# taz.de -- Aktive Sterbehilfe in Belgien: Giftspritze auch für Kinder
       
       > Das belgische Parlament muss über eine Ausweitung der aktiven Sterbehilfe
       > entscheiden. Künftig sollen Ärzte auch schwerkranke Kinder töten dürfen.
       
 (IMG) Bild: Schmerzbehandlung auf einer Palliativstation.
       
       BRÜSSEL afp | Die einen wollen Kinder von unerträglichen Leiden erlösen,
       die anderen den Nachwuchs vor einer unfassbar schweren Entscheidung
       bewahren: Belgiens Abgeordnetenhaus stimmt am Donnerstag über Sterbehilfe
       für Minderjährige ab. Eine Altersgrenze nach unten sieht das Gesetz ebenso
       wenig vor, wie es die Art der Sterbehilfe festsetzt. Demnach könnten
       theoretisch schon Grundschüler auf ihren Willen hin eine Giftspritze
       erhalten, sofern Eltern und Mediziner zustimmen.
       
       „Man hat alle Kinder, von null bis 18 Jahren, in dieselbe Kategorie
       gesteckt“, empört sich die Abgeordnete Marie-Christine Marghem in der
       Zeitung La libre Belgique. Ein todkrankes Kind wolle zwar nicht mehr
       leiden, gesteht die Gegnerin des Gesetzentwurfs zu, jedoch: „Das ist nicht
       dasselbe wie sterben wollen.“ Marghem fürchtet „unglaubliche psychologische
       Komplikationen“ für junge Patienten, die über ihr Leben entscheiden
       müssten.
       
       Tatsächlich stellt das Gesetz kein Mindestalter fest. Der Text setzt aber
       die Zustimmung der Eltern voraus und bestimmt unter anderem: Die
       Betroffenen müssen „Urteilsfähigkeit“ besitzen, unter „unerträglichen
       Schmerzen“ leiden und „unheilbar krank“ sein.
       
       Daher hat das Gesetz „einen humanistischen Charakter“, urteilt Senator
       Philippe Mahoux, einer der Väter des Vorschlags. „Skandalös ist die
       Krankheit und der Tod von Kindern“, nicht die Sterbehilfe sei es, sagte
       Mahoux, der selbst Mediziner ist.
       
       ## Spezialisten sollen entscheiden
       
       Könnte also selbst ein fünfjähriges Mädchen Sterbehilfe in Anspruch nehmen?
       Darauf will Mahoux nicht antworten. „Der Gesetzgeber hat es nicht auf sich
       genommen, das zu entscheiden. Es gibt Spezialisten, die das bewerten.“
       
       Mahoux meint die Ärzte, Psychiater und Psychologen, die feststellen müssen,
       ob die kleinen Kranken die Kriterien erfüllen. Diese Praktiker haben sich
       immer wieder in die Debatte eingeschaltet. Schon heute werde immer wieder
       Sterbehilfe an Kindern geleistet, sagte zum Beispiel der Chef der
       Intensivstation des Königin-Fabiola-Kinderkrankenhauses vor einem Jahr bei
       einer Parlamentsanhörung. „Das wissen wir alle“, betonte Dominique Biarent
       damals.
       
       Die Mediziner sind allerdings gespalten. Im Herbst veröffentlichten 16
       Kinderärzte einen Appell für die Legalisierung. Die jungen Kranken „sind
       manchmal fähiger als gesunde Erwachsene, über das Leben nachzudenken“, hieß
       es darin. Ihnen widersprachen vor wenigen Tagen 39 Standesgenossen. Es gebe
       „nicht die geringste objektive Methode“, um die geforderte Urteilsfähigkeit
       festzustellen, schrieben sie in einem offenen Brief.
       
       Ähnlich argumentiert die katholische Kirche. „Man beurteilt die Jugend als
       rechtlich nicht geeignet, wichtige wirtschaftliche Entscheidungen zu
       treffen“, bemerkte der Chef der belgischen Bischöfe, André-Joseph Léonard,
       vergangene Woche bei einer Andacht in der Brüsseler Koekelberg-Kirche. „Und
       plötzlich sollen sie fähig sein zu entscheiden, dass man sie sterben
       lässt“, beklagte der Erzbischof.
       
       ## Gesetzesentwurf ist unausgereift
       
       Von den Grundsatzdebatten abgesehen, hält der Abgeordnete Christian
       Brotcorn den Gesetzestext für nicht ausgereift, er lasse wichtige Fragen
       offen: „Was macht man, wenn ein Elternteil einverstanden ist und der andere
       nicht?“, fragt der Fraktionschef der zentristischen Partei CDH.
       
       Voraussichtlich wird er bei der für Donnerstagabend anberaumten Abstimmung
       zur Minderheit gehören. Nachdem der Senat bereits zugestimmt hat, gilt auch
       das Ja der zweiten Parlamentskammer für die neue Sterbehilfe-Regelung als
       wahrscheinlich.
       
       Wieviele Kinder letztlich betroffen sein könnten, ist fraglich. Brotcorn
       spricht von rund fünf im Jahr. Befürworter Mahoux verweist hingegen auf die
       Legalisierung der Sterbehilfe in Belgien für Erwachsene 2002. Auch damals
       hätten die Gegner argumentiert, es bestehe kein Regelungsbedarf. Das habe
       sich als falsch herausgestellt, urteilt Mahoux. Allein im Jahr 2012
       verzeichnete die offizielle Statistik 1.432 Fälle von Sterbehilfe.
       
       12 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Phillipp Saure
       
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