# taz.de -- Die Wahrheit: Gutes Kraut, böses Blut
       
       > Drängende Ernährungsfragen mit ethischem Gehalt: Welche Pflanzen darf ein
       > Vegetarier eigentlich essen? Und welche nicht?
       
       „Darf ein Vegetarier eigentlich jede Pflanze essen?“, werde ich als
       studierter Botaniker oft gefragt. „Nein, natürlich nicht“, ist dann meine
       Antwort. Zunächst einmal sollte ein Vegetarier keine behinderten Pflanzen
       essen, das versteht sich wohl von selbst. Also keine Taubnessel, keinen
       Kriechenden Günsel und kein Schiefblatt bitte! Auch Taube Trespe und
       Kriechende Hauhechel lassen wir am Wegesrand weiterkriechen.
       
       Als zweites Gebot gilt es, Pflanzen zu meiden, an denen Blut klebt:
       Blutströpfchen, Blutweiderich und Blutbuche. Auch die geliebte Blutwurz,
       die so gut mit Senf schmeckt, sollte tabu sein! Ebenso alle Pflanzen, die
       uns mit tierischen Namen verführen wollen, denn so verzehrst du Bruder Tier
       im Geiste mit. Lass ab von Entenfuß und Gänsefingerkraut, von der
       Hundskamille und vom Hasenschwanzgras. Ochsenauge, Löwenmaul sind
       Vegetariern ein Gräuel.
       
       Kannibalistische Kräuter meiden wir erst recht, Finger weg von der
       Schwarzäugigen Susanne und dem Fleißigen Lieschen. Wovor jedem Vegetarier
       graut? Lunge-, Leber-, Fingerkraut!
       
       Schwierig wird es mit unmoralischem Pflanzengezücht: Sollte man die
       Wucherblume, Teufelskralle, Prunkbohne vernichten durch Verzehren oder
       durch Nichtbeachtung strafen? Diese Frage soll schon Hildegard von Bingen
       umgetrieben haben.
       
       ## Nieswurz? Leimkraut?
       
       Mutterkraut und Stiefmütterchen genießen selbstverständlich Mutterschutz
       und dürfen erst nach der Stillzeit geerntet werden. Auch Wolfsmilch wird
       kein aufrechter Vegetarier und erst recht kein Veganer anrühren, eher wird
       er verdursten. Blut ist im Frauenschuh, und Gliedkraut und Mannstreu
       sollten je nach sexueller Orientierung gemieden oder verzehrt werden. Und
       wie sieht es mit den Scherzbolden im Pflanzenreich aus, mit Nieswurz und
       Leimkraut? Die sind gut geeignet als Salat in der heiteren Karnevalszeit.
       
       Zum Schluss noch die Frage: Welche Pflanzen bringe ich einem Vegetarier bei
       einem Besuch mit? Vielleicht Mädesüß oder Geröllklee? Letzteres könnte zu
       Verstimmungen führen. Anstelle von Natternkopf und Knöterich besser
       Brennende Liebe oder die kumpelhafte Bärwurz. Sollte man Schnitt- oder
       Topfpflanzen mitbringen? Das ist natürlich eine Frage des Taktes, denn
       viele Pflanzenliebhaber können keine Pflanzen mehr essen, die sie selbst
       großgezogen haben und denen sie ins ängstliche Ochsenauge geblickt haben.
       
       Was schlägt der Ratgeber „Takt und gutes Benehmen“ vor? Studenten sollten
       selbstverständlich die Studentenblumen mitbringen, auf alle Fälle genügt
       eine kleine Aufmerksamkeit, wie ein Veilchensträußchen oder „zu gegebener
       Jahreszeit ein Strauß selbst gepflückter Feldblumen“.
       
       Und natürlich nehmen wir unbedingt die Pflanze vorher aus dem Papier, und
       wir verlieren beim Überreichen nicht viele Worte. Da sollten wir ganz
       Pflanze sein!
       
       30 Jan 2015
       
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