# taz.de -- Albaniens Hauptstadt Tirana: Kein Tennis ohne Partner
       
       > Hier ein Leben im Müll, dort Partyviertel – Albaniens Hauptstadt ist
       > voller Gegensätze. 200 Kilometer weiter befindet sich Europas
       > Cannabis-Mekka.
       
 (IMG) Bild: Riesenrad im Zentrum von Tirana.
       
       Da sind diese Berge von Plastikflaschen, festgebunden an Laternenmasten.
       Sie sehen aus wie lustige Kunstinstallationen, sind aber doch nur Müll.
       Daneben stehen Hütten und Zelte, arm und klein, Frauen sitzen davor und
       klauben aus Taschen und Tüten Dinge, die andere weggeworfen haben, die sie
       selbst vielleicht aber noch gebrauchen können. Oder mit denen sich noch
       noch ein paar Lek verdienen lässt.
       
       Inmitten von Tirana, Albaniens Hauptstadt, am malerischen Stausee Liqenii
       Tiranes, liegt eines der Elendsviertel der Stadt, bewohnt von den Armen der
       Ärmsten, darunter viele Kinder. Diese Albaner sind keine richtigen Albaner,
       finden diejenigen, die auf der anderen Seite des Sees unter Schatten
       spendenden Bäumen sitzen, Kaffee trinken und Eis essen. Sie tragen dunkle
       Sonnenbrillen und luftige, bunte Kleidung.
       
       Sie wollen mit denen von „drüben“ nichts zu tun haben, sie sagen, das seien
       „Zigeuner“. Aber sie lassen sie – und das ist der Unterschied zu Camps von
       Sinti und Roma in anderen Ländern Europas – in Ruhe leben. Sie verjagen sie
       nicht. Sie beschimpfen sie nicht. Sie ermorden sie nicht.
       
       Die Albaner sind friedliebende und freundliche Menschen, sie lachen viel
       und begegnen Fremden mit Wärme und Herzlichkeit. Und sie wissen: Die von
       „drüben“ brauchen jeden Cent. Ganze Familien leben davon, dass sie jeden
       Tag auf den Müllhalden am Rande der Stadt auf Beutezug gehen. Wenn es gut
       läuft, „verdienen“ sie am Tag knapp über 1.000 Lek, das sind etwa 8 Euro.
       
       Tirana ist eine Stadt voller Widersprüche, ganz Albanien besteht aus großen
       Differenzen zwischen Arm und Reich. Das Land lebt von der Sehnsucht nach
       dem besseren Leben, auf der Suche nach dem schnellen Geld. In kurzer Zeit
       reich geworden sind nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Diktatur
       allerdings nur wenige, darunter viele Politiker.
       
       Die Reichen schotten sich von der Bevölkerung ab, um ihre architektonisch
       langweiligen Häuser haben sie hohe Steinmauern gebaut, die Angst vor Mord
       und Entführungen ist groß. Ihre Swimmingpools und Sportplätze stehen
       ungenutzt herum. Zum Tennisspielen braucht man einen Partner, der müsste
       aufs Gelände kommen. Aber das lassen die Reichen nicht zu.
       
       ## Eine ehemals abgeschirmte Wohngegend
       
       Die „normalen“ Menschen hingegen versuchen irgendwie über die Runden zu
       kommen. In Tirana sieht man den Frauen und Männern das nicht an. Die Stadt
       ist jung, hip, schnell, modern. In den zahllosen Straßencafés lachen die
       Menschen und posten Selfies in den sozialen Netzwerken. Auf den Märkten
       kaufen sie viel ein, vor allem Fisch und Gemüse. Die Märkte sind billig,
       und gekocht wird fast jeden Abend. Nachts steppt im Blloku – früher
       abgeschirmte Wohngegend der kommunistischen Nomenklatura, heute angesagtes
       Ausgehviertel – der Bär. Bars und Klubs dicht an dicht, es wird viel
       getrunken, geraucht und getanzt.
       
       Wer es sich leisten kann, fährt mit dem Lift bis ganz nach oben in die
       Kuppel des Skytowers, des höchsten Gebäudes der Stadt, neu errichtet im
       Blloku. Von dort aus hat man einen bezaubernden Blick auf die gesamte
       Stadt. Bilder für Postkarten. Nachts flirrende Lichter, am Tage
       geschäftiges Treiben. Und am Horizont verwackelte Dörfer, am Fuße der
       Berge, manchmal bedeckt mit einer schmalen Schneedecke.
       
       Allenfalls bekommt man eine Ahnung davon, wie die Menschen leben, wenn man
       den Blick über die Häuser schweifen lässt. Heruntergekommene Gebäude mit
       schiefen Fenstern, bröckelndem Putz und kaputten Dächern, von denen
       Stromkabel herabhängen. Manche Häuser sind bemalt, hellblau, gelb, orange,
       pink.
       
       Eine Idee Edi Ramas, Künstler und jetziger Premierminister Albaniens. Bevor
       er 2013 oberster Landeschef wurde, war er Tiranas Bürgermeister. Damals
       sagte er dem Grau den Kampf an und ließ viel Geld für die Außenfassaden
       ausgeben.
       
       ## Party im Abbruchhaus
       
       Manche leer stehende Gebäude eignen sich junge Künstlerinnen und Künstler
       an und veranstalten dort Vernissagen. Fotos, Malerei, Installationen. Im
       Hof der Häuser wird dann Wein ausgeschenkt, ein DJ legt auf, Kerzen weisen
       den Weg durch das Abbruchhaus, damit niemand abstürzt. Für den Moment der
       Kunstaktion hält dieser morbide Charme alles bereit. Zum Leben taugt er
       aber nicht.
       
       Seit Juni des vergangenen Jahres ist Albanien offizieller Beitrittskandidat
       für die Europäische Union. Dafür muss das kleine Land mit den knapp drei
       Millionen Einwohnern noch jede Menge tun. Korruption eindämmen,
       Drogenhandel in den Griff kriegen, vor allem das Müllproblem lösen.
       
       Hier bestechen nicht nur Schüler ihre Lehrer, um bessere Zensuren zu
       kriegen, hier zahlen sogar Beamte für einen guten Job. Albanien gilt als
       einer der größten Drogenproduzenten der Welt, das Dorf Lazarat, etwas 200
       Kilometer von Tirana entfernt in den Bergen, wird unter Insidern die
       Cannabis-Hauptstadt Europas genannt.
       
       Jedes Jahr sollen hier etwa 900 Tonnen Marihuana geerntet werden. Das macht
       etwa 4,5 Milliarden Euro aus, das ist rund ein Drittel des albanischen
       Bruttoinlandsprodukts. Kürzlich sollen Tausende Pflanzen „beschlagnahmt“
       worden sein.
       
       ## Müll am Straßenrand
       
       Und dann die Sache mit dem Müll. Die Innenstadt Tiranas ist einigermaßen
       müllfrei. Aber sobald man das Zentrum verlässt, häufen sich die Dreckhalden
       am Straßenrand, transportieren Rinnsteine Papier, Plastikabfälle,
       verrottete Lebensmittel. Vor allem an den Flussufern sammelt sich das Zeug,
       das mit dem Wasser direkt in die Adria treibt.
       
       Zum Müllproblem kommen auf dem Land die dort vorherrschenden agrarischen
       Strukturen dazu. Ziegen- und Kuhmist, landwirtschaftliche Abfälle, alles
       wird einfach irgendwo abgeworfen. Eine Reise übers Land kann ein großes
       Abenteuer sein. Mal endet eine Asphaltstraße plötzlich im Nichts, und
       weiter geht es über Steinwüsten und Geröll.
       
       Ein anderes Mal winken am Straßenrand junge Männer Autos heran, um für ein
       paar Lek das Auto zu waschen. Während man wartet, trinkt man einen starken
       Espresso in einer kühlen und dunklen Cafeteria. Auf der Rückreise sollte
       man unbedingt ein Tütchen kleiner, glibbriger Fische kaufen und später
       braten. Die Fische sind frisch geangelt. Die Sonne, unter der sie am
       Straßenrand angeboten werden, kann ihnen nichts anhaben.
       
       17 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schmollack
       
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