# taz.de -- Kongo: Mit den Ferien kommt der Krieg
       
       > Von einer neuen Ära ist ein Jahr nach der Wahl im Kongo wenig zu spüren.
       > Anne Nyiramurisi weiß, was zu befürchten steht: Die Bäuerin musste sich
       > vor Milizen verstecken.
       
 (IMG) Bild: Noch immer müssen Menschen in Kongo vor Kämpfen flüchten.
       
       Der Höhepunkt des Festtages ist ein Frauenfußballspiel. Nach der
       obligatorischen lauten und bunten Parade versammeln sich Würdenträger,
       Soldaten, Straßenkinder und festlich gekleidete Neugierige im Stadion von
       Rutshuru. Das einheimische Frauenteam Kiwandja spielt gegen ein Team aus
       dem Dorf Rubare. Das Publikum begleitet das Geschehen auf dem holprigen
       Platz, über den während Spiels auch mal eine Ziege wandert, mit
       begeistertem Gejohle. Am Schluss siegen die Gastgeberinnen mit 3:0. So
       feiert die Kleinstadt Rutshuru im Osten der Demokratischen Republik Kongo
       am Unabhängigkeitstag, dem wichtigsten Feiertag des Landes.
       
       Anne Nyiramurisi ist an diesem 30. Juni nicht nach Feiern zumute. Die
       48-Jährige steht im schwarzen Matsch vor ihrer Lehmhütte, die mit einem
       weißen Plastiksack überdacht ist. Zu essen hat sie nichts. Seit einem Jahr
       wohnt sie im Vertriebenenlager Niyongera außerhalb der Stadt. Die letzten
       Erbsen aus der monatlichen Lebensmittelzuteilung der UN hat sie mit ihrem
       Mann und ihren drei Kindern am Vortag aufgegessen. Wann die nächste Ration
       kommt, weiß sie nicht. "Ich werde auf die Felder gehen und sehen, ob ich
       ein bisschen Gemüse zusammenklauben kann", sagt sie und seufzt unter ihrem
       grünen Kopftuch. Was sie vom Unabhängigkeitstag hält, dem Festtag aller
       Kongolesen? Sie lacht, aber Freude ist in ihrem Gesicht nicht zu erkennen.
       Dann sagt sie: "Ich werde Wasser trinken."
       
       Offiziell hat im Kongo mit den freien Wahlen im vergangenen Jahr eine neue
       Ära begonnen. Aber in der Provinz Nord-Kivu im Osten des Landes, wo der
       Krieg am ärgsten gewütet hatte, wird weiter gekämpft und wächst das Elend.
       Als im Kongo gewählt wurde, lebte Anne Nyiramurisi noch im Busch, weil ihr
       Dorf Makoka wiederholt von Bewaffneten angegriffen worden war. "In dieser
       Zeit wurden alle unsere Sachen gestohlen", erzählt sie. "Und in der
       Regenzeit war es sehr schwierig, viele starben an Malaria. Also haben wir
       uns entschlossen wegzugehen. Erst kamen wir in die Stadt und lebten dort in
       einer Kirche, aber es wurden zu viele, wir mussten raus. So sind wir
       hierher gekommen."
       
       In Niyongera leben nun auf engstem Raum auf einem abschüssigen und feuchten
       Gelände 900 Familien. Das sind knapp 5.000 Menschen, und drum herum
       entstehen immer neue Lager.
       
       Die Region, aus der die Menschen fliehen, ist eine Hochburg der ruandischen
       Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Front zur Befreiung Ruandas), die sich seit
       Mitte der Neunzigerjahre im Osten des Kongo bewegt und die Bevölkerung
       terrorisiert. Seit einiger Zeit ist sie im Distrikt Rutshuru das Ziel von
       Angriffen der Regierungsarmee, die sich dafür mit ihren vormals größten
       Feinden zusammengetan hat, nämlich den Kämpfern des Tutsi-Rebellenführers
       Laurent Nkunda. Dieser hatte Ende vorigen Jahres eine Großoffensive der
       Regierung zurückgeschlagen und sich danach einen Sonderstatus ausgehandelt:
       Er behielt sein Territorium, und seine Kämpfer bildeten mit
       Regierungseinheiten "gemischte Brigaden", die die Hutu-Miliz FDLR bekämpfen
       sollen.
       
       Die "gemischte Brigade" in Rutshuru ist die "Brigade Bravo", erkennbar an
       ihren rosa Armbändern. Man muss nur die Angst auf den Gesichtern von
       Passanten bei ihrem Anblick sehen, um zu merken, dass die "gemischten
       Truppen" kein Vertrauen genießen. "Die FDLR greift nachts die Leute an, die
       Bravo am helllichten Tag", berichtet Safari Majune, der Präsident des
       Flüchtlingskomitees des Lagers Niyongera. "Die Bravo-Soldaten sagten, sie
       wollten die FDLR jagen. Die FDLR war stärker, also rächte sich Bravo an der
       Bevölkerung. Das Sprichwort sagt: Wenn zwei Elefanten sich streiten, leidet
       das Gras. So hat das Gras, also wir, die Flucht ergriffen."
       
       Über 130.000 Menschen sind im Distrikt Rutshuru in den letzten Monaten vor
       den Kämpfen geflohen. Über weite Landstriche sind alle Dörfer verlassen und
       geplündert. "Die Häuser stehen offen und leer, direkt vor der Tür wächst
       die Hirse meterhoch. Aber niemand kann sie ernten", berichtet Adrien
       Katsomya. Der Arzt bereiste vor kurzem das Kampfgebiet. Tagsüber wurde er
       von UN-Blauhelmen begleitet, die sich aber aus Sicherheitsgründen bei
       Anbruch der Dunkelheit stets zurückzogen, während er in der Stadt Nyamilima
       übernachtete. "Wir mussten uns unter unseren Betten verstecken, weil die
       FDLR mit schwerer Artillerie angriff", erinnert er sich. Die medizinische
       Versorgung sei fast zusammengebrochen. "In Nyamilima sind schon 40 Menschen
       an Bissen von tollwütigen Hunden gestorben."
       
       Der Krieg gegen die FDLR ist ein Fiasko - und nun droht auch der Frieden
       zwischen der Regierung und den Rebellen Nkundas zu scheitern. Die
       kongolesische Regierung sagt bei jeder Gelegenheit, dass im Osten des
       Landes aufgeräumt werden müsse. Dort kursieren Gerüchte über
       Großlieferungen von Waffen und Munition. Der neue Provinzkommandeur,
       General Mayala mit dem schönen Vornamen Vainqueur (Sieger), gilt als
       Hardliner. Und es mehren sich Hinweise, dass die "gemischten Brigaden" sich
       wieder in ihre Bestandteile auflösen. Am meisten Unruhe stiftet, dass zum
       30. Juni zwei Brigaden der Regierung aus anderen Landesteilen den
       Marschbefehl Richtung Nord-Kivu erhalten haben. Dort geht man davon aus,
       dass die neuen Brigaden Nkundas Kämpfer angreifen sollen.
       
       Kriege im Kongo beginnen meist mit den Sommerferien. Denn mit dem
       Unabhängigkeitstag geht auch das Schuljahr zu Ende, und Soldaten, die meist
       mit ihren Familien in improvisierten und elendigen Lagern leben, können
       sich danach bewegen, ohne ihre Kinder zurückzulassen. Kongos Festtag ist
       deshalb auch der Tag, ab dem Fronten in Bewegung geraten.
       
       Im Hauptquartier der Rebellen hoch oben in den Masisi-Bergen, die sich
       westlich der Provinzhauptstadt Goma zum Himmel strecken, herrschen
       Resignation und Trotz. "Ein Völkermord wird vorbereitet, und die Welt
       verschließt die Augen", sagt der hochgewachsene Tutsi-General Nkunda.
       Präsident Kabila wolle das Scheitern seiner Regierung hinter einem Krieg
       verstecken, was sogar die Monuc, die UN-Mission im Kongo, billige. Was das
       für ihn bedeutet? "Das Ende von Laurent, vielleicht", sagt Nkunda von sich
       in der dritten Person. "Laurent wird sterben. Aber unsere Bewegung geht
       weiter."
       
       Aus der Sicht von Nkunda ist die Sache einfach: Im Ostkongo gelten die
       Tutsi als "Ruander", als Ausländer, die man nicht im Land haben möchte. Sie
       aber sehen sich als Kongolesen, die kämpfen müssen, um zu überleben. Das
       Abkommen mit Kabila hatte das Ziel, die ruandischen Hutu-Milizen zu
       zerschlagen, die aus jenen Kräften hervorgegangen sind, die 1994 in Ruanda
       den Völkermord an den dortigen Tutsi verübt hatten. Dies sollte die
       Rückkehr der nach Ruanda geflohenen kongolesischen Tutsi ermöglichen. Doch
       daran halte sich die Regierung nicht mehr, meint der Rebellenführer.
       
       "Ich habe meinen Teil getan", sagt Nkunda in der Farmhausruine, die ihm als
       Hauptquartier dient. "Ich habe 6.000 Soldaten in die gemischten Brigaden
       gegeben, meine anderen 2.000 sind in Stand-by. Die Brigaden haben ihre
       Arbeit getan. Wir haben die Distrikte Masisi und Rutshuru befreit und
       wollten weiter vorrücken. Aber die Regierung hat ihre Arbeit nicht gemacht.
       Sie hat die Logistik blockiert, sie bezahlt die Brigaden nicht mehr. Ich
       fürchte, dass die Regierung ihre Soldaten zurückholen wird." Damit wäre der
       Friedensschluss zwischen der Regierung und der Tutsi-Rebellenarmee
       hinfällig.
       
       Dass der Konflikt erneut ausbrechen könnte, nimmt Nkunda betont gelassen
       hin. Dreimal hat er in der Vergangenheit schon Angriffe der Regierung
       zurückgeschlagen. Aber diesmal, davon ist er überzeugt, wird die Regierung
       von der UN-Blauhelmmission unterstützt. Hat diese ihre Truppen in Nord-Kivu
       nicht soeben auf 4.300 verstärkt? Reihen sich nicht auf der UN-Basis der
       Provinzhauptstadt Goma Kolonnen neuer weißer UN-Panzer aneinander? Hat die
       Monuc nicht im Ostkongo die zweithöchste Alarmstufe ausgerufen, die
       bedeutet, dass UN-Helfer sich nur noch mit bewaffneter Eskorte bewegen
       dürfen? Aus UN-Kreisen ist zu hören, es sei durchaus möglich, dass die
       UN-Mission die Regierungsarmee unterstützt.
       
       "Wir wollen Dialog", sagt Nkunda. Aber es klingt nicht überzeugt, sondern
       wie auswendig gelernt. Im Gespräch mit seinen Offizieren, die nicht nur aus
       Tutsi bestehen, fallen auffällig oft Phrasen wie die, dass man "die Sache
       ein für alle Mal erledigen" müsse oder dass man sich, wenn man schon
       untergehe, "mit einem Coup verabschieden" werde, der "in die
       Geschichtsbücher eingeht". Auch von Angriffen auf die UNO ist die Rede. Und
       davon, dass Ruanda eingreifen müsse, um die kongolesischen Tutsi zu retten,
       und dass andernfalls der ruandische Präsident Paul Kagame stürzen werde.
       Denn bei vielen seiner Soldaten handelt es sich um Tutsi, die aus dem Kongo
       geflohen sind.
       
       In der Vorahnung eines bevorstehenden Krieges, der der schwerste seit
       Jahren werden und die Region lähmen könnte, stehen die kommenden
       Kriegsführer in einem Luxushotel der Provinzhauptstadt Goma einträchtig
       nebeneinander. Eingeladen zu einem Konfliktlösungsseminar, tauschen
       Generäle und Milizenführer Telefonnummern aus und spielen Rollenspiele. Bei
       einem Testspiel ist Kommandeur Mayala einer von zweien, der die richtige
       Antwort weiß. Strahlend wirft er die Arme in die Luft, die anderen lachen.
       
       Die Militärs finden, Krieg sei nicht ihr Problem. "Das Problem ist
       politisch, nicht militärisch", meint General Delphin Kahimbi, Mayalas
       Stellvertreter. "Wenn die Politiker und die Ethnien sich versöhnen, gibt es
       in der Armee keine Probleme." Bei der Abschlussfeier in der weitläufigen
       Parkanlage des Tagungsortes bleiben Milizenführer, Regierungsoffiziere und
       Nkundas Leute aber jeweils unter sich. Später, unter bewölktem Nachthimmel,
       fallen in der Nähe dumpfe Schüsse, Maschinengewehre rattern.
       
       4 Jul 2007
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominic Johnson
       
       ## TAGS
       
 (DIR) M23
       
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