# taz.de -- Ukraine richtet Wärmestuben ein: Sorge vor dem Winter
       
       > Russische Raketen zerstören das ukrainische Energiesystem weiter. In Kiew
       > kommt es zu Stromausfällen. Präsident Selenski kündigt 4.000 Wärmestuben
       > an.
       
 (IMG) Bild: Banksy bei Minusgraden am Platz der Unabhängigkeit in Kiew am 21. November
       
       Kiew taz | In Kiew und anderen Städten der Ukraine liegt Schnee, vielerorts
       liegen die Temperaturen bei unter null Grad, während russische Raketen das
       ukrainische Energiesystem noch weiter zerstören. So kam es am Mittwoch
       durch massive russische Raketenbeschüsse in der Region Kiew zu massiven
       Stromausfällen. In der Hauptstadt Kiew fiel die Wasserversorgung aus.
       
       Das ukrainische Energiesystem ist laut Premier Schmyhal [1][bereits bis zur
       Hälfte zerstört]. Es stellt sich also die Frage, wie lange Staat und
       Kommunen noch eine weitgehend reibungslose Versorgung mit Strom
       gewährleisten können. In der ukrainischen Politik sieht man dem Winter mit
       Sorge entgegen. Gegenüber der Bild-Zeitung befürchtet Kiews Bürgermeister
       Vitali Klitschko flächendeckende Stromausfälle in Kiew.
       
       Und dann, so Klitschko, [2][müssten Teile der Stadt evakuiert werden]. So
       weit allerdings wolle man es nicht kommen lassen. In seiner abendlichen
       Ansprache an das Volk kündigte Präsident Selenski am Dienstag die
       Einrichtung von „Punkten der Standhaftigkeit“ an. In diesen etwa 4.000
       Wärmestuben soll die Bevölkerung Schutz suchen können.
       
       „Wenn es erneut zu massiven russischen Angriffen kommt und die
       Stromversorgung nicht innerhalb weniger Stunden wiederhergestellt werden
       kann, stehen diese Punkte der Standhaftigkeit sofort zur Verfügung“,
       zitiert die Zeitung NV den Präsidenten. Man müsse auf jedes Szenario
       vorbereitet sein. „Ich bin zuversichtlich, dass wir diesen Winter gemeinsam
       überstehen werden, wenn wir uns gegenseitig helfen“, betonte der Präsident.
       
       Derzeit, so NV, stehen der Ukraine über 4.000 derartige Notfallzentren zur
       Verfügung, weitere seien in der Planung. Dort gäbe es, so Selenski, Strom,
       Mobilfunk, Internet, Heizung, Wasser und eine Apotheke. Unterbringen werde
       man diese Punkte in Regional- und Bezirksverwaltungen, Schulen oder etwa
       Gebäuden des staatlichen Notdienstes.
       
       ## Noch laufen die Heizungsanlagen
       
       Bisher laufen die Heizungsanlagen der Häuser in der Hauptstadt noch rund um
       die Uhr. Und auch in Charkiw, der zweitgrößten Stadt in der Ukraine,
       funktioniert die städtische Zentralheizung. Dort ist man auch etwas
       optimistischer, was den Winter anbelangt.
       
       Der Bürgermeister von Charkiw, Ihor Terechow, äußerte sich auf seinem
       Telegram-Kanal, dass man die letzten sieben Tage fast nur daran gearbeitet
       habe, die zerstörten Objekte der Infrastruktur wieder in Gang zu setzen.
       Gleichzeitig äußerte er vor dem Hintergrund der Notbeleuchtung in der Stadt
       seine Besorgnis über die wachsende Zahl von Verkehrsunfällen. „Gehen Sie
       mit einer Taschenlampe über die Straße, und leuchten Sie sich bitte dabei
       selbst an“, empfiehlt er den BewohnerInnen.
       
       Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sei angesichts der russischen
       Angriffe auf das ukrainische Stromnetz wegen des bevorstehenden Winters in
       großer Sorge, berichtet AFP. „Dieser Winter wird für Millionen von Menschen
       in der Ukraine lebensbedrohlich sein“, zitiert AFP den WHO-Regionaldirektor
       für Europa, Hans Kluge. In diesem Winter gehe es um das Überleben.
       
       Die Schäden an der ukrainischen Energieinfrastruktur, die durch die
       zahlreichen Raketenangriffe verursacht wurden, hätten bereits schwere
       Auswirkungen auf das Gesundheitssystem und die Gesundheit der Bevölkerung,
       sagte Kluge. Die WHO habe seit Beginn der russischen Invasion im Februar
       auch bereits mehr als 700 Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen in der
       Ukraine registriert. Dies sei ein „klarer Verstoß“ gegen das humanitäre
       Völkerrecht, so Kluge laut AFP. Das EU-Parlament stufte Russland am
       Mittwoch als „terroristische Mittel“ nutzenden Staat ein.
       
       ## Auch für Soldaten wird der Winter hart
       
       Doch was bedeutet der Winter für die Soldaten an der Front? Allen Soldaten
       werde der Winter das Leben schwer machen, meint die Rentnerin Nadja aus
       Kiew. „Doch die russischen Soldaten werden es noch etwas schwerer haben als
       die ukrainischen“, so Nadja. Die Ukrainer hätten den Vorteil, dass sie sich
       auf ihrem eigenen Gebiet befinden. Sie kennen sich dort aus und haben
       Rückhalt in der Bevölkerung. Diesen hätten die russischen Soldaten nicht
       mehr.
       
       Inzwischen habe sich auch in russlandfreundlichen Kreisen herumgesprochen,
       dass Russland den Krieg verlieren werde. Dies würde auch bedeuten, dass die
       aktuell [3][russisch besetzten Gebiete] eines Tages wieder von der Ukraine
       kontrolliert werden. Und wer wolle schon den Russen mit Lebensmitteln und
       einer Unterbringung helfen, wenn wenige Wochen später die Ukrainer die
       Ortschaft kontrollieren? „Alle Ukrainer, die den Russen freiwillig geholfen
       haben, werden dann vor Gericht gestellt“, so Nadja. Da diese Perspektive
       für niemanden attraktiv ist, fehle nun den Russen der Rückhalt in den von
       ihnen besetzten Gebieten.
       
       Ähnlich sieht dies der Charkiwer Journalist von der Plattform
       assembly.org.ua, Stanilaw Kibalnyk. „Die russischen Männer, die kürzlich im
       Rahmen der Teilmobilmachung in Russland eingezogen worden sind, waren ja
       schon auf den Herbst nicht vorbereitet“ meint er. „Wie sollen sie dann
       erst, schlecht motiviert, den Winter überleben?“ fragt er sich. „Deren
       Kampfmoral ist so niedrig. Ein erster Frost könnte ihrer Kampfmoral den
       Rest geben“, so Kibalnyk.
       
       23 Nov 2022
       
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