# taz.de -- Dokumentartheater zur NS-Geschichte: Zur Endlösung der Täterfrage
       
       > Historiker und Jugendliche bringen die Verfolgung von Sinti und Roma
       > durch die Nazis auf die Bühne. Originaltexte dokumentieren den Irrsinn
       > der pseudowissenschaftlichen Rassenideologie.
       
 (IMG) Bild: Ein Theaterstück bringt den Völkermord der Nazis an Sinti und Roma auf die Bühne.
       
       Die Wissenschaftler haben gesprochen, nun haben ihre Opfer das Wort. Die
       Jugendlichen treten vor die Reihe der Erwachsenen und beginnen die schier
       endlose Rede der Zeugen, allesamt Sinti und Roma, die den
       Nationalsozialismus überlebten. Sie berichten: der Sinto Josef Müller, der
       aus dem Klassenzimmer zur Zwangssterilisation geführt wird oder der
       15-jährige KZ-Inhaftierte Mongo Stojka, der vom Todesmarsch aus Flossenbürg
       erzählt. „Nach jeder Rast bleiben einige KZler einfach liegen, weil sie am
       Ende ihrer Kräfte sind. Sie bekommen alle den ’Gnadenschuss‘.“ Aus der
       Reihe der Erwachsenen tritt Beate Niemann: „Einer der Organisatoren der
       Todesmärsche war Bruno Sattler.“ Die kleine, weißhaarige Frau im grauen
       Sakko spricht es sachlich, und doch ist ihr Blick voll Bewegung. Bruno
       Sattler, Chef der Gestapo in Serbien, verantwortlich für die Liquidierung
       Tausender Zivilisten, war ihr Vater.
       
       „Zur Endlösung der Zigeunerfrage“ heißt das neue Theaterprojekt des
       Berliner Kollektivs Historikerlabor. Die Gruppe aus WissenschaftlerInnen
       und Berliner Jugendlichen hat Quellentexte des Völkermords an den Sinti und
       Roma erforscht und bringt diese nun auf die Bühne des Max-Planck-Instituts
       für Wissenschaftsgeschichte in Dahlem. Das Projekt ist nicht nur die
       Aufarbeitung eines lange ignorierten Kapitels der NS-Geschichte; an diesem
       Abend hinterfragt die Wissenschaft auch ihre eigene Geschichte.
       
       Etwa der Berliner Student der Wissenschaftsgeschichte, Frank Zwintzscher.
       Er geht der Frage nach, die damals die Anthropologie beschäftigte: Was
       macht einen ’Zigeuner‘ zum ’Zigeuner‘? Im Stakkato wissenschaftlicher
       Pedanterie verliest er die Vermessungskategorien des österreichischen
       Rassenkundlers Karl Moravek, anhand deren dieser rassetypische
       Schädelspezifika zu erfassen hoffte. Unmengen von Geld und Aufwand steckten
       die Nazis in die Vermessung der „Nichtarier“. Eine menschenverachtende
       Arbeit, die umso irrwitziger erscheint, als Moravek in seiner Dissertation
       von 1939 sogar zugibt, dass die Unterscheidung „Zigeuner – Nichtzigeuner“
       keine medizinische, sondern eine höchst subjektive ist: „ein
       empfindungsmäßiges Entscheiden, welches auf eine Unzahl unbewusster
       Eindrücke zurückgeht“. Der Forscher als Opfer seiner eigenen Vorurteile.
       
       Zwintzscher rezitiert diese Texte mit einer staunend-fragenden Haltung:
       „Ich spreche den Moravek, aber ich spiele ihn nicht“, erklärt er später
       seine Rolle: Die Darstellenden auf der kargen Bühne bleiben sie selbst, das
       ist das Prinzip. Damit wollen sie auch ihre eigene Haltung als
       ForscherInnen überprüfen.
       
       So wie der deutsche Wissenschaftsbetrieb sind speziell auch der Ort Dahlem
       und die Max-Planck-Gesellschaft ihrer braunen Geschichte ausgesetzt: Nicht
       weit vom Institut für Wissenschaftsgeschichte fand sich im Dritten Reich
       das „Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik“ der
       Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, der Vorgängerin der Max-Planck-Gesellschaft.
       Einer seiner Mitarbeiter war der skrupellose Zwillingsforscher und KZ-Arzt
       von Auschwitz, Josef Mengele.
       
       Auf spielerische Gesten verzichtet der Berliner Regisseur Christian Tietz
       nahezu völlig. Die Texte sind grausam genug, um ein verstörendes Theater im
       Kopf der ZuschauerInnen zu erzeugen. Und der streng wissenschaftliche
       Zugang der Gruppe verstärkt noch das Entsetzen: Das alles war ganz real.
       
       Die Darstellerin des Historikerlabors, Beate Niemann, Jahrgang 1942,
       glaubte über 50 Jahre lang an die Unschuld ihres Vaters Bruno Sattler.
       Mittlerweile hat sie seine Geschichte erforscht und erklärt nun, sie habe
       „in den vielen Akten nicht ein einziges Mal einen Satz gefunden, dass er
       seine Mitwirkung an den Verbrechen bedauere“: Sattler musste als einer der
       wenigen NS-Täter im Gefängnis lebenslänglich büßen, während viele der
       Rassenforscher in der BRD wieder Lehrstühle besetzten. Niemann selbst bekam
       ihren Vater nur während drei Gefängnisbesuchen in der DDR zu sehen. Warum
       sie heute im Historikerlabor die Texte ihres Vaters öffentlich spricht und
       wissenschaftlich kommentiert, begründet sie so: „Ich habe für mich die
       Verantwortung übernommen, aufzuklären. Entweder übernimmt man sie, oder man
       duckt sich weg.“
       
       20 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tobias Krone
       
       ## TAGS
       
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 (DIR) Sozialarbeit
 (DIR) Politisches Theater
 (DIR) Zwangsarbeit
       
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