# taz.de -- Vergessene NS-Opfer: Die Siedlung der „Asozialen“
       
       > In Woltmershausen errichtete der Bremer Senat 1936 die Anlage Hashude –
       > ein „Familien-KZ“ für „Asoziale“. Deren Stigmatisierung dauert bis heute
       > an.
       
 (IMG) Bild: Heute heißt die Anlage Hashude "Siedlung am Warturmer Platz".
       
       BREMEN taz | Im opulenten Programm, mit dem in Bremen derzeit rund um den
       27. Januar der Opfer des Nationalsozialismus gedacht wird, fehlt eine
       wichtige Bevölkerungsgruppe: die „Asozialen“. Dabei fiel Bremen seinerzeit
       reichsweit durch einen besonders repressiven „sozialpolitischen“ Eifer auf.
       
       Wenn etwa die Vorgabe aus dem Haus von Reinhard Heydrich, dem Chef des
       Reichssicherheitshauptamtes, lautete, pro Großstadt mindestens 200
       „Arbeitsscheue“ bei entsprechenden Razzien zu internieren, „schaffte“
       Bremen 400. Die kamen ins berüchtigte KZ „Teufelsmoor“, das reichsweit als
       richtige Adresse für besonders „harte Fälle“ galt.
       
       Auch finanzielle „Erfolge“ hatte Bremen vorzuweisen: Zwischen 1932 und 1937
       konnte die Sozialverwaltung die Summe der Fürsorgeleistungen halbieren. Die
       Zahl der zu unterstützenden Bremer Erwerbslosen wurde im selben Zeitraum
       sogar von 20.000 auf nur noch ein Prozent reduziert. Unter anderem für
       diese übrig gebliebenen 200 wurde Hashude gebaut – ein „Familien-KZ“ im
       Woltmershauser Industriegebiet, dessen Geschichte und sozialpolitische
       Hintergründe die fühere Mitarbeiterin des Sozialressorts Elke Steinhöfel
       erforscht hat.
       
       Auch hier wollte Bremen „Vorbild“ sein. Lediglich von Heidelberg ist
       bekannt, dass dort ebenfalls eine „Asozialen-Kolonie“ errichtet wurde – die
       aber nur ein Jahr Bestand hatte. Bremen investierte für den Bau von Hashude
       600.000 Reichsmark. Das war 1936, als der Vierjahresplan die Wirtschaft
       bereits in Richtung Rüstungsproduktion umpolte, eine bemerkenswerte Summe –
       die den Ehrgeiz unterstreicht, ein reichsweit zu beachtendes „Modell“ zu
       schaffen. Zum Vergleich: Der Posten im Bremer Haushalt, der im selben Jahr
       allgemein für Wohnungsbau vorgesehen war, lag bei 350.000 Mark.
       
       84 Familien, insgesamt fast 500 Menschen, wurden zwangsweise in Hashude
       untergebracht: Mietschuldner, „Arbeitsscheue“, Landstreicher, arme
       Alkoholiker, politisch Missliebige, „Meckerer“ und sonstige den Behörden
       lästige Familien. „Elemente“, wie es in einer Akte der Bremer
       Wohnungsfürsorgeanstalt heißt, „die bewußt oder unbewußt die
       Volksgemeinschaft ablehnen“. Als gesetzliche Grundlage der Einweisung wurde
       die Reichstagsbrand-Verordnung bemüht, durch die ohnehin zahlreiche
       individuelle Grundrechte außer Kraft waren.
       
       Niemand durfte die Anlage ohne Erlaubnis des Lagerleiters, der gleichzeitig
       Chef im Teufelsmoor war, verlassen oder betreten. Lediglich vom
       ursprünglichen Plan, den umgebenden Zaun elektrisch zu sichern, hatte man
       aus baupraktischen Gründen Abstand genommen.
       
       Innerhalb dieses Areals konnte niemand der Überwachung entgehen. Ein
       Kontroll-Erker ermöglichte den insgesamt bis zu 30 Lager-Mitarbeitern den
       Blick in alle Winkel der Freiflächen, hinzu kamen tägliche
       Wohnungskontrollen. Das Personal war befugt, Warnschüsse und Prügelstrafen
       einzusetzen, eine Mitarbeiterin – nach 1945 im Bremer Gesundheitsamt tätig
       – war für die „erbbiologische Beobachtung“ zuständig. Sie entschied per
       ungünstiger Sozialprognose über Zwangssterilisierungen.
       
       Es ist nicht erforscht, wie viele BremerInnen bei den Sterilisierungen ums
       Leben kamen. Reichsweit entsprach die Zahl der Sterilisierten mit 350.000
       ziemlich genau dem damaligen Bremer Einwohnerstand, 17.000 starben dabei.
       Gut möglich, dass diese Mortalitätsrate in Bremen, im heutigen Klinikum
       Mitte, noch deutlich höher war: Bekannt ist, dass der überwiegend
       operierende Oberarzt unter Sehschwäche litt.
       
       Heute wirkt die Anlage Hashude, die nun „Siedlung am Warturmer Platz“
       heißt, wie ein dörfliches Idyll. Der im Sommer Geranien-umrankte Bogen des
       früheren Torbaus markiert eine deutliche Zäsur zu den heruntergekommenen
       Wohnblocks der Umgebung: Im gewissen Sinn ist das eine Umkehrung der
       sozialen Nachbarschafts-Hierarchien. Doch dass im Keller unterhalb dieses
       Eingangsgebäudes Menschen schwer misshandelt wurden, dass hier ein Lager
       existierte, daran erinnert nichts. „Die heutigen Bewohner wollen keine
       Plakette oder dergleichen“, sagt Steinhöfel. Schließlich gehe es hier um
       eine Geschichte, mit der sich niemand identifiziert sehen wolle. Vor allem
       nicht die rund 50 Prozent der BewohnerInnen, die Kinder, Enkel und Urenkel
       der „Asozialen“ sind.
       
       Eine der ganz wenigen, die in der Zeitung – aber doch anonym – von dieser
       Geschichte sprechen wollen, ist Wilma S. Die 88-Jährige kam als Kind nach
       Hashude, zusammen mit sechs Geschwistern und ihren Eltern, der Vater war
       als Kommunist verschrieen. „Das war eine ganz ganz schwere Zeit“, sagt die
       alte Frau, und es falle ihr auch heute noch schwer, davon zu berichten. Der
       Vater habe als renitent gegolten: Er verweigerte immer wieder den
       Hitlergruß, den man beim Passieren des Lagertores automatisch zu entrichten
       hatte.
       
       Einmal sei ihr Vater, der außerhalb arbeiten durfte, von einem Richtfest
       nach Hause gekommen, erzählt S., da war etwas getrunken worden – für die
       Torwache ein ausreichender Anlass, den Mann die Treppe zum Keller-Gewahrsam
       herunterzustoßen und weiter zu misshandeln. „Ich höre heute noch seine
       Schreie“, sagt die alte Frau. Neun Wochen habe ihr Vater anschließend im
       Krankenhaus gelegen.
       
       Die Traditionslinien der Ausgrenzung und Drangsalierung von „Asozialen“
       reichen zurück bis zur Gründung des ersten Bremer „Arbeitshauses“ im frühen
       17. Jahrhundert. Doch warum existierte die Anlage „nur“ bis 1940 als
       offizielle Anstalt? Weil sie nach Maßstäben des Reichsfinanzministeriums
       nicht effektiv genug war. „Besserungen“ der Bewohner seien nicht in
       ausreichendem Maß feststellbar, befand man in Berlin anhand der Aktenlage,
       zudem werde der Wohnraum für „verdiente Volksgenossen“ gebraucht. Von denen
       allerdings, so wurde schnell klar, wollte niemand nach Hashude. Die
       Stigmatisierung hatte insofern „zu gut“ funktioniert – was noch heute zu
       spüren ist.
       
       „Bei den Historikern und Sozialwissenschaftlern dieser Stadt“, sagt
       Steinhöfel, „stieß das Thema nie auf ein besonderes Interesse.“ Sie selbst
       kommt aus der Praxis: Steinhöfel war bis zu ihrer Verrentung
       Abteilungsleiterin im Amt für Soziale Dienste. „Jedes Mal, wenn ich am 27.
       Januar zur Gendenkveranstaltung im Rathaus war“, sagt Steinhöfel, „hat es
       mich gestört, dass bei den gewürdigten Opfergruppen die ,Asozialen‘ gefehlt
       haben.“
       
       Das freilich hat strukturelle Gründe: Die „Asozialen“ – im KZ mit einem
       schwarzen Winkel an der Kleidung gekennzeichnet – sind die einzige
       Opfergruppe, die keinen Verfolgten-Verband gegründet haben. Was wiederum
       darauf verweist, dass die Stigmatisierung als „asozial“ diejenige ist, die
       über das NS-Regime hinaus den dauerhaftesten Bestand hat. „Ich hoffe“, sagt
       Steinhöfel, „dass meine Arbeit dieser Gruppe wenigstens einen Türspalt in
       der Gedenkkultur Bremens öffnet.“
       
       Entschädigt wurden die Hashuder in Gegensatz zu anderen NS-Opfern erst 1988
       – mit maximal 5.000 Mark pro Person.
       
       Konrad Elmshäuser, dessen Staatsarchiv Steinhöfels Arbeit veröffentlicht,
       will sich nun für einen „Ensembleschutz“ der Siedlung einsetzen. Das ist
       die unterste Stufe von Denkmalschutz. Sie verhindert keine Umbauten im
       Inneren der Häuser, die oft ohnehin schon vorgenommen sind, aber
       Veränderungen des äußeren Gesamtbildes. Etwa Hausaufstockungen, die
       angesichts von 54 Quadratmetern Wohnfläche pro Einheit durchaus nahe
       liegen. Immerhin handele es sich, sagt Elmshäuser, um „das größte
       zusammenhängende Stück NS-Architektur in Bremen“.
       
       25 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Henning Bleyl
       
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