# taz.de -- Die Wahrheit: Hust, schnief, röchel
       
       > Gesundheit! Eine Grippewelle grassiert. Dagegen gibt es kein Mittel. Aber
       > was empfehlen die Gesundbeter des freien Marktes?
       
 (IMG) Bild: Die einzige Chance, der Grippe zu entgehen: der Vollschutzanzug.
       
       Deutschland im Fieberfieber: Ob im Klassenzimmer, im öffentlichen
       Verkehrsmittel oder im Hochsicherheitstrakt der JVA Stammheim – überall
       hustet, keucht, röchelt, schnieft und rotzt es, als seien die Leute nicht
       mehr ganz dicht. Das sind sie auch nicht, denn seit Wochen rast nun schon
       die Grippewelle durchs Land. Sie hinterlässt nicht nur Berge von
       vollgeschneuzten Taschentüchern, Auswurf und liegengebliebener Arbeit,
       sondern stellt für die Betroffenen eine ernste gesundheitliche Gefahr dar.
       
       Leider verwechseln viele Menschen die potenziell tödliche Grippe mit dem
       simplen grippalen Infekt, die Premiumkrankheit Influenza also mit ihrer
       harmlosen kleinen Schwester, der Erkältung. Dabei ist es ganz einfach: Wer
       vom Arzt eine richtige Grippe attestiert kriegt, kommt sofort in
       Quarantäne. Er wird zur Linderung der Sekundärinfektionen mit Antibiotika
       vollgepumpt und regelt am besten schnellstens seine letzten Dinge, bevor es
       zum Abschiednehmen in ein Hospiz geht. Wer sich hingegen nur den läppischen
       grippalen Infekt zugezogen hat, wird von der Schulmedizin beim Sterben
       alleingelassen.
       
       In Fachkreisen gilt es nämlich mittlerweile als gesicherte Erkenntnis, dass
       praktisch alle Medikamente gegen Erkältung nutzlos sind. Kurzgefasst lautet
       der Rat der modernen Medizin: Eine laufende Nase soll man nicht aufhalten.
       Allem wissenschaftlichen Fortschritt zum Trotz ist man also noch keinen
       Schritt weiter als das berüchtigte Bonmot, dem zufolge ein grippaler Infekt
       mit medikamentöser Behandlung lediglich sieben Tage dauert, ohne dagegen
       eine geschlagene Woche.
       
       Diese Aufforderung zum Laissez-faire bereitet vielen Erkrankten jedoch
       Kopfschmerzen. Sie reagieren verschnupft, bekommen sogleich einen dicken
       Hals, wenn sie daran denken, dass sich in früheren Zeiten ein fürsorglicher
       Sozialstaat um ihre Erkältung kümmerte und sogar die Arzneimittel bezahlte.
       Deren Wirkung stand damals ebenso außer Frage wie die therapeutische Macht
       des Placeboeffekts. Viele Menschen spüren es deshalb schmerzhaft in den
       Gliedern: Mit dem unentwegten Appell an die Selbstheilungskräfte des
       Körpers wollen die Verantwortlichen in Wissenschaft und Politik nur von
       ihrem eigenen Versagen ablenken.
       
       ## Helfen Strychnin-Globuli?
       
       Genau darum müssen sich Apotheker und Pharmakonzerne auch weiterhin nicht
       um ihre Existenz sorgen. Der medizinische Laie nickt zwar, wenn er vom
       Hausarzt Bettruhe verordnet bekommt und erfährt, dass er gegen die
       Erkältung nichts unternehmen kann, als sich an die eigene Nase zu fassen
       und dort Meerwasserspray hineinzuspritzen. Anschließend aber rennt er
       gleich durch die Apotheken und besorgt für zu Hause zentnerweise Grippostad
       und Wick Medinait, wenn er an die Schulmedizin glaubt, oder Echinacea,
       Umckaloabo und Strychnin-Globuli, wenn nicht.
       
       Die Menschen werfen eben lieber allerlei Substanzen ein, als auf
       irgendwelche Selbstheilungskräfte zu vertrauen. Die meisten von ihnen
       dürften ja längst die Erfahrung gemacht haben, dass die neoliberalen
       Rezepte zur Ankurbelung des Immunsystems allesamt krachend gescheitert
       sind. Wie wohlfeil zum Beispiel die prominente Empfehlung ist, bei einer
       Erkältung viel zu schlafen, weiß wohl jeder, der soeben von Hustenkrämpfen
       geschüttelt wird und um fünf Uhr früh wegen Nasenverstopfung den
       Erstickungstod erleidet.
       
       Ebenso als Unfug entlarvt kann auch der propagandistische Ratschlag gelten,
       sich mit ausreichend Flüssigkeit zu versorgen. Wenn einem die Suppe aus
       jedem Nasenloch und jeder Pore tropft, fühlt man instinktiv: Flüssigkeit
       ist genügend vorhanden, das ist doch gar nicht das Problem! Und natürlich
       helfen heiße Fußbäder außerordentlich – nur nicht gegen
       Erkältungsbeschwerden, sondern gegen geruchsintensive Ablagerungen an den
       unteren Extremitäten.
       
       Als letzter Schrei in der Prophylaxe wird uns gerade das Händewaschen
       verkauft. Aber wer bitte schön schneuzt sich denn noch in die Hände, seit
       Papiertaschentücher so sagenhaft billig sind?
       
       ## Rhino- und Coronaviren
       
       In jüngster Zeit empfehlen die Gesundbeter des freien Marktes zudem, das
       Zwiebelschalenprinzip zu befolgen: Man soll beim ersten Anzeichen eines
       Infekts eine Handvoll Zwiebelschalen zwischen Körper und erste
       Kleidungsschicht legen – der Nutzen ist gleich null, die bedauernswerten
       Patienten werden indes in die völlige Isolation getrieben.
       
       Das allerdings ist exakt der Ort, wo der Neoliberalismus die Menschen haben
       will. Sie sollen vereinzelt vor sich hin leiden und brav alles schlucken,
       was man ihnen vorsetzt, beispielsweise Kamillentee oder japanisches
       Heilpflanzenöl. Während sie schweißgebadet und fröstelnd ihrem ungewissen
       Schicksal entgegensehen, reiben sich die Profiteure des grippalen Elends
       die frischgewaschenen Hände und legen in ihren Tee- und
       Heilpflanzenölfabriken Sonderschichten ein.
       
       Damit wäre auch die Frage beantwortet, wer ein Interesse an der
       Weiterverbreitung der Rhino- und Coronaviren hat. Es wird langsam Zeit,
       dass die Kranken und Nochgesunden dagegen Widerstandskräfte entwickeln.
       
       13 Mar 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mark-Stefan Tietze
       
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