle gespielt hätten. Dass die Hamburger Innenstadt beinah in Gänze
       von Läden und Kaufhäusern beherrscht wird, nicht von Kneipen, Cafés,
       Theatern und Kinos, ist historisch dem Nachkriegswahn zu verdanken, den
       Metropolen alles abzubürsten, was nicht dem Warenkonsum dient.
       
       Es ist ein schmuckes Buch, eines für den Coffeetable, das nur ein Fragment
       eines Gesamteindrucks zeigt. Günther Krüger flog im Kleinflugzeug auch über
       das Schanzenviertel, über St. Pauli, über die hafennahen Gebiete Altonas –
       aber zu diesen heutigen In-Vierteln fehlt es an Fotos. Sollte deren Wandel
       nicht gezeigt werden? Der des Schulterblatts etwa, einmal ein irgendwie
       selbstbewusstes Proletenquartier – und als Rote-Flora-Meile heute eine Art
       Champs-Élysées der niederen Stände? Ablesen lassen hätte sich daran auch
       die städtebauliche Dichte.
       
       Eventuell ist es zu viel verlangt von einem hübschen Bildband, den der
       Verlag nur mit immensem finanziellen Aufwand realisieren konnte, eine Art
       Schau des Ganzen zu zeigen. Doch weshalb auch ein Blick auf den
       prosperierenden Stadtteil der zwanziger Jahre schlechthin fehlt – auf
       Hamm-Süd beziehungsweise Hammerbrook – ist schwer zu verstehen: Hier wuchs
       ein Quartier heran, politisch so rot wie kein anderes in Hamburg. Der
       sogenannte „Feuersturm“, die alliierte „Operation Gomorrha“, zerstörte
       dieses Viertel vollends – so sehr, dass erst heutzutage an einen
       Wiederaufbau gedacht wird, quasi als Fortsetzung der Hafencity auf der
       anderen Seite der Bahngleise. Es ist bis heute das unaufgeräumteste Stück
       Hamburg überhaupt: Krauterwerkstätten, Puffs, ein paar Wohnbauten – diese
       Trümmerwüste zu dokumentieren, hätte den allzu freundlichen Charakter
       dieser hanseatischen Fotohistorie ein wenig ins Ernsthafte gebracht.
       
       So aber sehen wir, typisch Abendblatt-Ästhetik, viel Schönes als
       Wiedersichtbarmachung, Erstaunliches auch – doch eben nur die Schauseiten
       jenseits der zerstörerischen NS-Zeit. Der Schmutz sollte unter dem Teppich
       bleiben. Schade, dass die Herausgeber nicht mehr Mut zum – wenigstens auch
       – bösen Blick hatten.
       
       Denn weshalb findet man in dem Band Fotografien von Helgoland, warum von
       St. Peter-Ording: das ist ja denn doch nicht Hamburg, allen Butterfahrten
       oder Nordseeausflügen bei Kaffee und Torte zum Trotz. Der Nachkrieg,
       besser: Die Zeit nach dem Nationalsozialismus war immens auf Dynamik
       geschaltet, und der Bildband zeigt Facetten dieses Willens zur
       Wiedergutmachung in städtebaulicher Sache. Das Neuerfinderische des
       Beobachtungszeitraums aber verdient noch mehr Aufklärung.
       
       ## „Hamburg aus der Luft 1954–1969. Eine Stadt erfindet sich neu“.
       Fotografien von Günther Krüger, Texte von Gert Kähler, Dölling & Galitz
       Verlag, Hamburg 2014, 184 großformatige S., 49,90 Euro
       
       8 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Feddersen
       
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