# taz.de -- Völkische Siedler feiern Hochzeit: Antimodern und rechtsextrem
       
       > Im niedersächsischen Masendorf feierten völkische Siedler eine
       > „Eheleite“. Die Rituale sind im Nationalsozialismus verwurzelt.
       
 (IMG) Bild: Bewachte Hochzeitsfeier: Wer nicht dazugehörte, wurde zur Sicherheit fotografiert
       
       Uelzen taz | Das Anwesen ist abgeschirmt. Planen versperren die Sicht auf
       den ehemaligen Bauernhof in der „Engen Gasse“ im Uelzener Ortsteil
       Masendorf. Umso mehr Interesse scheinen die, die sich da so vor fremden
       Blicken schützen, an ihrer Umgebung zu haben: Gleich mehrere Wildkameras
       sind auf Straße und Nachbarschaft gerichtet. Im Garten steht eine große
       schwarze Jurte, ebenfalls abgeschirmt mit einer Plane.
       
       Das Eingangstor bewachen wechselnde junge Männer, bekleidet mit Trachten
       und altmodischen Hüten. Auch Masken tragen sie – anzunehmen ist, dass das
       aus Gründen der Vermummung geschieht, nicht aus Sorge vor Corona.
       Nicht-Eingeladene werden fotografiert. Einer der Türsteher hat sich eine
       schwarze Sturmhaube aufgesetzt, ein martialischer, verstörender Anblick.
       Über ein Schleusensystem kommen viele der mehr als 100 Freunde und
       Verwandten aufs Gelände, ihre Autos sind am benachbarten Oldenstädter See
       geparkt. Alles scheint durchorganisiert.
       
       Stolz erzählt die überregional bekannte NPD-Frau Edda Schmidt schon mal,
       „sie alle“, also ihre ganze Familie, sei im „nationalen Lager“. Dieser Tage
       nun, am ersten Wochenende im Juli, heiratete ihre Enkelin, sozialisiert
       nicht zuletzt im rechtsextremen „Sturmvogel“, den die Großmutter
       mitgegründet hat. Nach einem Interview gefragt, antwortete der junge
       Bräutigam, da müsse er erst den „Beauftragten für Sicherheit“ fragen.
       
       Die Feierlichkeiten dauerten von Freitag bis Montag. Durchweg trugen die
       Hochzeitsgäste volkstümliche Kleidung. Diese oberflächlich antimoderne
       Ausrichtung korrespondiert in diesen Kreisen mit inneren Werten: Hier
       glaubt man an traditionelle familiäre Ordnung und völkisch-nationalistische
       Identität.
       
       ## Regelmäßige Treffen
       
       Zusammen mit anderen verließ Edda Schmidt einst die militante Wiking-Jugend
       (WJ) und gründete 1987 den Sturmvogel. „Eine radikale Abspaltung“, sagte
       der Rechtsextremismusexperte Gideon Botsch, der am Potsdamer
       Moses-Mendelssohn-Zentrum zur „bündischen Jugend“ forscht. Kontakte zur –
       1994 verbotenen – WJ blieben bestehen, ebenso zur inzwischen ebenfalls
       verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ). Laut seinem
       Gründungsflugblatt will der Sturmvogel per Jugendarbeit ein „Vorleben“
       vermitteln, das gegen den „Ungeist“ aufbegehrt, „der unser Volk derzeit
       jeden Atemzug verpestet“. Als „volkstreu eingestellte Deutsche“ wollen die
       Mitglieder leben – und am Ende auch gesellschaftliche Veränderung bewirken.
       
       Zu Pfingsten, während des Coronalockdowns, trafen sich in Masendorf,
       versteckt im Wald, rund 50 Menschen zu einem [1][Sturmvogel-Pfingstlager].
       Seit Jahren bereits finden in der Region Uelzen Treffen mit solchem rechten
       Hintergrund statt – mal ein Volkstanz, mal ein Jugendlager und jetzt eine
       sogenannte „Eheleite“: eine Hochzeitszeremonie ausdrücklich nach
       heidnischer Tradition. Hier geht es aber noch um mehr: Man heiratet
       untereinander, alle Gäste kommen aus rechtsbündischen Kreisen, der
       Identitären Bewegung oder besuchen „Querdenken“-Veranstaltungen.
       
       Am ersten Juli-Freitagnachmittag ließen sich Brautvater, Braut und
       Bräutigam in einer geschmückten Kutsche von zwei Pferden zu einem
       Eichenhain ziehen. Ein großer Kreis war gemäht worden, geschmückt mit
       bunten Rosenblättern. Bei der erklärtermaßen heidnischen Zeremonie gibt
       sich hier, in der Natur und unter Anverwandten und Vertrauten, das Paar das
       „Ja“ zum Lebensbund.
       
       In der Region im Landkreis Uelzen sind völkische Familien seit Jahrzehnten
       aktiv, bringen sich auch ins Gemeinde- und Vereinsleben ein. Nicht ohne
       politische Zeichen zu setzen. Im Sturmvogel herrscht strenge Hierarchie,
       „Gegenstück zu den Pimpfen sind die Führer“, heißt es. Einer der Brüder der
       Braut wurde [2][Anfang Februar auffällig]: Beim digitalen Homeschooling an
       einem Uelzener Gymnasium hatte er als Profilbild die schwarz-weiß-rote
       Fahne des Deutschen Reichs gewählt.
       
       Jetzt störte sich einer der Hochzeitsgäste an unerwünschten Beobachtern.
       Mit dem Auto fuhr der Mann laut hupend direkt auf den Wagen von Olaf Meyer
       zu; lenkte ein, kam zurück, schimpfte und filmte. Meyer ist Sprecher der
       Antifaschistischen Aktion Lüneburg/Uelzen und klärt seit Jahren über
       Aktivitäten der rechten Szene in der Heide auf – und also auch über solche
       vermeintlich rein privaten Feiern. „Hier wird Ideologie nicht nur gelebt,
       sondern auch von Generation zu Generation weitergegeben“, sagt er. Den
       politischen Kontext versuchten die Familien zu verschleiern, sprächen
       lieber von „alten Traditionen“. Doch diese Traditionen stünden im engen
       Bezug zum historischen Nationalsozialismus und dessen völkischen
       Vorläufern, sagt Meyer.
       
       Ist der Schleier erst gelüftet, sind die Nachbarn mit der altmodischen
       Kleidung nicht mehr nur die vielleicht etwas komischen Netten von Nebenan.
       Was Schmidt und ihre Familie angeht, so sind die rund 140 Einwohner des
       Ortes uneins. Den einen machen die jungen Männer, die nachts mit
       Taschenlampen umherschleichen, durchaus Sorgen. Andere glauben, Lieder
       gehört zu haben, die ihnen Kopfzerbrechen bereiten.
       
       Vor rechtsextremen Siedlern und dem Sturmvogel warnt inzwischen
       Niedersachsens Verfassungsschutz, auch Innenminister Boris Pistorius (SPD)
       erkannte schon, dass Radikalisierung von den völkischen Siedlern ausgehen
       kann – und doch erwerben diese etwa Waffenscheine, mischen sich unter die
       Jägerschaft.
       
       ## „Zulasser, Dulder und Kritiker“
       
       Darüber wird in Masendorf und Umgebung nur leise gesprochen. „Die
       Graswurzelarbeit trägt Früchte“, sagt Martin Raabe von der „Gruppe
       beherzt“, die Präventionsarbeit zum Thema leistet. Er und seine Mitstreiter
       waren Anfang Juli selbst vor Ort, um sich ein Bild zu machen, aber auch
       ansprechbar zu sein. „Etwa einem Drittel im Dorf ist das offen gezeigte
       völkische Leben suspekt“, sagt er.
       
       Die Einwohnerschaft habe sich geteilt in „Zulasser, Dulder und Kritiker“,
       sagt Raabe. „Sie sind gegen Märsche von uniformen Gruppen und vor allem den
       Geist, der hier wieder entsteht.“ Er verweist auf die Funktion
       selbsternannter nationalistischer Widerstandsnester: „Vor Ort zeigen sie
       keinen besonderen missionarischen Eifer, oder im direkten beruflichen
       Umfeld. Im Gegenteil wird hier die Gesinnung verdeckt. Aber eine
       Distanzierung findet auch nicht statt.“
       
       Wie nebenher geht es offenbar auch um eine Diskursverschiebung, um das
       Erringen von Meinungshoheit im Dorf und um Akzeptanz im vorpolitischen
       Raum. Nachdem man bis zum Morgengrauen in der großen Scheune gefeiert
       hatte, die Wachen abgezogen waren und auch der einzelne Polizeiwagen im
       Ortskern weggefahren war, gingen die Brautmutter und das junge Paar am
       Sonntag von Haus zu Haus – um einen Teil der Nachbarschaft einzuladen zum
       „Reste-Kuchenessen“. Etwa ein Drittel erschien an der Kaffeetafel,
       begleitet von Hausmusik und Ansprache des Hausherrn. Der nahm in der
       Vergangenheit an rechtsextremen Aufmärschen teil und versuchte – per
       Abmahnungen und Klagen – kritische Stimmen zu unterdrücken.
       
       12 Jul 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Treffen-von-Rechtsextremen/!5687404
 (DIR) [2] /Zeigen-von-Reichssymbolik-im-Unterricht/!5752715
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Speit
 (DIR) Andrea Röpke
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Rechte Szene
 (DIR) Rechtsextremismus
 (DIR) Niedersachsen
 (DIR) Rechtsradikalismus
 (DIR) Lüneburger Heide
 (DIR) Siedler
 (DIR) NPD
 (DIR) Bundesrepublik Deutschland
 (DIR) Rechtsextremismus
 (DIR) Rechtsextremismus
 (DIR) Siedler
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Völkische Siedler in Niedersachsen: Bienenbüttel will kein Zeichen setzen
       
       Der Gemeinderat Bienenbüttel stimmte gegen ein „Kreuz ohne Haken“ am
       Rathaus – weil die Initiative mit „der Antifa“ zusammenarbeite.
       
 (DIR) Innenministerium zu rechten Siedlern: Zwischen Schweigen und Unkenntnis
       
       Rechtsextreme wollen mit Wohnprojekten ganze Landstriche vereinnahmen.
       Behörden wissen darüber wenig – und schweigen.
       
 (DIR) NPD-Kandidaten in Norddeutschland: „Meine Vorbilder sind Hitler und Hess“
       
       Die NPD tritt zur Bundestagswahl in allen Bundesländern an. Die taz hat
       sich umgeschaut, wer im Norden für die NPD kandidiert.
       
 (DIR) Negatives Deutschland-Image: Nur extreme Strebereigenschaften
       
       Populismus und Rechtsextremismus sind in Deutschland ein wachsendes
       Problem. Im Ausland wird das laut einer Studie besonders kritisch beäugt.
       
 (DIR) Schüler provoziert mit Reichsflagge: Was tun?
       
       Ein extrem rechter Uelzener Gymnasiast testet, wie weit er seine Gesinnung
       an der Schule nach außen tragen kann. Die Schulleitung reagiert hilflos.
       
 (DIR) Treffen von Rechtsextremen: Völkische Siedler laden zum Tanz
       
       Mitte Mai gab es im niedersächsischen Masendorf erneut ein Treffen
       Rechtsextremer. Das Bewusstsein für die Problematik wächst in der Region.
       
 (DIR) Völkische Expansion: Neonazis suchen Lebensraum
       
       In Mecklenburg und in der Lüneburger Heide setzen sich rechte Siedler fest.
       Wie kann man damit umgehen?