# taz.de -- Frühwerk von Teju Cole: Gefühlte Nähe, intellektuelle Distanz
       
       > Vor seinem Welterfolg „Open City“ hat Teju Cole über seine Heimat Nigeria
       > geschrieben. Nun erscheint das Buch auf Deutsch.
       
 (IMG) Bild: Teju Cole, zum Zeitpunkt dieser Aufnahme schon weltberühmt.
       
       Es beginnt schon im Konsulat in New York: Ohne Schmiergeld geht nichts.
       Pünktlich ausgestellt wird der Reisepass nur für ein paar Dollar mehr. Für
       den Erzähler, der namenlos bleibt, ist das bereits der Übertritt in eine
       andere Welt, die ihm so fremd wie vertraut ist.
       
       Er reist ins Land seiner Herkunft, Nigeria. In New York hat er studiert,
       jetzt ist er an einem Scheidepunkt angelangt: Soll er in den USA bleiben,
       will er auf Dauer nach Nigeria zurück? Dass zum Abschied aus der Heimat
       auch der Abbruch des Kontakts zu seiner Mutter gehörte, erfährt man erst
       gegen Ende des Buchs. In Nigeria tauchen Figuren aus seiner Vergangenheit
       auf; ein Bild, das Vollständigkeit suggeriert, entsteht daraus nicht.
       „Jeder Tag gehört dem Dieb“ ist ein Roman, in dem vieles im Halbschatten
       liegt.
       
       Falls es denn ein Roman ist, wie der Verlag behauptet. Vom Entwurf einer
       Welt, von Spannungsbögen und fiktionaler Arrondierung ist wenig zu spüren;
       eine „Novelle“ nennt Teju Cole selbst diesen Text, der nicht im epischen,
       sondern im impressionistischen Register gearbeitet ist. Kein Wunder, da er
       auf Blogeinträgen beruht, die 2007 als erstes Buch des Autors in einem
       nigerianischen Verlag gesammelt erschienen, ohne dass ein Hahn danach
       krähte.
       
       Dann aber kam mit „Open City“ der Welterfolg, und zwar sehr zu Recht;
       „Jeder Tag gehört dem Dieb“ erscheint nun als Zweitling, der er nicht ist,
       adressiert an eine westliche Leserschaft, für die das Buch nicht in erster
       Linie gedacht war – und verweist noch dazu in die nähere Zukunft, für die
       Teju Cole ein großes nichtfiktionales Buch über Lagos in der Machart von
       Suketu Mehtas „Bombay: Maximum City“ verspricht.
       
       ## Allegorische Lektüre
       
       Alles also etwas komplizierter, als es bei der Lektüre erscheint. Der
       Blogcharakter bleibt nämlich im Wesentlichen auch in der novellistischen
       Umarbeitung erhalten. Nicht zuletzt die dem Autor, nicht dem Erzähler
       zugeschriebenen, zwischen die Kapitel gestreuten Fotos sorgen dafür.
       Schwarzweißbilder, die sich zum Text mal andeutungsweise illustrierend, mal
       unklar verhalten und die nur gelegentlich doch allegorische Lektüren
       erlauben. Das letzte Foto etwa könnte sich auf das letzte Kapitel beziehen,
       das von einem Sargmacher handelt – auf dem Bild sieht man zwei Kinder auf
       einem Nachen, vom im Text erwähnten Charon allerdings keine Spur.
       
       Trotz solcher Andeutungen tieferer Bedeutung liest sich das Buch wie ein
       persönlicher Reisebericht. Der Erzähler beobachtet Spam-Mail-Verfasser in
       Internetcafés, er schildert den Auftritt eines Pastors, berichtet von
       Nachbarn, Verwandten und alten Freunden, von Fahrten im übel beleumundeten
       Danfo-Bus, in dem er völlig überraschend einer Ondaatje-Leserin begegnet:
       eine kulturelle Epiphanie.
       
       Er ist entsetzt über die Lieblosigkeit, mit der der Staat im Nationalmuseum
       mit dem Kulturerbe umgeht; er ist beglückt über die private Musikakademie,
       wenngleich die Studienbedingungen den Ärmeren den Zugang verwehren. Später
       gerät er in einen Laden, der nicht die in den Regalen stehenden Jazz-CDs,
       sondern illegal gebrannte Kopien davon günstig verkauft. Der Erzähler
       trifft eine nun verheiratete Ex, Onkel und Tanten, einen jungen Mann, der
       von Amerika träumt.
       
       All das wird eher hingetuscht in kurzen Kapiteln, in einer Sprache von
       sachlicher Zartheit. Was den Ton bestimmt, ist eine Befremdung. Auf der
       Oberfläche geht es dabei um die allgegenwärtige Korruption, die latente und
       gelegentlich auch manifeste Gewalt; darunter aber liegt ein Verhältnis zur
       Welt, das den Erzähler verstört und das in der im nigerianischen Alltag
       häufig zu hörenden Wendung „idea l’a need“ auf den Begriff gebracht ist.
       Bezeichnet ist damit ein Sichbegnügen mit der schnellsten und einfachsten
       Lösung, eine Missachtung der Details, ein Verzicht auf Durchdenken, auf die
       basalen Formen von Logik.
       
       Der Erzähler stellt fest, wohl nicht ganz ohne Befremden auch über sich
       selbst: Hinter seinen westlichen Blick, hinter seine eigene
       wissenschaftliche Aufgeklärtheit kann er nicht mehr zurück. Mit dem
       fröhlichen Aberglauben, an dem Kritik abperlt, kommt er nicht klar. Die
       Nähe, die er fühlt, hilft über die intellektuelle Distanz nicht hinweg.
       „Das Wort ’Zuhause‘ liegt mir im Mund wie unvertrautes Essen“, schreibt der
       Erzähler, da sitzt er mit Malaria im Flugzeug zurück nach New York.
       
       30 Mar 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ekkehard Knörer
       
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