# taz.de -- Die Wahrheit: Scheitern droht Scheitern
       
       > Das Welthandelsabkommen TTIP muss dringend gerettet werden! Vor allem vor
       > den reichen und hysterischen Deutschen und ihrer German Angst.
       
 (IMG) Bild: Ein Erfolg des Handelsabkommens: Riesenhühnchen für alle!
       
       Die Situation ist verfahren, fast schon verzwickt. Zwar hat die Mehrheit
       der Bundesbürger einer aktuellen Umfrage zufolge immer noch „keinen blassen
       Schimmer“, was TTIP bedeutet, wofür die vier Buchstaben stehen und worum es
       bei der Umfrage überhaupt geht. Doch eines steht fest: Das geplante
       Transatlantische Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und
       den USA hat in der Bevölkerung inzwischen erheblich mehr erbitterte Gegner
       (40 Prozent) als nachdenkliche Befürworter (0,2 Prozent).
       
       Bei den wenigen Befürwortern handelt es sich allerdings durchgängig um
       Menschen mit hoher Bildung und ausgezeichneter fachlicher Expertise, zum
       Beispiel gewählte Bundestagsabgeordnete, leitende FAZ-Redakteure und
       Vertreter der genmaisverarbeitenden Industrie. Experten sagen: Ohne diese
       Leute ist in diesem Land keine Politik zu machen. An ihrem energischen
       Widerstand könnte das geplante Scheitern des umstrittenen Vertragswerks in
       letzter Sekunde scheitern.
       
       Das hatten sich die TTIP-Gegner anders vorgestellt. Hinter verschlossenen
       Türen mauschelten sie eine Internetkampagne aus, mit der sie alle
       berechtigten Argumente für das Abkommen vom Tisch wischen wollten. In der
       Hoffnung, dass sich sonst niemand so richtig für das komplexe Thema
       interessiert, aktivierten sie die geballte Trollmacht des Netzes, um ihre
       arroganten Bedenken gegen den notwendigen Abbau nichttarifärer
       Handelshemmnisse eiskalt durchzuwinken.
       
       Dazu erfanden sie grelle Schlagworte wie die vom „Chlorhühnchen“ und vom
       „Genmais“, ohne die Bürger gleichzeitig darüber aufzuklären, dass jedes
       Glas Trinkwasser eine ordentliche Portion Chlor enthält und jeder Mensch
       ein paar Millionen Gene. Mit dem gezielten Appell ans Bauchgefühl schafften
       sie es immerhin, viele Hunderttausend Deutsche zu einer Unterschrift zu
       nötigen und weitere Millionen gegen die überlebenswichtigen Erleichterungen
       für den Mittelstand aufzuhetzen, gegen Bürokratieabbau, Nachfrageimpulse,
       klingelnde Kassen.
       
       ## Spaltung der Gesellschaft verhindern
       
       Womit sie nicht gerechnet hatten: Mit ihren böswilligen Behauptungen über
       die vermeintliche Absenkung von Sozial-, Umwelt- und Verbraucherstandards
       erreichten sie just jene nicht, auf die es im komplizierten
       Gesetzgebungsprozess letztlich ankommt: die Lobbyisten der großen Konzerne.
       Und auch die Politiker, die ganz am Ende ihren Willi unter die wichtige
       Vereinbarung setzen müssen, zeigten sich überwiegend unbeeindruckt von den
       langweiligen Petitionen und gewalttätigen Demonstrationen der
       Anti-TTIP-Front.
       
       Dass es im Augenblick trotzdem so aussieht, als könnten die Gegner von
       Wachstum und Wohlstand Oberwasser gewinnen, ist der raffinierten Propaganda
       geschuldet, die in bestimmten Teilen der deutschen Bevölkerung Wirkung
       zeigte. Sie verunsicherte insbesondere Menschen aus schwierigen sozialen
       Verhältnissen, die sich als technikfeindlich und unpolitisch verstehen, zum
       Beispiel Mitglieder der SPD. Viele von ihnen haben Angst vor der Konkurrenz
       aus Amerika, fürchten um ihre Arbeitsplätze in der heimischen Chemie- und
       Geflügelindustrie.
       
       Dabei müssten gerade sie der Globalisierung dankbar sein. Ohne freien
       Handel könnte sich hierzulande nicht jeder Prolet echten Parmaschinken aus
       Italien und nachgemachte Riesenfernseher aus China leisten. Und ohne den
       Abbau von Zollschranken und Arbeitnehmerrechten wäre Deutschland niemals
       Exportweltmeister. Nicht umsonst hat der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel die
       Deutschen „reich und hysterisch“ gescholten. Der Bundeswirtschaftsminister
       ist auch der Einzige, der TTIP jetzt noch zur Unterschriftsreife bringen
       kann, wenn er dazu die Unterstützung all jener Landsleute erhält, die in
       ihrer Armut halbwegs gelassen geblieben sind.
       
       Sein neuester Vorschlag jedenfalls könnte eine weitere Spaltung der
       Gesellschaft verhindern und aus den Deutschen eine echte TTIP-Gemeinschaft
       machen. Um das Abkommen in letzter Sekunde zu retten, will Gabriel die
       endgültige Entscheidung darüber einem international besetzten
       Schiedsgericht überantworten, das in einem möglichst undurchsichtigen
       Verfahren ermittelt wird. Damit es rein nach Sachlage und unbeeinflusst von
       der Öffentlichkeit abstimmen kann, sollen die Sitzungen zu unbekannten
       Uhrzeiten klandestin in sogenannten Hinterzimmern stattfinden.
       
       Außerdem will der Wirtschaftsminister persönlich sicherstellen, dass nicht
       immer nur die Interessen der Großkonzerne im Gesetzestext Berücksichtigung
       finden, sondern auch die des Mittelstands und geringverdienender privater
       Investoren.
       
       Gabriel hofft auf eine breite Zustimmung zu seinem Vorschlag. Mit der Idee,
       Entscheidungen von solcher Tragweite nicht den unfähigen und korrupten
       Politikern zu überlassen, dürfte er die Mehrheit der Deutschen hinter sich
       haben. Wenn sich diese auf ihre vier Buchstaben setzt und endlich begreift,
       was ein Scheitern von TTIP für uns alle bedeutet, überlegen es sich die
       paar schwankenden Gestalten, auf die es jetzt ankommt, vielleicht noch
       einmal.
       
       8 Apr 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mark-Stefan Tietze
       
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