# taz.de -- Olympia-Proteste in Paris: Bedrohliche Spiele
       
       > Die Protestbewegung gegen die Olympischen Spiele 2024 in Paris ist
       > divers. Es geht um Vertreibung, Überwachung, Grünflächen und
       > Grundsätzliches.
       
 (IMG) Bild: Olympischer Staatsakt: die heiligen Ringe werden in Paris enthüllt
       
       PARIS taz | Kürbis, nicht Beton“, lautet die Forderung auf einem
       Transparent, das vor den Kleingärten von Aubervilliers, einem Vorort von
       Paris, hängt. Zwei Kilometer nördlich der französischen Hauptstadt sollen
       Ende März 3.200 Quadratmeter der sogenannten Gärten der Tugend
       verschwinden. Der Grund: Eine Schwimmhalle mit 50-Meter-Bahnen wird auf dem
       benachbarten Parkplatz errichtet, die als Trainingsstätte [1][für die
       Olympischen Spiele 2024] dienen soll. Auf dem Parkplatz wäre genug Platz,
       um ein solches Schwimmbad zu bauen, aber dazu sind ein Fitnesscenter und
       ein Solarium geplant, denen dann die Gärten weichen sollen.
       
       „Hier ist es ein Paradies“, sagt Claude. Mit seiner Frau Ursula verbringt
       er jeden Tag Zeit auf ihrem Gartenstück, das sie seit 14 Jahren pflegen.
       Dort bauen sie ihre Gemüse an und ergänzen somit ihre kleine Rente. Der Ort
       bietet nicht nur Natur und frische Luft, sondern auch Essen in einer Stadt,
       in welcher fast die Hälfte der Bewohner unter der Armutsgrenze lebt.
       
       In Aubervilliers gibt es auch nur 1,42 Quadratmeter Grünfläche pro
       Einwohner*in, deutlich weniger als die von der Weltgesundheitsorganisation
       der Vereinten Nationen (WHO) empfohlenen zwölf Quadratmeter. „Leute werden
       verkümmern, wenn sie uns die Gärten nehmen“, sagt Ursula. In den „Gärten
       der Tugend“ leben 22 geschützte Vogelarten, Eichhörnchen und Igel. Sogar
       Füchse sind manchmal zu sehen, was am Rande von Paris ungewöhnlich ist.
       „Ist das nicht herrlich?“, fragt die kleine weißhaarige Frau.
       
       Zehn Millionen Euro, also knapp ein Drittel der Kosten der Schwimmhalle,
       werden von der Solidéo finanziert, der staatlichen Gesellschaft, die für
       die Bereitstellung der olympischen Gebäude im Rahmen der Spiele 2024
       zuständig ist. Dennoch betont die Solidéo, dass das Projekt des Schwimmbads
       schon vor der Vergabe der Spiele an Paris stand: Im Einklang mit dem
       ökologischen Anspruch der Spiele 2024 haben die Organisatoren ihre Planung
       in schon bestehende Projekte eingefügt.
       
       ## Ökonomisches Kalkül
       
       Das Fitnesscenter und das Solarium stehen indes nicht auf der Wunschliste
       der olympischen Organisatoren, ihre Planung ist ökonomischem Kalkül
       geschuldet. Um eine Firma zu finden, die sich bereit erklärt, die
       Schwimmhalle zu bewirtschaften, sind solche Einrichtungen nötig, heißt es
       aus dem Organisationskomitee. Neben dem Schwimmbad sollen in den nächsten
       Jahren eine U-Bahn-Station und ein „Öko-Quartier“ ebenfalls auf dem Areal
       der „Gärten der Tugend“ gebaut werden. Der Bauträger versichert, dass all
       die 34 betroffenen Gärtner*innen eine andere Parzelle bekommen werden.
       
       In benachbarten Städten dienen auch die Olympischen Spiele als
       Beschleuniger für die Betonierung von Grünflächen [2][und die
       Gentrifizierung] der Seine-Saint-Denis, dem ärmsten Departement der
       französischen Metropole. Fünf Kilometer nördlich von Aubervilliers sollen
       in Dugny sieben Hektar eines Parks zerstört werden, um dort ein Mediendorf
       für die Berichterstatter*innen der Spiele zu bauen. Moderner Wohnraum,
       der nach den Spielen den Parisern zugänglich gemacht werden soll. Auch hier
       stand schon vor der Vergabe der Spiele an Paris die Idee im Raum, neue
       Wohnungen zu bauen.
       
       Der „Platz der Winde“ ist an sich kein schöner Ort, es gibt zwar Bäume und
       etwas Natur, aber auch viel Teer. Wegen mangelnder Alternativen spazierten
       hier dennoch im Mai 2020 zahlreiche Menschen, als sie am Ende des harten
       Lockdowns wieder raus durften. Der Umweltaktivist Michel Loiseau vermutet,
       dass sich die Stadt absichtlich seit 20 Jahren nicht um den Park gekümmert
       hat, um heute zu argumentieren, dass es sich um „eine ermüdete Grünfläche“
       handle, die man nun urbanisieren wolle. Die Bauplaner*innen betonen,
       dass die Stadt von den Spielen profitieren werde, weil sie als Erbe ein
       neues Viertel mit Wohnungen, Geschäften und Infrastrukturen hinterlassen
       werden.
       
       „Die Organisierung der Olympischen Spiele ging mit einer Lockerung der
       städtebaulichen Regeln einher“, betont der Architekt Ivan Fouquet. „Dies
       ermöglicht die beschleunigte Fertigstellung von Großprojekten, die im
       Rahmen des Programms ‚Grand Paris‘ geplant sind.“ 2018 trat eine
       Ausnahmeregelung in Kraft, die die schnelle Erbauung der olympischen
       Infrastruktur erlaubt. Das heißt: Im Namen der Spiele wurde der Plan für
       die Urbanisierung der Region verändert, der den Bau von 1.300 Wohnungen
       ermöglicht. Bemerkenswert ist allerdings, dass fast die Hälfte davon erst
       nach den Spielen errichtet werden.
       
       ## Schule zwischen Autobahnzubringern
       
       Kurioserweise fanden auf dem „Platz der Winde“ im Dezember 2015
       Veranstaltungen der UN-Klimakonferenz statt, bei welcher [3][das Pariser
       Klimaabkommen beschlossen wurde]. Valérie vom Kollektiv „Unser Park ist
       nicht zu verkaufen“ verlangt die Einhaltung der damals eingegangenen
       Verpflichtungen. Die Solidéo hebt ihrerseits ihre umweltschonenden Konzepte
       hervor: Viele Materialien werden recycelt, Abfälle über den Fluss und nicht
       per Lkw abtransportiert, Gebäude mit geringem Energieverbrauch gebaut. Die
       Spiele von Paris sollen die umweltfreundlichsten der Geschichte werden.
       
       „Die Projekte, die unter dem Banner der Olympischen Spiele von Paris
       durchgeführt werden, sind zum größten Teil nutzlos für die Vorbereitung
       dieses globalen Ereignisses“, empört sich Hamid Ouidir. Er engagiert sich
       gegen ein weiteres Projekt: den Bau von Autobahnzubringern, die nur wenige
       Schritte von der Schule seiner Kinder entfernt liegen sollen.
       
       Im Viertel namens Pleyel von der Stadt Saint-Denis sind schon seit Jahren
       Autobahnkreuze in der Planung. Während der Spiele sollen sie
       Athlet*innen und Zuschauer*innen ein schnelles Vorankommen auf den
       Straßen ermöglichen. Deswegen werden sie im Rahmen der Olympischen Spiele
       finanziert. Das Problem: Knapp 700 Kinder zwischen 3 und 12 Jahren besuchen
       die Schule, die dann von den zwei Autobahnzubringern eingeschlossen sein
       wird. „Es gibt die akustische Verschmutzung, die Feinstaubbelastung“,
       betont Hamid Ouidir. „Kinder werden geopfert.“
       
       Er will nicht, dass man ihn falsch versteht: Er setzt sich nicht gegen die
       Olympischen Spiele ein und freut sich, dass Paris den Zuschlag bekommen
       hat. Er kritisiert aber die Volksvertreter*innen, die die Spiele als Anlass
       nutzen, um Projekte, die Mensch und Natur schaden, durchzusetzen.
       
       ## Massenhafte Überwachung
       
       Gegner*innen diverser Olympia-Projekte sind in den letzten Monaten unter
       dem Namen „Saccage 2024“ („Plünderung“) zusammengekommen. Sie wollen sich
       gegen die Zerstörung, Verschmutzung, Vertreibung, Spekulation und die
       massenhafte Überwachung wehren, welche ihrer Auffassung nach die Folgen der
       Vergabe der Olympischen Spiele 2024 nach Paris sind. Im November letztes
       Jahr haben sie ein „Toxic Tour“ in drei Schritten für die drei erwähnten
       Projekte im Departement der Seine-Saint-Denis organisiert. Organisationen
       wie die lokale Gruppe von Extinction Rebellion oder Youth for Climate sind
       auch Teil von „Saccage 2024“. „Sie haben andere Methoden als wir, das tut
       uns gut“, sagt Michel Loiseau, Rentner und Mitglied der Nationalen
       Umweltbewegung.
       
       Am 6. Februar haben sie dort demonstriert, wo man sich für die Bewerbung um
       die Olympischen Spiele entschieden hat: vor dem Pariser Rathaus. Bei
       strömendem Regen ergriffen Mitglieder von „Saccage 2024“ das Wort. „Die
       Olympischen Spiele sind für Paris, aber die Plünderung findet in der
       Seine-Saint-Denis statt“, betont dabei die Gärtnerin Dolorès. Sie ruft auch
       dazu auf, in ein paar Wochen vor den Bulldozern zu stehen, die die „Gärten
       der Tugend“ plattwalzen sollen. Aus Aubervilliers hat sie Lorbeer
       mitgebracht und schenkt jedem einen Ast als Symbol für den gemeinsamen
       Kampf.
       
       Um die zehn Polizeiwannen stehen am Rande des Platzes, etwa 200
       Besucher*innen haben sich trotz des schlechten Wetters versammelt.
       Arthur Messaud spricht im Namen des Kollektivs „Big Brother olympique“ und
       warnt vor zu erwartenden Überwachungsmaßnahmen. „2024 ist das Datum, bis zu
       dem die gesamte Polizei und die Armee auf die neueste Technologie in Bezug
       auf Drohnen, Gesichtserkennung und On-Board-Kameras aufgerüstet wird“,
       erklärt der Angestellte von La Quadrature du Net, einer NGO, die sich für
       die Bürgerrechte im Internet einsetzt. „Im Jahr 2024 wird Frankreich der
       ganzen Welt in Sachen Überwachung seine Möglichkeiten demonstrieren
       können.“ Im Whitepaper, das das Innenministerium im November 2020
       veröffentlichte, wurde die Einführung von neuen Technologien mit dem Beginn
       der Spiele vorgeschlagen, wie die Nutzung von Fingerabdrücken als
       Identifikationsmittel bei Kontrollen oder die Gesichtserkennungen im
       öffentlichen Raum.
       
       An diesem Samstagnachmittag sind nicht nur Kritiker*innen, die vornehmlich
       die Instrumentalisierung der Spiele für die „Plünderung“ der
       Seine-Saint-Denis thematisieren, zu hören, sondern auch
       Olympia-Gegner*innen. Natsuko ist eine zentrale Figur der Pariser
       Anti-Olympia-Bewegung. Sie hat sich bereits engagiert, als die Spiele noch
       nicht nach Paris vergeben waren. Am Nachmittag überträgt die
       „Anti-Spiele-Frau“, wie sie oft vorgestellt wird, die Demo in ihr
       Geburtsland nach Japan und liest einen Brief von japanischen
       Aktivist*innen vor. „Saccage 2024“ schafft Verbindungen zwischen
       Olympia-Gegner*innen und Befürworter*innen, was zu einer Menge interner
       Debatte führt. Bis jetzt konnten sie sich darauf einigen: „Saccage 2024“
       nimmt nicht gegen die Spiele Stellung, sondern gegen die damit
       einhergehende beschleunigte Urbanisierung. Für Hamid ergänzen sich beide
       Kämpfe: „Die Olympia-Gegner*innen führen einen langfristigen Kampf. Für uns
       geht es nicht um Grundsätzliches, sondern um unser Leben.“
       
       27 Feb 2021
       
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