# taz.de -- NSU-Untersuchungsausschuss: Im Steinbruch mit Präzisionsgewehr
       
       > Ein toter Zeuge im Mordfall Kiesewetter: Nicht Polizisten fanden Waffen
       > bei ihm, sondern die Eltern. Die Kritik an der Arbeit der Beamten wird
       > lauter.
       
 (IMG) Bild: Von der Polizei gesucht und von den Eltern gefunden: Der Schlüssel war im ausgebrannten Innenraum des Autos
       
       KARLSRUHE taz | Hört man sich die Einlassungen der Ermittler im Stuttgarter
       Untersuchungsausschuss zur NSU-Affäre an, wird auch bei staatstreuen
       Abgeordneten wie dem SPD-Politiker und Vizepräsident des
       Baden-Württembergischen Landtags Wolfgang Drexler das Vertrauen in die
       Beamten erschüttert. Da unterschreibt etwa eine Hauptkommissarin einen
       Bericht, obwohl sie selbst sagt, sie könne gar nicht beurteilen, ob die
       Untersuchung sachgemäß durchgeführt worden sei. Mit schnippischem Unterton
       gibt sie zu Protokoll: „Ich kann Ihnen nicht sagen, warum, aber das ist bei
       uns so.“
       
       Ein anderer Ermittler bestreitet, dass es in Heilbronn, wo die Polizistin
       Michèle Kiesewetter von dem NSU-Trio mutmaßlich ermordet worden ist, eine
       rechte Szene gibt. Ein Kollege sekundiert wenige Sitzungstage später:
       Allenfalls gebe es eine „bunt zusammengewürfelt Gruppe“. So ähnlich klingt
       das auch, wenn beispielsweise ein Matze K. im Untersuchungsausschuss diese
       Gruppe charakterisieren soll. Matze K. ist ein junger Mann, der bis vor
       Kurzem auf seinem Oberarm ein Hakenkreuz-Tattoo trug.
       
       Nach 16 Sitzungstagen scheint so viel klar zu sein: Die Gruppe, die sich in
       Heilbronn allabendlich in einer Kneipe traf, hatte keine direkte Beziehung
       zum rechten Terrornetzwerk NSU. Auch die ominöse „Neo Schutzstaffel“ (NSS)
       ist wohl eher ein Hirngespinst. Doch ganz so diffus und harmlos, wie
       Ermittler und Teilnehmer erstaunlich übereinstimmend behaupten, war diese
       Gruppe wohl nicht.
       
       Es wurde nicht nur rassistisch daherschwadroniert. Es gibt Fotos, die
       Mitglieder mit einer Hakenkreuzfahne bei einer Geburtstagsfeier zeigen.
       Zudem wurden bei einigen Mitgliedern Waffen und weitere Nazisymbole
       gefunden. Auf einem Foto ist zu sehen, wie einer der Männer in einem
       Steinbruch mit einem Präzisionsgewehr hantiert. Gegen ihn wird wegen
       Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz ermittelt. Er steht zudem im
       Verdacht, die 2011 enttarnte Neo-Nazi-Gruppe „Standarte Württemberg“ mit
       Waffen versorgt zu haben.
       
       ## Schlampige Untersuchungen
       
       Später wurde bekannt, dass es in den Reihen der baden-württembergischen
       Polizei Beamte mit rassistischer Gesinnung gibt. Allerdings wird mit ihnen
       relativ harmlos umgegangen. So kamen die beiden Polizisten, die 2001 dem
       European „Knights of Ku-Klux-Klan“ angehörten, mit einer formlosen Rüge
       davon. Einer der beiden war der Vorgesetzte der ermordeten Polizistin
       Michèle Kiesewetter. Auch andere vermutete Verbindungen Kiesewetters ins
       rechtsextreme Milieu in Thüringen, wo die herkam, wurden erst ermittelt,
       nachdem der NSU aufgeflogen war. Da war Kiesewetter schon über vier Jahre
       tot.
       
       Die schlampigen Untersuchungen reichen noch weiter. Ein Zeuge im
       NSU-Prozess, Florian H., hatte sich damit gebrüstet, die Täter im
       Kiesewetter-Mord zu kennen. Dazu soll er im Untersuchungsausschuss
       aussagen. Doch kurz vor seiner Befragung verbrennt er in seinem eigenen
       Wagen. Die Ermittler gehen bei der Untersuchung des Wagens so oberflächlich
       vor, dass es später die Eltern sind, die die Waffen und den gesuchten
       Schlüssel im ausgebrannten Innenraum finden.
       
       Die Ermittler sollen all das übersehen haben? Ist das Schlamperei oder
       Absicht? Inzwischen wurden wegen der lückenhaften Untersuchung der
       Stuttgarter Kriminalbeamten drei Disziplinarverfahren gegen die Ermittler
       eingeleitet. Eine erste Bewährungsprobe für die in Baden-Württemberg frisch
       bei der Polizei eingerichtete eingerichtete Interne Revision.
       
       ## Allgemeines Unwissen
       
       Ist die Sicht der Polizei Baden-Württemberg auf dem rechten Auge getrübt?
       Spricht man mit Ermittlern von Bundesbehörden über die Konsequenzen aus den
       NSU-Morden, dann ist das Entsetzen heute groß, wie wenig die Landesbehörden
       allgemein über rechte Umtriebe in ihren Bundesländern wissen. Und viele
       Landeskriminalämter kennten „ihre Rechten“ gar nicht, heißt es. Sie könnten
       nicht einmal eine konkrete Zahl der Personen nennen, von denen eine Gefahr
       ausgehe. Ganz zu schweigen von Schlüsselfiguren in einer Szene, denen man
       politisch motivierte Anschläge zutraut. Auch haben die Sicherheitsbehörden
       zu lange hingenommen, dass Rechtsextreme mit Waffen und Sprengstoff
       hantieren, so wird kritisiert.
       
       Nach den Serienmorden des NSU, die Harald Range, Generalbundesanwalt beim
       Bundesgerichtshof, einmal als „unseren 11. September“ bezeichnete, soll
       sich das ändern. Nach den Auftritten der meisten Ermittler im Stuttgarter
       Untersuchungsausschuss sind die Zweifel daran groß.
       
       3 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Benno Stieber
       
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