# taz.de -- Umstrittener neuer Rahmenlehrplan: Schüler werden abgestempelt
       
       > Der neue Rahmenlehrplan für Berlins und Brandenburgs Schulen stößt auf
       > Kritik. Noch bis Freitag läuft die Online-Anhörung, im August soll die
       > Endversion erscheinen.
       
 (IMG) Bild: Der neue Lehrplan trägt bislang nicht zum allgemeinen Frieden bei
       
       Er sollte einen Kulturwandel markieren: der neue Rahmenlehrplan für Berlins
       und Brandenburgs Schulen. Statt wie bisher Grund- und Sekundarstufen zu
       trennen, oft auch noch Klassenstufen und Schulformen, fasst der neue
       Lehrplan Unterichtsinhalte von Klasse 1 bis Klasse 10 zusammen und nimmt
       mehr Bezug auf „Kompetenzniveaus“ als auf Klassenziele. Damit solle, so
       Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) bei der Vorstellung der
       Anhörungsversionen des neues Lehrplans im November 2014, der inklusiven
       Schule mit SchülerInnen verschiedener Lerngeschwindigkeiten und deren
       individueller Förderung Rechnung getragen werden. Ende dieser Woche läuft
       die öffentliche Anhörungsphase zum neuen Lehrplan aus. Und Kritik gibt es
       viel – etwa von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).
       
       Für die ist der neue Rahmenlehrplan zwar „als solches begrüßenswert“, wie
       GEW-Vorsitzende Sigrid Baumgardt am Dienstag erklärte. Dennoch formulieren
       GEW und DGB Berlin-Brandenburg „grundsätzliche Kritikpunkte“. Der erste:
       Weder Gewerkschaften noch MigrantInnenverbände oder ElternvertreterInnen
       seien in den Kommissionen vertreten gewesen, die die neuen Unterrichtspläne
       erstellt haben – obwohl laut Schulgesetz alle „gesellschaftlich relevanten
       Gruppen“ hätten beteiligt werden sollen. Auch biete der Fragebogen des
       Online-Beteiligungsverfahrens keinen Raum für grundsätzliche Kritik – und
       es sei „nicht transparent, wie die Senatsverwaltung mit den Rückmeldungen
       umgehen wird“.
       
       Der zweite Kritikpunkt zielt auf das Thema Leistungsbewertung: „Der
       Leistungsbegriff ist nicht ausreichend definiert“, dadurch werde es für
       Lehrer schwieriger, schulische Leistung zu bewerten, so Nuri Kiefer,
       Mitglied der AG Schwule Lehrer und Schulleiter einer Gemeinschaftsschule.
       Denn das Niveaustufenmodell, das eingeführt werden soll, werfe mehr Fragen
       auf, als es Antworten gebe.
       
       Darin werden die verschiedenen Kompetenzniveaus (A bis H) dargestellt, die
       von Jahrgang 1 bis 10 durchlaufen werden können – H steht für den Übertritt
       in die Oberstufe, F für Berufsbildungsreife, den früheren
       Hauptschulabschluss. Das Modell suggeriere in seiner starren Abfolge „einen
       deterministischen Bildungsweg“ und lasse nicht erkennen, wie ein Kind mit
       anfangs schlechten Niveau den Übergang zur Oberstufe schaffen kann. Unklar
       sei auch, wie sich aus den Niveaustufen „rechtssichere“ Benotungen nach dem
       herkömmlichen Notensystem ableiten ließen. Eigentlich, ergänzt Baumgardt,
       hätte mit dem Rahmenlehrplan „das herkömmliche Notensystem in Frage
       gestellt werden“ werden müssen. Doch die Schulverwaltung habe zu verstehen
       gegeben, „dass sie die Noten nicht abschaffen will“.
       
       Schulleiter Kiefer wiederholte auch die Kritik des Lesben- und
       Schwulenverbands: „Im Vergleich mit den vorherigen Rahmenlehrplänen findet
       Sexualerziehung so gut wie nicht mehr statt“. Es sei nur schwammig von
       „diversity“ die Rede, ohne dass sie definiert werde, und das Thema
       Geschlechteridentität sei nur freiwilliges Thema im Geschichtsunterricht.
       „Dabei ist ’schwul‘ das meistgebrauchte Schimpfwort auf Schulhöfen und die
       Selbstmordrate unter homosexuellen Kindern deutlich höher“, so Kiefer.
       
       Kritik kommt auch vom Verband der Gymnasialdirektoren. Sie fordern einen
       gesonderten Rahmenplan für die Gymnasien. Der gemeinsame Plan sei „zu wenig
       konkret“, Unterrichtsinhalte zu unverbindlich, es fehle „ein Kanon an
       Fachwissen“. Ähnlich die Kritik einer Initiative von GeschichtslehrerInnen,
       die der 2013 mit dem Deutschen Lehrerpreis ausgezeichnete Pädagoge Robert
       Rauh ins Leben gerufen hat. Sie kritisiert die Abkehr vom epochal, also dem
       Zeitverlauf folgenden Geschichtsunterricht in einigen Jahrgängen zugunsten
       themenorientierter Unterrichtsstränge wie etwa Migration. Zudem kritisieren
       die Lehrkräfte die Auflösung des Geschichtsunterrichts in Klasse 5 und 6
       zugunsten des Fachs Gesellschaftswissenschaften, dass auch von fachfremden
       LehrerInnen unterrichtet werden soll.
       
       Die Schulverwaltung reagiert auf die Kritik entspannt. Die gesellschaftlich
       relevanten Gruppen, die laut Schulgesetz an der Erarbeitung neuer Lehrpläne
       beteiligt werden sollen, würden derzeit in öffentlichen Anhörungen
       einbezogen, so eine Sprecherin: Erst danach werde eine Endversion des
       Rahmenlehrplans erstellt. Auch die mit den Online-Fragebögen „eingegangenen
       Hinweise“ würden „ausgewertet und, wenn überzeugend, gegebenenfalls
       berücksichtigt“, heisst es zur Kritik der GEW.
       
       Der bildungspolitischen Sprecherin der Linken-Fraktion im Abgeordnetenhaus,
       Regine Kittler, reicht das jedoch nicht. Zwar begrüße sie den „inklusiven
       Ansatz“ der neuen Lehrpläne und den verstärken fächerübergreifenden
       Unterricht. Die Forderung der Studiendirektoren nach einem eigenen Lehrplan
       für Gymnasien sei „absurd“, so die Linke. Doch angesichts der massiven
       Kritik fordert Kittler eine freiwillige Einführung des neuen Rahmenplans
       zunächst an einigen Modellschulen, um „in gründlichen Debatten einen
       breiten Konsens mit allen Beteiligten zu finden“.
       
       24 Mar 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Memarnia
 (DIR) Alke Wierth
       
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 (DIR) Schule
       
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